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DUM DUM SCIENCE

Ein Vortrag über akustische Kriegsführung, sonische Symptome und darüber, was man mit Schall so alles anfangen kann vom "Im Sumpf"-Chef Fritz Ostermayer; April 2007

Ein chinesisches Gesetz aus dem 3. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung lautete so: »Wer den Höchsten schmäht, der soll nicht gehängt werden, sondern Flötenspieler, Trommler und Lärmmacher sollen ihm ohne Pause so lang vorspielen, bis er tot zu Boden sinkt, denn das ist der qualvollste Tod, den ein Mensch erleiden kann.« Das ist – einfach gesagt – frühe Dum Dum Science!

Für wahre Christenmenschen ist der kalte Krieg noch immer nicht zu Ende und Russland weiterhin der Hort alles Bösen. Die Monatszeitung „Das weiße Pferd – Urchristliche Zeitung für Gesellschaft, Religion, Politik und Wirtschaft“ befasst sich in der Februarausgabe 2002 mit »Psychomanipulationen in Russland« und berichtet von streng geheimen Experimenten mit lautlosen Schall-Waffen, mit denen man arglose Regimegegner – Gegner welchen Regimes? – fertig mache. Zitat: »Ein Opfer solch psychotronischer Bearbeitung, eine Frau, berichtet, sie habe immer wieder Schwindelgefühle und Schmerzen verspürt, ohne dass körperliche Ursachen festgestellt werden konnten. Innerhalb einer Woche seien ihr dann Haare, Nägel und Zähne ausgefallen. Andere Betroffene berichten über Verlust der Logik, der räumlichen Orientierung, schließlich über Lähmungserscheinungen. – Das ist unter anderem: paranoide Dum Dum Science.

Schallwellen werden in drei Kategorien aufgeteilt: Als Hörschall versteht man den Schall von 16 Hz bis 20.000 Hz, was ungefähr dem maximalen Hörvermögen des menschlichen Ohres entspricht. Der Schall, der unterhalb der 16 Hz-Grenze liegt, bezeichnet man als Infraschall. Dieser kann nicht mehr via Gehör wahrgenommen werden, wohl aber mit dem Körper, der bei diesen Frequenzen und entsprechender Phonzahl zu schwingen bzw. vibrieren beginnt. Der Schall oberhalb von 20.000 Hz wird Ultraschall genannt. Er wird vom Menschen akustisch ebenfalls nicht wahrgenommen, kann aber – gezielt eingesetzt – zu Zellschäden führen. Das ist unter anderem: Grundschul-Dum Dum Science.

Seit Jahren versuchen Mediziner und Psychoakustiker das Leid von Todkranken mit sogenannten »soft frequencies« zu lindern. In den Sterbekliniken der USA z.B. verstehen sie unter »soft frequencies« New-Age-artiges Ambient-Gedudel ohne instrumentale Spitzen, vorzugsweise eingespielt auf dem Yamaha DX7-Synthesizer mit seinen mittelfrequenten Flöten- und Streichersounds. Der Denkfehler dieser akustischen Schmerzlinderer besteht darin, den Sterbenden auf ein psychoakustisches Idealkonstrukt ohne eigene Biographie zu reduzieren. Krebsopfer im finalen Stadium können aber recht boshaft sein – und vor allem resistent gegen akustische Bevormundung. Als man vor einigen Jahren auch in Österreich damit begann, die Sterbezimmer in den Spitälern mit ätherischen »soft frequencies« zu beschallen, weigerten sich viele Todgeweihte mit letzter Kraft gegen diese fremden Sounds, die nie zu ihrem Leben gehört hatten und somit auch bei ihrem Sterben nur störten. Das medizinisch-akustische Personal lernte daraus, dass es trostvoller sein könnte, den Patienten ihre Lieblingslieder aus besseren Zeiten vorzuspielen. Seither wuchern die Metastasen der Todkranken zu den Schlagern der Jazz Gitti, seither sterben die armen Menschen zum »Zillertaler Hochzeitsmarsch« der Schürzenjäger. Die Zillertaler Schürzenjäger besetzen seit Jahren Platz Eins in der Hitparade des Todes. Bald wird es DJ Ötzi sein. Das ist unter anderem: Volkstümliche Dum Dum Science.

Dum Dum Science ist die Wissenschaft vom Eindringen des Schalls in den Körper, die Wissenschaft von der Zerrüttung der Psyche mittels Klangwellen, die Wissenschaft von den Posaunen von Jericho, die Wissenschaft von der akustischen Kriegsführung.

Dum Dum Science ist die paranoide Antwort des Klangforschers auf die geheim gestellten Fragen der Militärs.

Dum Dum Science ist sonische Terrorforschung unter besonderer Berücksichtigung der menschlichen Innereien. Im Hörbereich beginnt körperliches Unbehagen bei 120 Dezibel und Schmerz in den Ohren bei 140 dB. Es genügen einige Zehntelsekunden Beschallung mit 150 dB, um dem Gehör einen dauerhaften Schaden zuzufügen. Das Trommelfell platzt bei 160 bis 185 dB, die Lunge zerreißt es erst bei 200. Dum Dum Science interessiert, was sich mit 500 Dezibel anstellen ließe.

Dum Dum Science ist die Wissenschaft vom Körper im Schmerz, vom Projektil im Körper, vom Resonanzkörper Mensch und seinen Schwingungen im Stadium der letzten Zuckungen.

Dum Dum Science ist der unmögliche Versuch, die Werkzeuge der Folterer begreifen zu wollen, um die Tortur der Folter beschreibbar zu machen. Das kann zwar nie gelingen, muss aber trotzdem immer wieder versucht werden.

»So spricht der Herr der Heere, der Gott Israels: Seht, ich bringe solches Unheil über diesen Ort, dass jedem, der davon hört, die Ohren gellen. […] Am siebenten Tag sollt ihr siebenmal um die Stadt herumziehen, und die Priester sollen die Hörner blasen. Wenn das Widderhorn geblasen wird und ihr den Hörnerschall hört, soll das ganze Volk in lautes Kriegsgeschrei ausbrechen. Darauf wird die Mauer der Stadt in sich zusammenstürzen.» – Das ist unter anderem: alttestamentarische Dum Dum Science.

Der englische Begriff »Noise« – auf deutsch Geräusch, Lärm, Krachen, Gedöse, Brausen, Geknatter und Knistern – kommt vom lateinischen »nausea« (nautes = Segler), wobei der semantische Zusammenhang in den Geräuschen besteht, die die Passagiere bei schlechtem Wetter hervorstoßen: Stöhn-, Würg- und Kotzgeräusche. Im Semantischen wird »Noise« wieder an den Körper zurück gekoppelt: als dessen unangenehme Störung, als Klang, der krank macht und gefährlich sein kann. Das ist unter anderem: ethymologische Dum Dum Science.

1965 befestigt der Komponist Alvin Lucier Elektroden an seinen Schädel und verbindet sie mit Verstärkern, Lautsprechern und Percussionsinstrumenten. Die Gehirnwellen werden verstärkt. Diese Wellen setzen die Membranen der Lautsprecher in Bewegung, allerdings so langsam, dass daraus noch kein hörbarer Ton entsteht. Doch die vor oder auf den Lautsprechermembranen befestigten Instrumente werden durch die schwingenden Membranen ihrerseits in Vibration versetzt und beginnen zu klingen, zu schlagen und zu rauschen. Die extrem verstärkten Gehirnwellen sind Alpha-Wellen zwischen 8 und 12 Hz. Sie strömen nur in einem Quasi-Ruhezustand des Gehirns. Stillsitzend lässt Lucier so seine Gehirnströme trommeln und rasseln. Das ist die perfekte Umkehrung von Dum Dum Science, trotzdem von höchstem militärischem Interesse.

Nach Gary Zukav hat theoretisch alles eine Wellenlänge – Messer, Kanonen, Kampfanzüge und die darin steckenden Menschen – aber ihre Wellenlängen sind so kurz, dass sie unbemerkt bleiben. Liegen die Molekülschwingungen in der Regel noch im Infrarotbereich, so weist das menschliche Herz eine Eigenfrequenz von 1 Hz auf und das Nervensystem eine Frequenz zwischen 0,1 bis 0,0001 Hz. Je komplexer die Systeme, desto mehr Eigenfrequenz weisen sie auf. Mit welcher Niederfrequenz schwingt aber Todesangst? Welche Eigenfrequenzen haben gebrochene Gliedmaßen, verätzte Atemwege, zerquetschte Hoden, verbrannte Vaginas, herausquellende Augen und schmerzverzerrte Münder? Wie schwingen Fleischmoleküle unter Stromstößen und wie beim Eindringen eines Projektils ins menschliche Gewebe? Wir kennen die Maßeinheit der Durchschlagskraft: Gauss. Was wir aber brauchen ist eine Maßeinheit für das Malträtierte.

Hier sind ein paar Brosamen, die von den akustischen Forschungslaboren der Militärs unters Volk gestreut werden: »acoustic weapons« seien beim heutigen Stand der Technik für die Kriegsführung von keinerlei Interesse. Erstens, weil sich die in Frage kommenden tiefen Frequenzen des Infrasoundbereichs in alle Richtungen ausbreiten und somit kein gezielter Angriff möglich sei; zweitens, weil das für etwaige Zerstörungen notwendige Power-Level allein mit derart unmobilen und gigantischen Lautsprecherwänden erzeugt werden könne, dass deren Kilowat
t-Notwendigkeit eine Stadionrockanlage zum armseligen Kofferradio degradieren würde; drittens – und hier wird es lächerlich – müsste der Feind sich in unmittelbarer Nähe dieser Boxenwand befinden, da die Lautstärke des Schalls bei der Verdoppelung der Distanz um jeweils 6 dB abnimmt. D.h.: stünde eine feindliche Horde in 30 Meter Abstand von einem Signal mit 460 Hz und 160 dB, so würde der Horde kollektiv das Trommelfell platzen. Die in 90 Meter Abstand stehende Horde würde nur mehr mit 148 dB konfrontiert sein – was wenigstens noch zu dauerhaften Gehörschäden führen könnte, während die aus einer Entfernung von 150 Meter beschallten Feinde überhaupt nur noch das unangenehme Gefühl verspürten, neben einer startenden Boing zu stehen. Spätestens hier kippt military research in die pataphysische Wissenschaft von den nutzlosen Lösungen. Was uns die Militärs zum Spielen geben, taugt höchstens für die letzten Überlebenden der Industrial Music. Was sie uns nicht geben, ist Spekulationsobjekt von Dum Dum Science. Es ist nicht die in den Körper eindringende Kugel, welche tötet, es sind die Schwingungen der Kugel! Dum Dum-Geschoße, die beim Austritt aus dem Körper einen inversen Krater erzeugen, sind die Ausnahme von der Regel.

Das finnische Elektronik-Duo Pansonic, vormals Panasonic, erzählt in Interviews gern von ihrem selbst gebauten Tiefsttöner, genannt Holmes, einer 7 Meter langen Plastikröhre mit unzähligen Lautsprechermembranen, die das Rohr in Infrasound-Schwingungen versetzten. Aus nächster Nähe beschallt, lässt Holmes deine Innereien im Körper auf Wanderschaft gehen – behaupten Panasonic. Das wäre dadaistische Dum Dum Science. Das mindeste aber ist – so Panasonic – dass du dich anscheißt. Das wäre dann eine schön beschissene Form von koprophiler Dum Dum Science.

Elaine Scarry schreibt in ihrem Standardwerk »Der Körper im Schmerz«: »Waffe und Werkzeug erscheinen zuweilen als gänzlich ununterscheidbar, denn derselbe Gegenstand kann Werkzeug und zugleich Waffe sein (das gilt schon für die geballte Faust). Anderseits besteht nach Bedeutung, Intention, Konnotation und Färbung eine tiefe Differenz zwischen ihnen. Führt man sich beide gleichsam nebeneinander vor Augen – ein Messer als Werkzeug und ein Messer als Waffe, einen Hammer und einen Hammer, eine Axt und eine Axt -, so zeigt sich, dass der Unterschied nicht im Objekt selbst steckt, sondern in dem, worauf sie einwirken. Das Messer, das in die Kuh eindringt, ist eine Waffe; das Messer, mit dem das nicht mehr lebende Fleisch bei Tisch geschnitten wird, ist ein Werkzeug. Der Hammer, mit dem ein Mensch ans Kreuz genagelt wird, ist eine Waffe; der Hammer, mit dem das Kreuz gebaut wird, ist ein Werkzeug. Die Macht zur Veränderung ist der Waffe und dem Werkzeug gleichermaßen eigen. Bei beiden besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen dem, was am einen, und dem, was am anderen Ende geschieht, und dies nicht nur, weil das eine Ende aktiv, das andere dagegen passiv ist, sondern weil eine folgenlose Veränderung am einen Ende zu einem überaus folgenreichen Geschehen am anderen Ende vergrößert wird. Eine winzige Körperbewegung am Ende des Gewehres – nur der Zeigefinger krümmt sich – kann am anderen Ende einen Körper zerreißen. Wer eine Waffe oder ein Werkzeug benutzt, kann daher eine große Veränderung erwarten oder »erfahren«, ohne selbst irgendeine körperliche Veränderung zu »erfahren«. Er erfährt Veränderung, ohne selbst Gefahr laufen zu müssen, jene Widerwärtigkeit zu erleben, die gewöhnlich mit Selbstveränderung einhergeht. Er objektiviert seine Anwesenheit in der Welt durch die Veränderbarkeit seiner Welt.«

Hausübung bis zum nächsten Mal: Überprüfen Sie Differenz und Kongruenz von Werkzeug und Waffe anhand des Werkzeuges »Klangerzeuger«, z.B. anhand des musikalischen Artefakts »Synthesizer«, und gehen Sie der Frage nach, welch körperliche Veränderungen am anderen Ende das Drehen eines kleinen Knopfes auslösen kann. Genesis P. Orrigde, Gründungsmitglied und Sänger der Industrialband Throbbing Gristle, behauptet: Erbrechen, unkontrolliertes Zittern, Epilepsie und halluzinatorische Sensationen. Das wäre Old School Dum Dum Science. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich in der Dicke unserer Körperpanzer

Home / Musik / Artikel

Text
Fritz Ostermayer

Veröffentlichung
15.04.2007

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