Foto: Patrick Hinely
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Drogenrausch, Film, Text, Erleuchtung: Gordon Ball

Der Schriftsteller, Fotograf, Filmemacher und Professor Gordon Ball erzählt im skug-Gespräch über seine New Yorker Zeit Mitte der wilden Sechziger, sein Leben auf Allen Ginsbergs Dichterfarm und die Suche nach Bedeutung. Anlass: die Einladung der Wiener Schule für Dichtung Ende Juni.

»Ich habe die absolute Realität gesucht und hoffte sie durch psychedelische Reisen zu finden. Durch LSD lernen wir mehr über uns selbst und das Universum, mit dem wir elektromagnetisch und biologisch verbunden sind. Es setzt all unsere lächerlichen Hoffnungen für diese arme, erbärmliche Rasse trübsinniger Menschen und ihren, dem Untergang geweihten, sich um die eigene Achse drehenden Planeten, in Perspektive«, erklärt Gordon Ball 1999 mit beinahe schockierender Ehrlichkeit in seinem Memoire-Buch »’66 Frames«. Ûber dreißig Jahre später wird er darin erneut zu seinem einundzwanzigjährigen Selbst: »Ich habe mich in den damaligen Bewusstseinszustand der Sechziger in New York zurückversetzt und den ersten Entwurf in nur wenigen Monaten geschrieben«, erzählt er beim Gespräch in der Schule für Dichtung. Das Interview wirkt wie eine Unterhaltung zwischen zwei Bekannten: ohne Rückhalt plaudern wir über Musik, Kunst, Sex, LSD und natürlich, was ihn nach so vielen Jahren dazu bewegt hatte, alles niederzuschreiben.

 

Sex, Drogen und Avantgarde

Gordon Ball war für Allen Ginsberg und die Beat Generation was Jim Marshall oder Michael Cooper für die Rolling Stones waren: Freund und Fotograf, Wegbegleiter und Dokumentar. Hautnah dran und immer mit dabei, blieben sie dennoch im Schatten des Ruhms an der Seite der Idole zweier Generationen und zeigten sie oft von einer anderen, intimeren Seite. Dennoch kennt man ihre Namen nur in bestimmten Kreisen, wenn überhaupt. Während Marshall und Cooper noch bei dem einen oder anderen ein bewunderndes »Aah!« hervorzurufen imstande sind, kennt Gordon Ball kaum jemand: Dabei lebte er nicht nur mit Beat-Größen wie Allen Ginsberg, Herbert Huncke oder Gregory Corso auf der East Hill Farm bei New York, er feierte auch ausgewogene Feste mit New Yorks aufstrebender Künstlerelite, verkehrte in Andy Warhols Factory, arbeitete für den Filmemacher Jonas Mekas, traf Salvador Dalí und Bob Dylan. Und nebenbei schoss er zahlreiche informelle Fotografien von Ginsberg, Corso, Huncke, Peter Orlovsky, Robert Creeley, Lawrence Ferlinghetti, Philip Whalen, William S. Burroughs, Anne Waldman oder Lee Ranaldo.

Als echter Veteran der Hippiebewegung hat Ball so ziemlich alles gemacht, wovon junge Leute heute träumen, wenn sie von der Flower-Power-Revolution hören, die in den Medien gleich der Romantik mystifiziert und idealisiert wird, von der wir immer nur die außergewöhnlichen Erfahrungen einzelner Individuen aus San Francisco, Paris, New York oder London hören. Bei »Hippie« denkt man an Sex, Drogen und Rock’n’Roll, an ein unbeschwertes Leben voll Frieden, Revolution und freier Liebe. Ein wahrlich hedonistisches Zeitalter, dem wir nachtrauern, obwohl die meisten von uns es nur aus Film und Fernsehen, vielleicht noch aus Zeitschriften oder Büchern kennen.

Gerade mal mit dem College fertig, stolpert Ball 1966 in diese verrückte, neuartige Welt und wird unter der Obhut von Jonas Mekas zu einem der zahlreichen jungen Künstler, für immer suchend nach seiner wahren Berufung, nach Bedeutung in Leben und Arbeit. Das romantische Ideal von Jugend, Genie und unendlicher Freiheit war dem damaligen Geist der Hippie- und Künstler-Bewegung innewohnend und hatte auch den jungen Ball mitgerissen. Mit einundzwanzig Jahren gelobte er, sich mit fünfundzwanzig das Leben zu nehmen, würde er sein Ziel bis dahin nicht erreicht haben. Was das genau war, wusste er nicht. Mit seinem Film »Georgia« (1966) erlangt er erste Anerkennung unter den Avantgardisten, arbeitet mit Mekas an der Underground-Zeitschrift »Film Culture«, in seiner Cinemateque und der Filmmakers‘ Cooperative (Coop), und sitzt somit direkt an der Quelle einer neuen Bewegung.

Wie für viele andere, waren auch für ihn die Jahre 1966/67 geprägt von neuartigen Erfahrungen, die er in »’66 Frames« mit den Worten »Sex, Psychedelika und Avantgardefilm« zusammenfasst. In »’66 Frames« gewährt Ball einen flüchtigen Blick in diese für uns so exotische Welt: Sexorgien, ausschweifende Feste mit Künstlern und Freidenkern, wo Kreativität wie ein Strom zwischen den Individuen zirkulierte, und natürlich jede Menge Drogen. Wenn man »’66 Frames« liest, möchte man am liebsten sofort »Revolver« von den Beatles auflegen, LSD, oder, wie Ball sagt, »Acid« nehmen und grooven.

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Er selbst sieht sich nach wie vor als Teil jener Bewegung, die maßgeblich für die sexuelle Befreiung einer rigiden Nachkriegsgesellschaft verantwortlich war, Homosexualität, wenn nicht salonfähig, so zumindest wohnzimmertauglich machte und die Ebenen des Bewusstseins erforschte und vielleicht sogar ein wenig veränderte: »Es gab eine Art spirituelle Revolution. Das war eine großartige Bewegung«, erinnert er sich gerne zurück. »Und die Psychedelika waren gut«, fügt er schmunzelnd hinzu. Unzählige Trips hat er genommen und trotzdem nicht den Verstand verloren – ganz im Gegenteil. Ûber seine LSD-Erfahrung sagt er: »Die ersten fünf oder sechs Mal war es einfach nur Spaß. Ich habe nichts tiefsinnig Religiöses oder Spirituelles gesehen. Beim sechsten Trip wurde es erst ernst und dann erst der vierzigste«, lacht er verheißungsvoll.

In seinem Memoire beschreibt er magische Welten, in denen weiße Energie vom einen zum anderen strömt, Visionen am Himmel erscheinen und er einmal sogar, gemeinsam mit seiner Freundin Candy, den Zirkel des Lebens durchläuft, in dem sie immer wieder sterben und wiederauferstehen, sich alles dreht und wiederholt, bis der Trip zu Ende ist. Und heute? »Die Frage stellt sich für mich nicht. Man hat diese Freiheit nicht mehr. Und dann die ganze Technologie. Damals war es ein Riesending, wenn das Telefon läutete. Es war lustig oder bedrohlich, aber das war nur ein Bruchteil der heutigen Technik«.

 

Im Rausch der Fantasie

Mit detailreicher Genauigkeit schildert Ball Szenen und Dialoge und lässt uns dabei Teil haben am spirituellen Drogenrausch, durchzogen von Liebe und Lust, auf der ewigen Jagd nach neuen Bewusstseinszuständen und Erkenntnissen. So durchstreifen wir gemeinsam mit Andy Warhol die Factory, feiern im Chelsea Hotel Penthouse der Filmkünstlerin Shirley Clarke, treffen Jack Smith – das unangefochtene Enfant terrible der Avantgarde-Szene, der mit seinem orgiastischen Film »Flaming Creatures« die Zensoren aufheulen ließ -, verbringen ein Wochenende auf Millbrook, Timothy Learys »League for Spiritual Discovery«, plaudern mit Ginsberg über Buddhismus und Erleuchtung, Jack Kerouac und den Vietnamkrieg und lassen uns entführen in unbekannte, verbotene Welten.

Zu den psychedelischen Klängen von ungewohnten Gitarren-Riffs und exotischen Instrumenten wie Sitar oder Sarod wird im farbenfrohen, verzaubernden Rausch der psychoaktiven Substanzen getanzt, gefickt und philosophiert. Der Soundtrack seines Lebens liest sich wie die Hitliste des Sonntagmorgen-Programms eines Retro-Radiosenders und besteht aus »Revolver« von den Beatles, »Between The Buttons« der Rolling Stones, klarerweise Velvet Underground, indischer Musik wie der von Ali Akbar Khan oder Ravi Shankar und natürlich: »Dylan. Alle haben ihn gehört. Ihm gefällt das vielleicht nicht, weil er nicht das Zentrum von allem sein will, aber so war es. Ich war immer der Meinung, dass er ein großes lyrisches Talent war. Ginsberg und ich haben ihn sogar für einen Nobelpreis in Literatur vorgeschlagen. Zu LSD haben wir vor allem Sitar-Musik gehört und Beatles«.

Als Verfechter der Liberalisierung von Drogen ist er bis heute der Meinung, dass Cannabinoide und Psychedelika wertvolle Mittel sind, von denen wir nur profitieren können: »Ich glaube, die Werte meiner Generation mit all unseren scheinbar modischen Drogen waren in der Tat älter, traditioneller und viel erprobter, als jene unserer Eltern oder Großeltern. Ihre Werte waren es, die durch das alles verschlingende Monster des Materialismus und des Egos verschoben und vergessen wurden. Unsere waren hermetischer oder gnostischer Natur und Tausende unseres Alters teilten sie. Wir waren entsetzt über die »Overground«-Kultur, die den Krieg anführte, Menschen zum Tode verurteilte und diskriminierte, Sprache für kommerzielle und politische Bereicherung missbrauchte, Konkurrenz für Profit gegen Kooperation, Imagination, Spiritualität und Ästhetik eintauschte und viele von uns ins Gefängnis warf, nur, weil wir durch Kräuter und Chemikalien versuchten, diese alten Werte wiederherzustellen«, resümiert er die Einstellung vieler seiner Generation.

Damals glaubten sie noch, dass sie gewinnen könnten und für eine Weile hatte es auch den Anschein, dass friedlicher Protest, Gemeinschaft und Musik die Menschen zusammenbringen könnten: »Lennons und Onos »Give Peace a Chance« war für Ginsberg und mich besonders. Wir hatten die Hoffnung, dass es so eine Art Mantra geben könnte, das all diesen Kriegsblödsinn durchbrechen würde. Aber der Krieg wurde fortgesetzt und eskaliert immer weiter. Meine Frau hat vor einigen Jahren über Irak gesagt: »Es ist noch immer so als würden wir gegen Hitler kämpfen«. Ich fühle heute eine Hoffnungslosigkeit wie schon seit langem nicht mehr«, so seine ernüchternde Bilanz.

 

Am Ende des Regenbogens

Aber schon 1968, als Ball das ausschweifenden Leben in New York City hinter sich lässt, weil sich seine künstlerischen Ambitionen aufzulösen drohen und sein Bürojob in der Coop ihn zu langweilen beginnt, ist ein Hauch des sich anbahnenden Bruchs spürbar. Auf »’66 Frames« folgt mit »East Hill Farm: Seasons With Allen Ginsberg« (2011) der Aufprall am harten Boden einer brutalen Realität, wo Liebe nicht nur einfach nicht die Lösung ist, sondern in Frage gestellt werden kann. Wie Hunter S. Thompson in der für das Ende des Hippietums emblematischen »Wave Speach« in »Fear and Loathing in Las Vegas« proklamiert, dass die Welle, dieser Traum von Freiheit und spiritueller Befreiung, gebrochen war und sich in schmutzigen Schaum verwandelt hatte, muss auch Ball erkennen, dass seine Vorstellungen kaum mehr als kindliche Träumereien aus einer zu Ende gehenden Jugend waren. »East Hill Farm« ist die reife und erwachsene Sicht eines jungen Mannes, der eine Zeit mit dem Gefühl unendlicher Möglichkeiten gelebt hat und nun erkennen muss, dass alles nur Illusion war. Geplagt von düsterer Erkenntnis, Desillusionierung und der erbitterten Einsicht, dass seine Ziele unerreicht geblieben sind, ist die Entwicklung von »’66 Frames« zu »East Hill Farm« ebenso eine Allegorie auf den Tod der Sechziger wie auf Woodstock und Altamont: »Woodstock bewies, dass jeder zusammenarbeiten konnte und dass Musik wirklich einen spirituellen Wert besitzt, der die Macht hat, alle zu vereinen. Vor allem Hendrix‘ »Star Spangled Banner«. Das war großartig – eine wahre Zeitkapsel. Aber dann, sechs Monate später, ist Altamont passiert«.

Dort sehen auch heute noch viele den Traum von Unschuld und Frieden begraben. In nur wenigen Monaten war damals die Bewegung einem Erdrutsch gleich von der Bergspitze ins Tal gerauscht und hatte auf ihrem Weg viele Opfer gefordert. LSD wurde gegen Speed und Heroin eingetauscht, aus freizügigen und freiliebenden Hippies wurden wieder brave Bürger, manchmal auch Dealer oder Junkies und die Hell’s Angels wurden zu einem Symbol für die dunkle Seite des amerikanischen Traums von Aussteigertum und Freiheit, in dessen Zentrum sich die Rolling Stones mit dionysisch ausschweifenden Festen befanden. So wurde es durch die Medien verkauft und bis zu einem gewissen Teil stimmte es vielleicht auch. Ball selbst weiß: »In uns allen steckt diese negative, brutale Energie. Und dunkle Orte können auch gut sein«.

 

Ginsbergs Farm für gebrauchte Dichter

EastHillFarmJacket1.jpgIn »East Hill Farm: Seasons with Allen Ginsberg« geht es via Ginsberg aber eigentlich um die anderen: um Peter und Julian Orlovsky, Barbara Rubin, Gregory Corso und Herbert Hucke. Darin beschreibt Ball die ernüchternde Erfahrung des Traumes vom harmonischen Zusammenleben auf einer Farm in der Nähe von New York, die ausgebrannten Dichtern der letzten Generation Zuflucht vor dem zu schnell gewordenen Leben in der Stadt, von Drogensucht, Exzessen, Geldnöten und Liebeskummer bieten soll. Sie waren nicht die einzigen. Es war das Jahr 1968 und der Summer of Love hatte sich bereits vor Woodstock und Altamont für viele als ein leeres Versprechen entpuppt. Im Rausch der ausgehenden Sechziger zog es viele der Freiheitsliebenden und Andersdenkenden raus aus der niemals endenden Hektik des Stadtlebens, weg vom Tumult rund um den Vietnamkrieg, auf der Suche nach alternativen Lebensweisen, in der Hoffnung, die verloren geglaubte Nähe zur Natur wiederzufinden: »Viele Leute zogen aufs Land, zum Teil aufgrund von Erfahrung mit LSD oder Meskalin. Allen hat mir erzählt, dass ein Acid-Trip in Wales, wo er das Gedicht »Wales Visitation« geschrieben hatte, ihm geholfen habe, wieder mit der Erde in Einklang zu kommen. Das hat ihn dann dazu inspiriert, die Farm zu kaufen. Viele Leute haben das probiert. Es war idealistisch und in vielen Fällen sehr hart«, erinnert sich Ball zurück. 

Auch die Dorfgemeinde mit dem lieblich-süßen Namen Cherry Valley hält nicht was sie verspricht: in Heroin und Speed getränkte Spritzen finden auch hierhin ihren Weg und lassen Ginsbergs Lanzeitgeliebten Peter Orlovsky in einem Zustand ständiger Paranoia, Aggression und Gewalt. Der Dichter Gregory Corso kämpft mit Heroinsucht und unkontrollierbaren Wutanfällen, in denen er Ginsberg schon mal den Tod androht. Ball und Candy erholten sich damals von einem anstrengenden Gefängnisaufenthalt in Mexiko und hatten erst einmal genug von aufregenden Erfahrungen.

Um einige Jahre jünger als die Dichtergemeinschaft rund um Ginsberg und um einiges nüchterner in jeder Hinsicht, übernimmt Ball die Rolle des Farmmanagers und hat damit einiges zu tun. Mehr als einmal ist der Leser mit der Frage konfrontiert, warum er denn nicht einfach geht? »Hauptsächlich wegen Allen. Ich hatte das Gefühl, wahnsinnig viel von ihm zu lernen. Es gab aber schon einen inneren Konflikt, der sich genau mit dieser Frage beschäftigte. Ich dachte mir: Ich sollte gehen, aber was mache ich dann? Es war oft sehr schwierig. Vor allem mit Peter Orlovsky, wenn er auf Amphetamin war und jeden in den Wahnsinn trieb. Es gab auch einige aufreibende Momente zwischen ihm und Ginsberg oder mit anderen wie Corso«. Warum genau es in die Brüche ging, weiß auch Ball nicht. Es hatte sicher mit dem exzessiven Drogenkonsum der Bewohner zu tun, aber ebenso mit interpersonellen Konflikten, die das Zusammenleben zusätzlich verschärften. Dennoch ging es nicht immer turbulent zu: »Es gab sehr idyllische Momente von wahrer Schönheit zwischen Menschen und auch Tieren«. Doch die »farm for used poets«, wie sie selbst es nannten, war zum Scheitern verurteilt. 1971 verlässt Ball East Hill, zieht für eine Zeit nach San Francisco, arbeitet weiterhin mit Ginsberg zusammen und nimmt schließlich seinen Beruf als Professor für Dichtung, Film und Ginsberg-Forschung auf, den er bis heute hält.

Damals, in den frühen 1970er Jahren, war der Traum endgültig ausgeträumt. Letztendlich war es vielleicht besser so. Auch mit dem Sex sei es heutzutage ganz anders: »Freie Liebe ist viel komplizierter geworden. Angesichts der ganzen sexuell übertragbaren Krankheiten, die damals unbekannt oder inexistent waren, ist das mittlerweile eigentlich undenkbar. Es ging damals aber nicht nur ums Vergnügen. In unserer Gesellschaft war Sex unmittelbar mit Scham und Verlegenheit verbunden. Wir hofften, neue Formen menschlicher Beziehungen zu begründen. Ich glaubte, man könne Affektion für mehr als eine Person gleichzeitig fühlen und das durch Sex ausdrücken. Aber Eifersucht und andere Probleme machten das schwierig. Ich möchte dennoch glauben, dass unser sexuelles Experimentieren dazu beigetragen hat, dass weibliche Lust ebenso ernst genommen wird wie männliche«.

Die alten Fragen

Auch heute, dreiundvierzig Jahre nachdem er die Farm verlassen hat, ist Balls Erinnerung ungetrübt. Wie bei seiner Arbeit mit Film, wo er einfach drauflosfilmt, aufzeichnet und danach zusammenschneidet, oder eben auch nicht, sind »’66 Frames« und »East Hill Farm« fragmentarische Dokumentationen seiner Jugend: »Bei »’66 Frames« ging es mir vor allem darum, ein Dokument von damals zu haben, Artefakte zu bewahren, sich an Menschen zurückerinnern und in Kontakt mit jenen zu bleiben, die noch am Leben waren. Bei »East Hill« war es etwas diffuser. Ich habe oft aufgehört und wiederangefangen. Es war schwierig, einen Verlag zu finden. Ich glaube, alles in allem habe ich fünfundzwanzig Jahre dafür gebraucht«.

Seine Bücher und Filme zirkulieren dennoch immer wieder um die alten Fragen von Leben und Tod und behandeln ihre Nähe, hinterfragen ihre Bedeutung. Die Vergangenheit wird darin mit dem Licht der Gegenwart kontrastiert, stellt Bezüge her und vermischt sich. Im Grunde ist Ball ein Beobachter, ein Dokumentar, ein Zeitzeuge des Lebens selbst: »Man braucht sicher eine Art Distanz. Man kann auch ein aktiver Agent sein, ein acteur, und in der Mitte des Geschehens sein. Ich habe aber eher einen Schritt zurück gemacht und beobachtet. Es war irgendwie auch meine Rolle. Immerhin waren das Allens Freunde und viele schon seit langem. Manchmal musste ich eingreifen, obwohl ich es nicht wollte. Einerseits war das so, weil ich ein Angsthase bin und meinen Hals nicht hinhalten will [lacht]. Andererseits glaube ich an die Ungewissheit: Dinge erscheinen in einer Weise und sind dann oft ganz anders«.

Er filmt nach wie vor täglich: die Dinge um ihn herum, Menschen, sich selbst. Wie sein damaliges Vorbild Jonas Mekas es ihm beigebracht hat: »Ich nehme viel Footage auf. Es gibt nicht unbedingt eine Idee und ich weiß auch nicht, ob ich immer eine haben will. Normalerweise habe ich keine Ahnung was ich mache und so arbeite ich«, lacht er.

Bei seiner Lesung in der Schule für Dichtung in Wien erweckt Gordon Ball die Zeilen seiner Bücher zum Leben, ist wieder einundzwanzig. In seiner Lesart merkt man die Nähe zu Allen Ginsberg. Es ist wieder das Jahr 1966 und alles ist möglich.

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Cover der DVD-Kollektion mit »Georgia« (1966), »Father Movie« (1978), »Mexican Jail Footage« (1980), »Do Poznania [To Poznan]: Conversations in Poland« (1991), »Sitting« (1977), »Enthusiasm« (1979), »Millbrook« (1985) und einem 35-Minuten-Interview mit dem Archivar Tom Whiteside.
Canyon Cinema Coop./Filmmakers‘ Coop./Re:Voir, 2011.

Home / Kultur / Readable

Text
Manon Steiner

Veröffentlichung
12.07.2014

Schlagwörter

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