Placeholder_Rezensionen
Heiner Goebbels - Ensemble Modern

Eislermaterial

ECM New Series

Der Künstler Heiner Goebbels, das Ensemble Modern und die Auseinandersetzung mit dem verstorbenen deutschen Komponisten Hanns Eisler (Komponist Brechts, Schüler Schönbergs und großer, aktiver Marxist) sind schon einmal drei gute Gründe, sich dieses Album mehr als ein dutzendmal anzuhören. Weil aber der Titel »Eislermaterial« sofort Assoziationen zu Heiner Müllers »Hamletmaschine« erweckt, beginne ich, anders zu hören. Gleich als erstes ließe sich natürlich einwenden: wieder nur Theater und Kultur, wieder nur reiche Leute in einem reichen System. Und weit entfernt von Brecht, Eisler oder den üblen Zeiten, in denen viele dieser Lieder entstanden sind. Ich kann dagegenhalten, dass wir jene Ideologien, die Brecht, Eisler, aber auch Müller Veränderungen einfordern und dafür kämpfen ließen, aus der Distanz beurteilen. Und alles ist nur deshalb jetzt Kultur, weil wir es zugelassen haben, weil kaum jemand protestiert hat, als sich Politiker und Institutionen bei Trauerfeiern dieses Materials bemächtigten. Godard hat oft gefordert, dass Kunst wieder gefährlich werden sollte. Und was ist in unserer Zeit passiert, sind nicht auch öffentliche Debatten und das allgemeine Bewusstsein Kultur geworden? Wir besorgen euch ein nettes Theater, und ihr haltet den Mund, und glaubt erst gar nicht, dass ihr was zu sagen habt. Wir werden euch durchfüttern und euch ein Dach über dem Kopf geben, wir werden euch den Weg in den Mittelstand nicht versperren, und ihr werdet uns dafür unterhalten und von unserem Leben ablenken. »Und man macht es doch immer wieder und plagt sich kolossal. Aber ich brauche den tiefen Ansatz, um hoch zu springen, also, besser gesagt: damit ich springen kann, muss ich zurücktreten. Warum habe ich das gemacht? (…) Aber dieser Tiefsinn. Wir finden in der Dummheit der Musik nicht eine spezifisch musikalische Dummheit, sondern die allgemein menschliche Dummheit, wenn das menschliche Denken hinter seiner Zeit, hinter der gesellschaftlichen Entwicklung zurückgeblieben ist.« (Hanns Eisler, Hörstück I) Wir könnten noch viele Einwände gegen dieses Album vorbringen, aber die Collage aus Originalinterviews mit Eisler und die Stimme des Schauspielers Josef Bierbichler sollten Sie sich anhören. Der Weg ist weit, Kameraden. Es geht darum, wie man tanzt, wenn man tanzt, wie man denkt, wenn man es tut, und wo wir leben.

favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an den Empfänger: Verein zur Förderung von Subkultur, Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria. Vielen Dank!

Nach oben scrollen