Es waren jedoch nicht die von den Alternativen gebauchpinselten kulturellen Anti-Errungenschaften der Provinz (Dialekt, Tradition, Bescheidenheit), sondern die geschichtlich neue Möglichkeit, Popleidenschaften mit den Mitteln des DIY in den hinterallerletzten Ecken zu entfachen, die klassische Nichtorte, Klein- und Mittelstädte, zum Kreißen und Explodieren brachte. Heute ist davon oft nicht viel mehr erhalten als verklebte Erinnerungen an gute alte Zeiten.
Es muss etwas gegeben haben
Jedenfalls in Linz, dessen Üsterreich-immanenter Status als Bewegungsstadt (von NDW-Punk nach Hardcore und Attwenger) sich aus dem spärlichen Tonträgerinnenmaterial lange Zeit gar nicht erschloss. Dazu bedurfte es einer geduldig erläuternden Willi Warma-Werkausgabe und Andreas Kumps Buch »Es muss was geben«. »Es muss was geben« eröffnete die Linzer Bewegungsstadtgeschichtsschreibung mittels der als Punk-Mnemotechnik heute über alle Maßen ge- aber eben auch überschätzten Oral-History-Tradition von »Please Kill Me« ff. Für Linz bot sich die Form der in Interviewsituationen herausgekitzelten Erinnerungspartikel aber schon deswegen an, weil es sonst ja (fast) nichts oder nur materialästhetisch Unwesentliches gab. Wer hätte z. B. aus dem nach klassischen New-Wave-Missverständnissen von Altrocklandeiern klingenden Plattenvermächtnis von In-Seit (das so wahrscheinlich noch nicht mal in der Gothic Disco funktionieren dürfte, obwohl ich denen ja alles zutraue) ableiten sollen, dass diese Band für interessierte Jugendliche eine Rolle gespielt haben könnte, um z. B. auf die Möglichkeit elektronischer Musikproduktion aufmerksam zu werden? Doch selbst auf den In-Seit-Platten muss es irgendetwas gegeben haben. Nur dass es im Material selbst eben längst zerfallen bzw. ohne die Rahmenbedingungen von Linz 1981 gar nicht zu haben ist.
Produktive Missverhältnisse
»Es muss was geben« ist seit Kumps Buch nun die offizielle Schlagzeile für Punk in Linz in den verschiedenen Aggregatstufen von »Seltsam illuminierter Pubrock« bis zu »Linz-Hardcore«. Sie erzählt, wie aus Nichts etwas wurde, nämlich Willi Warma und die Mollies (als oberösterreichische Coverversion der klassischen Beatles-Stones-Kontroverse), das Café Landgraf, die Stadtwerkstatt und die Kapu. Als Punkgeschichtsüberschrift klingt das längst nicht so bewerbungsmappig wie »Verschwende Deine Jugend« (um Dich for all tomorrow’s markets fit zu machen??), sondern gibt stattdessen wieder, wie, das heißt aus welchem Begehren heraus, das soziale Perpetuum Mobile von Punk, Postpunk und Hardcore angeschoben wurde. Die provinzspezifische Rahmensituation ist hierfür kein Alleinstellungsmerkmal, aber sie brütet jene Dringlichkeit aus, die sich im günstigen Fall in ein Pop-Ereignis übersetzen kann. Von den späten 1970ern bis zu jenem Zeitpunkt, als das globale Dorf endlich wirklich ausgeklappt wurde, war die Provinz ein guter Ort, um bloß nicht so werden zu wollen, wie die anderen und die von ihnen erzeugte Umgebung. Jene Sehnsucht, die Pop erst zu dem macht, was er ist oder doch lange gewesen sein könnte, fand dort beste Wachstumsbedingungen vor. Vielleicht gediehen deswegen hier immer schon die eher energetischen und überhitzten Popentwürfe, eben weil die Langeweile noch dickflüssiger und die Erstarrung noch sämiger war als in den Ballungsräumen. In der Provinz herrschte (im despotischen Sinne) jener feiste Mangel, den das Begehren braucht, um auf Touren zu kommen. Und was konnte den Mangel um 1977 besser repräsentieren als Progrock? In Linz hießen entsprechende Bands noch einen Tick bräsiger als im Rest der weggedämmerten Rockwelt: Eela Craig z. B. oder Knossos Rabol – pornographische Versionen des Bedeutungsschwangeren. Aber dann kam bekanntlich Punk und der Mangel begann zu vibrieren.
Gerettetes Leben
Und wie es sich anfühlt, wenn der Mangel zu vibrieren beginnt, wissen wir natürlich längst aus den unzähligen Geschichten, die uns seit 2000 darüber in Buch- oder Filmform vorgelegt wurden. In Oliver Stangls und Christian Tods Linz-Film »Es muss was geben« erzählen sie die ungefähr gleichen Leute, die sie auch schon in Kumps Buch erzählt hatten. Das wirkt auf den ersten Blick wie eine nachgereichte Outtake-Verwertung, erweitert aber den bei Kump eröffneten Oral-History-Raum um eine entscheidende Dimension: die aktuelle Präsenzästhetik der Linzer Punkgeschichte. Gezeigt wird nämlich auch, wie sich die Punk-Erfahrung in die Gegenwart derjenigen übersetzt, die dabei waren – als Mienen, Gesten, Redeweisen und von der Kamera mehr oder weniger zufällig miterfassten Inneneinrichtungsdetails. Das fällt nicht immer glücklich aus, und doch schimmert durch alle Altersmilde und/oder Selbstzufriedenheit hindurch, dass es das Ereignis gegeben haben muss, weil es die Protagonist_innen aus der ?bereinstimmungsform mit der Gegend, die sie hervorgebracht hat, herauskatapultierte. Zu sehen, wie Pop Leben retten konnte, macht diese Art Filme auch diesmal sehenswert:
»Es muss was geben«
Ü. 2010; R: Oliver Stangl, Christian Tod.
Mit: Ada Atzmüller, Heli Bacher, Markus Binder, Didi Bruckmayr u. v. a.
(Filmladen Edition)
Kinostart war am 14. 1. 2011 in der Arena Wien
DVD-Release: 7. 10. 2011