Ludwig Hirsch hatte »Dunkelgraue Lieder«, Georg Kreisler schrieb »Everblacks«. Sir Tralala hat nun seine eigene Version davon, nämlich »Echt gute böse Lieder« in Albumform zusammengestellt. Warum es manchmal gut ist, über das Böse zu singen, und was daran heilsam sein kann, darüber haben wir uns mit dem Sir höchstpersönlich unterhalten.
Lieber David, ich hab’ nachgesehen: »Escaping Dystopia«, das vorletzte Album, ist jetzt neun Jahre alt. Wo steht Sir Tralala nun? Was ist Sir Tralala und worin bestehen die Freiheiten zur bürgerlichen Existenz des David Hebenstreit?
Sir Tralala ist ja keine Existenz im Sinne einer zweiten personellen Identität, sondern der Künstlername, der einem von meinen Projekten Identität gibt, wenn man so möchte. Das ist eine Bühnenfigur. Mit dieser Bühnenfigur kann ich aber auch andere Identitäten ausprobieren, Sprache ausprobieren und somit neue Zugänge zu ein und demselben Thema finden.
Dein neues Album trägt ja den schönen Titel »Echt gute böse Lieder«. Lass uns doch über das Böse reden: auf dem Album, in den Liedern. Wie boshaft ist Sir Tralala? Kannst du als Sir Tralala böser sein?
Ich denke nicht, dass es bei Sir Tralala darum geht, boshafte Ambitionen auszuleben. Eher im Gegenteil. Wenn ich wirklich boshaft bin, geht es mir nicht gut dabei. Fürs letzte Album hab’ ich mir unter anderem überlegt: Welche Sprache verwende ich, um dysfunktionale Verhältnisse darzustellen. Die Sprache selbst, die ich dabei verwende, ist nicht unbedingt die Sprache, die ich sonst als Privatperson verwende.
So, wie in dem vielleicht textlich unbequemsten Lied des Albums, »Schiach«, das auch auf Ö1 Airplay bekommt, in dem es ja wirklich nicht gerade fein zugeht?
Ja, »Schiach« ist ein hässlicher Song. Der gleich zu Beginn einen zweifelhaften Charakter in den Raum stellt und gegen Ende auch politisch wird. An einer Stelle singe ich z. B. von einer Person, die hat einen »Neger, der die Scheine zählt«. Ich hätte auch singen können »Sklaven des Geldes«, aber diese Wortwahl wäre mir nicht schiach genug gewesen. Ich stelle schlechte Werte dar, Herangehensweisen, die Leid und Schaden verursachen. Und im Grunde ist es Kritik, auch Kritik an struktureller Gewalt und Ausbeutung. Auch wenn das Lied vielleicht nicht offensichtlich kritisch konnotiert ist. Die Musik sollte die Brutalität erfahrbar machen und der Gesang darüber grotesk klingen, jenseits einfacher Konnotation. Vielleicht am ehesten noch machtlos und verzweifelt darüber, dass manche Dinge so sind, wie sie sind. Vielleicht ist es in Wahrheit auch so: Je machtloser man sich dem Bösen gegenüber fühlt, desto mehr neigt man dazu, es zu tolerieren. Wie hält man das Ganze sonst aus? Wenn man nicht aufpasst, dann beginnt man vielleicht sogar selber damit, einen Lustgewinn daraus zu ziehen.
Warum ist es gut, Böses zu besingen? Bei dem Titel musste ich auch irgendwie an die »Everblacks« von Georg Kreisler denken.
Es ist nicht gut, Böses zu besingen. Wenn, dann ist es eher gut, über Böses zu singen. Und wer oder was ist böse. Ich glaube sogar, dass die wenigsten Menschen wirklich böse sind. Es sollen die Prozesse entlarvt werden, die Böses schaffen. Und dann Interventionsmöglichkeiten gefunden werden. Es gibt einen Ton Steine Scherben Song, der heißt »Macht kaputt, was euch kaputt macht«. Ich interpretiere diesen Satz immer so, dass man nicht die Menschen umbringen soll, die einen töten, sondern die dysfunktionalen Prozesse, die Menschen dazu bringen, sich gegenseitig Dinge anzutun. Prozesse, die im Inneren des Menschen stattfinden und im gesellschaftlichen Zusammenhang. Wir sind da leider noch nicht sehr weit. Das Ende von »Schiach« handelt von einem Islamisten, der sich in die Luft sprengt: »Ein junger Mann, der macht sich hin. Weil im Himmel warten 40 Jungfrauen auf ihn. Schiach.« Aber die meisten Songs auf dem Album sind nicht so brutal wie dieser. Und manche verfolgen einen direkt heilsamen Anspruch.
Also im Sinne von Katharsis, Analyse oder auch Spiegelung? Im »Hundsblues« geht es ja dann sogar um einen Mörder.
»Hundsblues« … Ich weiß nicht, ob der heilsam ist. In diesem Song hab’ ich einfach versucht, mit einer derben Sprache Knast nachzuvollziehen. Ich weiß nicht, ob mir das gelungen ist, denn ich war noch nie inhaftiert. Für mich persönlich funktioniert der Song aber als Metapher gut. Und man kann sich auch eingesperrt fühlen, obwohl man gar nicht eingesperrt ist. Man kann auch das starke Gefühl einer Sucht in sich tragen, ohne zu wissen, wonach man überhaupt süchtig ist. Ohne jemals in seinem Leben Drogen genommen zu haben. Ich glaube auch nicht, dass das Ende in diesem Song wirklich funktionell heilsam ist. Das Lied endet damit, dass der Protagonist in die Wolken fliegen will, um dort mit einem Engel bis in die Ewigkeit zu schlafen. In der Metapher schwingt sexuelles Verlangen mit, und auch etwas Paradiesisches, das aber mit dem Tod zu tun hat und der hedonistischen Verweigerung, realen Problemen auf einer gesunden und konstruktiven Ebene zu begegnen. Das Ende des Songs ist eine Erlösungsfantasie, die meiner Meinung nach genauso dysfunktional ist wie das Gefängnis zur Bekämpfung von Symptomen, die eine kaputte Gesellschaft hervorbringt.
Der Charakter im Lied »I sauf« ist ja auch gewissermaßen in einem Gefängnis.
»I sauf«, das ist ein Text, der auf einem Text von Mary Gauthier basiert, der wiederum auf einem anderen Zitat basiert. Im Grunde ist das ein Alkoholismus-Song. Eigentlich ein Familiendrama. Das Leid einer dysfunktionalen Familienstruktur wird an die nächste Generation weitergegeben, der Alkoholismus ist symptomatisch. Der Vater säuft, weil etwas nicht passt. Oder vielleicht ist es auch umgekehrt und es passt etwas nicht, weil der Vater ständig besoffen ist. Vermutlich trägt die Mutter auch ihren Teil dazu bei. Vor allem fehlt es an Sprache, um den Teufelskreis zu durchbrechen. Nicht nur körperliche Eigenschaften sind vererbbar, sondern auch Beziehungsmuster, die kaputt machen. Das Absurde in dem Song ist, dass das erwachsen gewordene Kind des Säufers den Teufelskreis der Vererbung durchbricht, indem es sein eigenes Los als Säufer akzeptiert, auf Beziehung und Kinder verzichtet, und in Einsamkeit säuft. Mit den Worten »I waß, wos i bin, aber irgendwos is hin.« Leider wirkt der Song manchmal ein wenig kabarettistisch, wenn ich nicht aufpasse. Vor allem auf der Bühne. Das hängt jedoch auch oft vom Publikum ab. Einige lachen bei dem Song. Vielleicht deshalb, weil alkoholkranke Menschen manchmal lustig torkeln. Eigentlich finde ich das nicht immer schlimm oder unangebracht. Wenn ein Mensch jemanden sieht, dem es nicht so gut geht, weil er sich patschert anstellt, und darüber befreit lacht, weil er froh ist, dass es ihm selber nicht so geht, dann kann ich das doch in Ordnung finden. Man muss nicht immer betroffen reagieren. Wenn aber ein Mensch lacht, weil es einem anderen Menschen schlecht geht, ist das schlimm. Das ist eine andere Art von Lustgewinn. Das ist böse. Harter Alkoholismus ist etwas richtig Grausliches. Als ich etwa vier Jahre alt war, war ich mit einer von meinen vier Großmüttern im Wiener Schweizerhaus. Es war schon spät und dunkel und als wir aus dem Gastgarten rauskamen, lag da ein Mann in seinem Erbrochenen unter der Straßenlaterne und aus der Küche kam ein Koch gerannt, der hat einen Kübel mit Abwaschwasser über ihm ausgeleert und ihn angeschrien, er soll sich schleichen. Meine Großmutter – eine eher korpulente Wienerin, die ohne Probleme mehrere Krügerln Bier vertragen konnte – stand neben mir und lachte schallend, fast schon hysterisch. Aber grotesk, ohne Fröhlichkeit. Obwohl ich damals noch so klein war, kann ich mich bis heute daran erinnern. Ich glaube auch nicht, dass dieses Lachen ihr Freude bereitet hat. Und ich erinnere mich, dass in dieser Szene unter der Laterne eine Brutalität wohnte.
Wie bekommt man vier Großmütter?
Ich hatte eine Urgroßmutter, zwei Großmütter und eine Stiefgroßmutter. Zwei Großmütter lebten in Kärnten, eine in Wien, und meine Urgroßmutter war ein Findelkind am Wiener Naschmarkt. Jemand hatte sie dort als Baby in einem Korb ausgesetzt. Auf diese Naschmarkt-Herkunft bin ich von Herzen stolz. Meine Urgroßmutter hat manchmal geträumt, sie wäre das Kind eines reichen Prinzen, der sich in eine Dienstmagd verliebt hatte. Ich vermute aber eher, ich hab’ Zigeunerblut in mir, obwohl man Zigeuner nicht sagt, aber ich find’ das persönlich nicht schiach. Im Gegenteil, der Begriff Zigeuner ist für mich seit jeher positiv besetzt. Vielleicht sehe ich das zu romantisch. Vielleicht erklärt das alles auch, warum ich mir schwer tu’, ein Heimatgefühl zu entwickeln.
Aber dein Wayfaring Stranger im Song »Der uroide Wanderer« ist doch der Tod? »Waun i bei dir bin, bring i di ham …«
Hm … Da hab’ ich ein altes Traditional adaptiert. Im Original erzählt das literarische Ich von seiner Reise in die Heimat. Und diese Heimat liegt hinter dem Jordan, und dort warten seine Leute auf ihn. Diese Reise ist natürlich eine Metapher für den Weg durch das Leben. Und am Ende, wenn der Protagonist stirbt, dann ist er zuhause. In meiner Version ist das verschoben. Der Protagonist, das literarische Ich, ist der Tod himself. Er geht am Abgrund, er geht über das Wasser und er geht am Blut von einer Geschichte. Ich hab’ mich hier auch mit der historischen Form des Traditionals gespielt, das ja praktisch von Veränderung im Rahmen von Überlieferungsprozessen charakterisiert ist. Der Spaß daran war, hier einfach einen Riesenzeitsprung zu tun und den Sinn des Textes komplett zu verändern, mir diesen selbst völlig neu zu überliefern und mir dadurch zu eigen zu machen.
Deswegen steht der Song bei dir wohl auch am Anfang und leitet deinen Liederreigen quasi ein. Das »Biachl« im darauffolgenden Lied ist vielleicht auch eine Sammlung von Geschichten, die sich über den Lauf des Lebens dieser älteren Frau, um die es in dem Lied geht, angesammelt haben. Wir geben Geschichten weiter. Vielleicht aber sogar ganz fundamental die Fähigkeit, Geschichten zu sammeln und zu erzählen?
»Der uroide Wanderer« steht am Anfang, weil er für mich am besten dorthin gepasst hat. Für den Text zu »Biachl« ist zu einem großen Teil mein jüngerer Bruder verantwortlich. Er hat vor über 20 Jahren einen Song geschrieben, der hieß »Sketchbook«. Das Sketchbook war ein Biachl, in das die Protagonistin seines Songs ihre eigenen »Songs of Love and War« hineingeschrieben hat. Und diese Textzeile ist wiederum eine bewusste Anlehnung an den Titel eines Leonard-Cohen-Albums, das mein Bruder zu der Zeit gehört hatte: »Songs of Love and Hate«. In seinem Text kommt auch ein weiteres Leonard-Cohen-Zitat vor, und zwar »I don’t like these drugs that keep you thin«. Nachdem »Biachl« im österreichischen Dialekt gehalten ist, wurden dann daraus die »Puiverln, von den’s o’gnumman hod«. Was es aber genau mit diesem Büchlein auf sich hat, das weiß ich nicht. Vielleicht ist es so etwas wie die Büchse der Pandora. Die Hüterin des Büchleins vermutlich eine Femme fatale, mit der man aber Mitleid haben muss, weil sie selbst auf der Suche nach Liebe ist. Sich dabei aber ordentlich selbst schädigt, beschädigen lässt und auch alles, mit dem sie zu tun hat, beschädigt.
Demnach ist die Femme fatale vielleicht nicht nur – im positiven Sinne – eine emanzipierte, selbstbewusste Frau, sondern auch eine – nun von der negativen Seite betrachtet – beschädigte Frau? Schön fand ich im Song ja, dass ihre Sicht auf den Ich-Erzähler weitergegeben wird: »Sie hod mir aus ihr’m Leb’n dazöht und hod mir g’sogt, wos ois ned richtig lauft bei mir«. Und dann später ist es das Biachl des Ich-Erzählers. Und dann noch: »Und mit’n erst’n Wurt, wos i dazöht hob, hod sie g’wusst, i bleib niemals bei ihr.« Eine einsame Frau?
Vielleicht ist dieser Mensch eine Frau, die alles tut, wonach es sie drängt. Das bedeutet aber nicht, dass sie emanzipiert ist. Kleine Kinder agieren auch so, die machen sogar in die Windeln. Ich empfinde das eher als unreif und nicht als emanzipiert. Emanzipierte Frauen sind stark. Die Frau in dem Song ist gebrochen, nimmt andere mit in die Tragödie und lässt sich selbst weiter brechen. Das einzig Positive an ihrer Rolle in dem Lied ist, dass sie an einer Stelle im Text als abschreckendes Beispiel funktioniert, dort wo sie dem anderen Protagonisten das Leben erklärt. Aber selbst das geht schief. Und der kleine Kater, den sie im Garten findet und dem sie ihre Liebe gibt, überlebt nicht einmal die erste Nacht. Man muss ihr zugutehalten, dass das Katzerl bereits fast tot war, als sie es gefunden hat, und man hat den Eindruck, sie hat zumindest probiert, es aufzupäppeln. Vielleicht ist es aber auch so, dass sie vor allem diejenigen Männer findet, die auch von sich aus den Drang mitbringen, zerbrechen zu wollen. Und diejenigen Männer, die sich von ihr nicht zerbrechen lassen, können sich nur emanzipieren, indem sie diese Frau weiter zerbrechen. Und sie lässt es zu. Es ist auf jeden Fall ein tragischer Song. Und als Musik hab’ ich schmalzigen Country dazu produziert. Dieser Musikstil, den ich mir da ausgesucht hab’, trägt dann seinen Teil dazu bei, dass das Lied aber gleichzeitig auch das komischste Lied vom ganzen Album ist. Das ist durchdacht. Weil man so viel Tragik sonst gar nicht aushält. Ich wollte ja eigentlich 70 Prozent Tragik und 30 Prozent Komödie in dem Song. Man kann jedenfalls durchaus froh sein, wenn die eigene Beziehung dann doch nicht so arg ist. Vielleicht brauchen Menschen das Leid anderer, um zu merken, dass es ihnen gut geht? Das wäre Teil eines kathartischen Zuganges – den hatten auch die alten Griechen im Theater. Im Gegensatz zum Theater bei Bert Brecht.
Um eine arge Beziehung in der Vergangenheit des Protagonisten geht es ja dann auch in »Du liebe Sau«.
Ja, wobei das Lied keine Tragödie ist. Es geht zwar um eine dysfunktionale Liebesbeziehung, wo sich ein Protagonist in einen schizoiden Zustand versetzt sieht, unter dem er verzweifelt leidet. Das Schöne an dem Lied ist, dass er sich langsam seiner eigenen Selbstaufgabe bewusst wird und einen Grant entwickelt. Der Grant fokussiert sich zuerst auf seinen Beziehungspartner, jedoch kann er sich am Ende zumindest soweit glücklich emanzipieren, dass er seinem Partner nicht den Kopf abhacken muss, um sich zu befreien. Ich bin der Meinung, Zorn ist etwas Großartiges, wenn man ihn richtig kanalisiert. Zorn ist ein gutes Mittel, um die eigene Sprachlosigkeit zu beseitigen. Und sprechende Menschen wiederum können böse Sachen ins Positive verändern. Man sollte Zorn von der Liste der Todsünden streichen. Zorn ist weder gut noch schlecht. Zorn ist zuerst einmal ein Gefühl. Die Frage ist, wie man mit dem Zorn umgeht, welche Handlungen er zur Konsequenz hat. Hin und wieder muss man einfach mal auf den Tisch hauen. Hass hingegen ist schlecht. Hass gehört auf die Liste der Todsünden. Vorm Hass sollte man sich hüten.
»Du liebe Sau hast mir mei Herzerl versaut.« Lebt es sich am Ende dieser Emanzipation mit einem versauten Herz besser?
Ja, so geht der Refrain: »Du liebe Sau hast mein Herzerl versaut«, der Protagonist hatte vielleicht andere Vorstellungen von Beziehung als seine Partnerin. Nur weil sich zwei Menschen gefunden haben, wo die Verliebtheit auf beiden Seiten vorhanden ist, bedeutet das noch lange nicht, dass die sich nicht irgendwann vor lauter Hass die Köpfe abreißen. Liebe war noch nie eine Garantie für eine funktionierende Beziehung. Man kann sich in Menschen verlieben, vor deren Verhaltens- und Denkweisen man in einem Zustand der Nüchternheit normalerweise sofort Reißaus nehmen würde. Eine Beziehung muss man zusammen auf mehreren Ebenen organisieren können, sonst geht das schief. Wenn diese Organisationsfähigkeit nicht vorhanden ist, kann die Liebe noch so stark sein. Vielleicht macht eine starke Liebe die Beziehung sogar noch schlimmer, weil sich dadurch die Diskrepanz der Gefühle, die man seinem Partner gegenüber empfindet, noch weiter erhöht. Wer möchte freiwillig derart starke Ambivalenzen, die noch dazu innerhalb einer nicht organisierbaren Beziehung stattfinden, aushalten? Das Problem des Protagonisten in dem Song ist aber vor allem, dass er sich gedacht hat, wenn er sich für seine Partnerin selbst aufgibt, wird alles gut. Ein bisserl blöd ist er schon, er sieht diese Selbstaufgabe selbst als Teil eines Deals, er schneidet sich extra den Bart für sie ab und so Sachen und dann ist er beleidigt, weil sie es nicht richtig honoriert. Und dann verstümmelt er die eigene Individualität immer weiter. Und er erwartet sich etwas dafür. Bekommt aber nix zurück. Und am Ende steht er da, nackt, und kann alleine nicht mal mehr entscheiden, welche Socken er anziehen soll, weil er jahrelang ihre Lieblingsfarben getragen hat. Und er gibt natürlich seiner Frau die Schuld. Weil sie hat ihn ja dazu gebracht. Eigentlich hat aber er – vermutlich, weil er blind vor Liebe war – zugelassen, dass sie seine Sockenfarbe aussucht. Er hat sie geliebt, diese Sau. Eigenartigerweise habe ich diesen Song geschrieben, als ich in einer doch zufriedenen Beziehung war. Ich hab’ meiner damaligen Freundin den Text gezeigt, und sie hat gesagt: »Aber Schatzi, eine liebe Sau gibt es doch gar nicht.« Ich selbst mach’ es mir ja einfach, weil mir waren die Farben meiner Socken immer schon wurscht. Ich ziehe prinzipiell die Socken an, die am wenigsten Löcher haben. Egal ob Single oder nicht. Das ist eine Individualität, die man mir schwer nehmen kann.
Um Liebe geht es ja dann auch im poppigsten Song »Zombie«.
In »Zombie« geht es um eine andere Art von Beziehungsdrama. Das ist fast schon das Gegenteil von »Du liebe Sau«. In dem Lied sind die Protagonisten nur noch damit beschäftigt, ihre Organisationsebenen und Individualität auf die Reihe zu kriegen. Die Liebe als innige Form der Zuneigung findet keinen Ausdruck mehr, sie funktioniert nicht mehr, weil die Partner nur noch damit beschäftigt sind, zu funktionieren. Der Protagonist verzweifelt über die eigene Gefühlsarmut und über die Ignoranz seiner Partnerin. Er ist ein Zombie, er spürt sich nicht mehr, er möchte sein Herz rausreißen und ihr das Maul damit stopfen, weil ihre Sprache nicht geeignet ist, um ihn oder beide von ihrem Zombiedasein zu erlösen. Und selbst als sie ihm Blumen schenkt, zertrampelt er diese, weil auch diese oberflächliche Geste für ihn im Grunde nichts anderes als eine Höflichkeit darstellt. Er entscheidet sich dann für die Radikalkur: »Zünd’ das Badezimmer an, küss’ mich wie beim ersten Mal, in unsrer Krone fehl’n die Zacken, unsrem Thron, dem fehlt der Saal«. Und es funktioniert, aber wie!
In »Zombie« wird dann ja wenigstens zueinandergefunden, das ist doch versöhnlich. Entschieden düster und beklemmend setzt da schon »Stirb langsam« an. »Wenn du tot bist, wenn du tot bist, dann werd’ ich …« und dann kommt der große, schwarze Vogel.
Bei »Stirb langsam« war es so, das ist im Laufe mehrerer Jahre entstanden, ich habe viele verschiedene Versionen davon aufgenommen und es sind immer mehr Ideen und Skizzen dazugekommen, manche hab’ ich in die finale Version eingebaut, anderes wieder fallengelassen. Manche Teile kommen auch in meiner Adaption von Mozarts »Lacrimosa« vor, die ich für einen Kinofilm gemacht hab’. Nun, als ich mit dem Mischen der Songspuren fast fertig war, hat mir mal ein Kindergartenkind die Melodie von Bruder Jakob vorgesungen, aber mit dem selbst gedichteten Text: »Wenn du tot bist, wenn du tot bist, dann werd’ ich alles von dir erben, ding dang dong«. Ich hab’ gefragt, ob ich das aufnehmen darf, und dann hat mir das Kind seine Textzeilen im Tonstudio eingesungen, aber mit dem Text: »Wenn du tot bist, werd’ ich gar nix von dir erben«. Diese Produktion ist sehr penibel konstruiert. Ich wollte da etwas Unschuldiges reinbringen, das die Verantwortungslosigkeit anklagt, von der der Song unter anderem handelt. Kinder dürfen unschuldig sein, sie müssen noch keine Verantwortung übernehmen. Aber sie müssen vielleicht eines Tages, wenn sie erwachsen sind, den ganzen Scheißdreck bewältigen, der ihnen von verantwortungslosen erwachsenen Arschlöchern hinterlassen wurde. Natürlich erben die Kinder den ganzen Scheißdreck und dieser Scheißdreck ist kein gutes Erbe, also »gar nix«. Und da kann man auch konkret werden, es gibt viele Beispiele dafür. Im Ärmelkanal zum Beispiel, dort hat man tonnenweise radioaktiven Müll versenkt. Jahrelang. Das Zeug liegt immer noch dort. Unfassbar eigentlich, weil man längst weiß, wie gefährlich dieses Zeug ist, und keine Regierung kümmert sich darum. Derweil gibt es noch kaum Auswirkungen, aber das alles wird den nächsten Generationen hinterlassen. Die müssen das auf die Reihe kriegen. Und das ist keine Metapher. Aus den Augen, aus dem Sinn und wenn den Urenkerln beim Fisch essen die Haare ausfallen, sind die Verursacher längst tot. »Stirb langsam« ist in diesem Sinne eine radikale Ansage, da formuliert sich der Zorn aus einem Gefühl der Machtlosigkeit heraus. Die Ursache für den Zorn steckt aber nicht in einer Paarbeziehung oder einem gruppenpsychologischen Kontext. Hier geht es um Kritik an größeren Strukturen. Kritik an struktureller Gewalt und an denen, die diese Strukturen aufrechterhalten und Gewinne aus deren Erhaltung ziehen. Es ist Kritik an der strukturellen Verarsche im großen Stil. »Zehntausend Monster sitzen in deinem Schoss und deine Fabriken sind größer als groß« heißt eine Zeile. Irgendwo hab’ ich vielleicht gehofft, dass man mit so einem Song dem mächtigen Arschloch vor Augen halten kann, dass die Funktion seines Schließmuskels spätestens zum Zeitpunkt der Altersschwäche versagen wird. Und ihm zur Möglichkeit verhelfen, rechtzeitig auf die Idee zu kommen, dass es vielleicht einen Zeitpunkt geben wird, wo er im Angesicht des Todes erkennen könnte, dass die Leute, die er auf dem Gewissen hat, sich freuen, dass die Sau endlich wegstirbt. Ein bisschen so wie in der Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens. Ich hab’ die schon als Kind geliebt. Die beste Gnackwatschengeschichte im Namen des Humanismus, die ich kenne. Was kann es Schlimmeres geben, als im Angesicht des Todes zu erkennen, dass man nicht geliebt wurde. Dass die Menschen nur da waren, weil sie von einem abhängig waren und keine andere Wahl hatten. Leider befürchte ich, dass solche musikalischen Interventionen bei einem richtigen Arschloch gar nicht funktionieren. Jedoch bleibt die Möglichkeit, auf musikalischem Wege meinungsbildend zu sein und Werte, die ich gut find’, zu stärken. Das ist meine Möglichkeit als Musiker, Einfluss zu nehmen, manchmal auch im politischen Sinne. Auch wenn ich vielleicht nur tausend Leute damit erwisch’.
Du sagtest, du hast vorher verschiedene Skizzen für den Song gemacht und viele auch wieder verworfen – was war der erste Grundimpuls für dieses Lied?
Ursprünglich sollte »Stirb langsam« als Metapher einen Punkt in einem Loslösungsprozess beschreiben. Allgemein gehalten, keine reale Situation beschreibend. Die Grundlage war ein persönliches Gefühl des Sich-nicht-befreien-Könnens. Da haben Lebensumstände eine Rolle gespielt, die ich für mich als bedrohlich eingestuft hatte. Es kann passieren, dass man im Leben an einen Punkt kommt, wo man sich wünscht, Altes umzubringen, damit man etwas Neues angehen kann. In meiner Situation ging es aber nicht um den physischen Tod. Es ist nicht gut, daran zu glauben, dass der physische Tod eines Menschen, dem man die Schuld an etwas gibt, Erlösung bringt. Das Sterben bezog sich auf etwas, wofür ich keine Sprache finde. Strukturen, Prozesse, Abhängigkeiten etc. Vielleicht ist es so, dass man etwas, wofür man keine Sprache hat, gedanklich auch nicht sofort auflösen oder umbringen kann. Dennoch kann man für sich definieren, dass es da ist, auch wenn man es nicht genau benennen kann. Das ist schon mal ein Anfang.
Dann kommen wir zum letzten Song. Dieser endet mit »Die Welt ist so schön«, wie passt das nun? Und da singst ja gar nicht du selber. Obwohl die erste Hälfte vom letzten Titel ja immer noch sehr düster ist … also generell könnte man nach dem Album glauben, die Welt ist eher schiach als schön.
Eigentlich ist die Welt schön, auch wenn sie oft grausam ist. Für die Grausamkeiten muss eine Sprache gefunden werden und dann muss man das Grausliche bearbeiten und wenn man sich auf dem Schönen ausruht, darf man nicht darauf einschlafen, sonst kriecht einem das Grausliche überall rein. Aber den Text zum letzten Lied hab’ nicht ich geschrieben, sondern Pepi Helm, der Wirt vom Dreier Wirtshaus, einer rustikalen, kulturell wichtigen Perle in Zwerndorf, mitten im öden Marchfeld, nahe der Grenze im wilden Osten Österreichs. Ich habe oft den Eindruck, in dieser Gegend dem Tod näher zu sein, als sonst wo in Österreich. Wenn man mit dem Auto hinfährt, liegen da ständig tote Tiere auf der Straße, in der Gegend wird außerdem auch recht gern geschossen, die Jagd ist im Sinne der Nahrungsbeschaffung sehr beliebt. Und der Pfarrer dort hat eine Knarre, eine Freundin und eine psychotherapeutische Ausbildung. Pepi sagte zu mir mal, seine Texte kommen manchmal zu ihm, wie in einem Fiebertraum. Also hab’ ich in seinem Wirtshaus seine Gitarre und seinen Gesang aufgenommen und danach zum ersten Teil des Liedes im Tonstudio einen elektronischen Fiebertraum-Soundtrack drum herum produziert. In der zweiten Hälfte des Liedes löst sich dann alles auf, und es bleibt die brüchige – aber nicht gebrochene – Stimme eines älteren Mannes, der in seinem Wirtshaus viele Menschen erlebt hat, und er singt berührend und ohne jeglichen Zynismus: »De Wöd is so sche, olle miass’n geh«, also »Die Welt ist so schön, alle müssen geh’n«. Für mich ist das ein Memento mori. Ein Sich-der-Sterblichkeit-bewusst-Sein. Es geht darum, mit der Sterblichkeit vor Augen die Kostbarkeit des Lebens zu schätzen und mit dieser achtsam – und nicht grausam – umzugehen.