Obwohl Kenji Araki erst vor etwas mehr als einem Jahr so richtig auf der Bildfläche erschienen ist – skug berichtete –, vermochte er in dieser Zeit einiges an Eindruck zu erwecken. Er bespielte alles, was Rang und Namen hat: von Festivals mit Kirtagcharakter wie ImPulsTanz, Popfest und Ars Electronica, über speziellere Events wie Heart of Noise und Unsafe+Sounds, bis hin zu einschlägigen Venues wie rhiz, Flucc und galerie5020. Sein Name war Ende 2022 in etlichen Listen zu finden, was die vorsichtige Zuversicht zeitigt, wohl noch öfter von dem Musiker zu hören, und einige Institutionen wie FM4, mica – music austria, »DerStandard«, »The Gap« und »Falter« berichteten begeistert. Trotz der Maschinerie, die v. a. von Arakis Label Affine Records meisterhaft in Gang gesetzt wurde, umgibt den Künstler keine Wolke heißen Dampfes frühen Verheizens, sondern eher ein Image der Grandess und hohen Erwartung. Das trailblazing zum Verkaufsschmäh stilisierte »HHV Mag« tönte sogar, Araki mache Musik, »die Modeselektor in 25 Jahren als heißen Scheiß kuratieren werden«.
Hohe Erwartungen also, doch kann das zweite Studioalbum diese erfüllen? Zuvorderst fällt auf, dass »Hope Chess« keine Neuauflage von »Leidenzwang« darstellt, sondern in vielerlei Hinsicht andere Wege geht: Die Bandbreite der zugrundeliegenden musikalischen Ideen ist (noch) größer, die Auswahl der Tracks zeugt von Sicherheit dem eigenen Ausdruck gegenüber, die verwendeten Sounds sind abwechslungsreich – das zweite fühlt sich also weniger als das erste wie ein Konzeptalbum an – und es gibt einige Features von ebenfalls in Österreich ansässigen Musiker*innen, was Vertrauen in hiesige Musikproduktionen ausdrückt und weniger über den Tellerrand schaut, als den eigenen Teller mitzugestalten versucht.
»ACCUMUL8« klingt wie eine Komposition des außerirdischen Pendants von Yann Tiersen, etwas kitschig und im Dreivierteltakt, doch rough und raspelnd genug, um aufmerksam zu machen und gespannt sein zu lassen, was denn da wohl noch kommen möge. »Haushaltsmontage« erinnert an den unvergleichlichen Stil von Bibio und bildet eine kurze Überleitung zum titelgebenden Track »Hope Chess«, an dem der junge Wiener DJ und Produzent Yuri Binder aka YBsole partizipiert. Die Kooperation mit dem Wiener Produzenten und noch unbeschriebenen Blatt KoiFin in Form von »Iliok« ist eine verträumte und raumgreifende Synthesizer-Ballade mit zaghaften Rhythmuseinsätzen und bereits auf »Leidenzwang« gern verwendeten gebrochenen Akkorden. »Bite My Tongue« ist eine durch ihre Dynamik auffallende Kooperation mit der durch Orchestermusik und klassischen (Chor-)Gesang, aber ebenso durch elektronische Musik geprägten Songwriterin SISKA. Die wohl renommierteste Musikerin aus der Feature-Liste ist die 2020 durch ihre Hyperpop-Hymne »Crime« bekannt gewordene Anthea, mit der zusammen Araki die kraftvolle Ballade »Glitter« vorlegt. »Fuck Hope« rekurriert auf den Titeltrack und lädt dazu ein, auf einer leistungsstarken Clubanlage gespielt zu werden.
Ein weiteres verspieltes Intermezzo stellt »Stasis« dar, das zum letzten Feature des Albums überleitet, »Pillow«, einer Zusammenarbeit mit YBsole und The Roomate, in Form eines traurigen und berührenden Songs über Beziehungskrisen und ähnliche Betrübnisse. Thematisch und musikalisch setzt »Chrystal Necklace« direkt an der vorigen Nummer an. »Pyre« bricht mit dieser Stimmung und stellt ein spannendes Experimentieren mit Stimme und in ihrer Intensität ansteigenden elektronischen Sounds dar – der Track wandert definitiv in meine digitale Plattenkiste. »SUBSTR8« ist mit fast sechs Minuten der längste Track des Albums, eine großartige Soundschau in epischem Gewand im Stile von Plaster oder Sturqen. »Ok Bye« ist ein kurzer und spaciger Rausschmeißer im Stile von Jimi Tenor, der auf interessante Art und Weise ein angenehmes Gefühl der Konklusion erzeugt.
Als Fazit lässt sich sagen, dass Araki mit »Hope Chess« ein Album vorgelegt hat, das seinen Stil gleichermaßen festigt wie erweitert und dessen abwechslungsreiche und innovative Ideen ganz zum Anliegen von Affine Records passen, einen distinkten Sound zu kreieren, der mit dem Label und Wien im Allgemeinen assoziiert werden kann.