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Die engstirnigen Konventionen des gesunden Menschenverstandes

Zu den ?bersetzungen der Werke von Gilbert Adair.

Keine Form der Literatur wurde so oft totgesagt wie der Roman. Sehr häufig muss man lesen, der Roman sei nun endgültig am Ende angelangt – was natürlich die Schuld der Autoren sei, denen Mangel an »relevanten« Themen, sprachliche Impotenz und stilistisches Unvermögen attestiert wird. Nun hat der englischer Autor Gilbert Adair (*1944) sowohl Kritik als auch Leserschaft doch eines besseren belehrt: der Roman lebt. Schon bald nach seinen ersten Veröffentlichungen waren Vergleiche mit anderen Romanciers, etwa mit Anthony Burgess, an der Tagesordnung. Diese Vergleiche sind weder unbegründet noch unberechtigt, doch sie greifen in manchen Belangen noch viel zu kurz. So beschränkt Adair seine Aktivitäten etwa nicht auf Romane und Kritiken; der Kolumnist ist in zahlreiche Zeitschriften mit witzig-geistreichen Essays vertreten, tritt als Herausgeber auf oder auch als Übersetzer schwieriger Texte, etwa von Perecs »La Disparition«. In seinen Werken erkennen wir in Adair einen überaus findigen Leser, der als Autor stark mit der bewussten Bezugnahme spielt. Doch in seiner Zitierfreudigkeit findet sich keine Beliebigkeit; es ist ein filmisches Arbeiten, also nicht nur Umsetzen einer Intertextualität sondern auch – und vor allem – einer Intermedialität. Es ist das Kennzeichen eines großen Autors, nicht bloß Anforderungen zu erfüllen, sondern in seinen Werken noch weit darüber hinauszugehen: für Adair ist Schreiben auch eine Frage des Arrangements, des Umkreisen, eines Zurückkehrens zu Ausgangspunkten, um Geschichten immer wieder neu zu erzählen zu können.

Für den deutschsprachigen Raum hat die Edition Epoca die schwierige Aufgabe wahrgenommen, diesen Autor bekannt zu machen. In nur wenigen Jahren hat sie mehrere Romane und zwei Essaybände herausgebracht und sich in ihrer Auswahl vor allem auf die späteren Werke Adairs konzentriert. In diesen wird die Vorliebe des Autors für zeitgenössische Theoriediskurse, insbesondere die sogenannte Postmoderne, oder auch die mit ihr – zuweilen fälschlicherweise – synonym verwendete Dekonstruktion, offensichtlich. Dies wird im Roman »Tod des Autors« wohl am klarsten formuliert: die Geschichte um den Literaturprofessor Sfax, der mit einer selbstentwickelten Theorie Teile seiner Vergangenheit relativieren möchte – in diesem Fall seine Aufsätze für eine mit den Nationalsozialisten kollaborierende Zeitschrift – ist auch als geistreiche Kritik am Missbrauch und an der naturwissenschaftlich motivierten Kritik an der Postmoderne und ihren Theorien zu lesen. Nicht ohne Augenzwinkern spielt Adair hier mit der Biographie des holländischen Literaturwissenschaftlers Paul de Man, doch nie verlässt er dabei das für ihn übliche hohe Niveau.

In diesem und auch in anderen Werken, wie »Blindband« oder »Der Schlüssel zum Turm«, ist der Protagonist, meist selbst ein Autor oder Künstler, das Zentrum der jeweiligen narrativen Struktur. In der Frage nach der Verantwortung und des Dilemmas des Intellektuellen und seiner Korrumpierbarkeit drückt sich Adair nicht. In seiner Konsequenz, und sei es auch das heikle Thema der Theorie in der Literatur, ist auch eine moralische Qualität des Autors auszumachen, die seine Werke so überaus wertvoll und lesenswert macht. Im permanenten Zuspitzen von Situationen erweist sich der Autor nicht nur als satirischer Kommentator großer Werke der Weltliteratur, sondern auch als fähiger Regisseur menschlicher Psychen. Dies wird zwar in „Liebestod auf Long Island“ und dem Essay über Thomas Mann „Adzio und Tadzio“ besonders deutlich, kann aber generell für seine literarischen Arbeiten gelten: Adair macht mit seinen Figuren immer eine gewisse Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit für den Leser spürbar; und trotz der oft erschreckenden Zuspitzungen in den Plots ist er nie grausam im Umgang mit seinen Figuren. Adair weiß um seine Verantwortung als Autor. Und als Kenner der Literatur hat er auch seinen Flann O’Brien gelesen.

Gilbert Adair

Der Tod des Autors. Roman. 154 Seiten
Zürich: Edition Epoca 1997. EUR 19,95

Liebestod auf Long Island. Roman. 176 Seiten
Zürich: Edition Epoca 1998. EUR 19,95

Blindband. Roman. 223 Seiten
Zürich: Edition Epoca 1999. EUR 21,-

Der Schlüssel zum Turm. Roman. 174 Seiten
Zürich: Edition Epoca 2000. EUR 19,95

Wenn die Postmoderne zweimal klingelt. Variationen ohne Thema. Essays. 201 Seiten
Zürich: Edition Epoca 2000. EUR 21,-

Adzio und Tadzio. Essay. 114 Seiten
Zürich: Edition Epoca 2002. EUR 17,-

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Text
Thomas Ballhausen

Veröffentlichung
24.11.2003

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