Die 1990er waren eine Abschiedsgala für eine der ganz großen Rampensäue der bürgerlichen Kultur: »Die Geschichte«. Die sah zwar längst aus wie Harald Juhnke auf dessen Abschiedsgala, aber sie lief noch einmal zur Höchstform auf. In ihrer Rolle als Popgeschichte gedachte sie all der großen Abschaffungen, die sie vorangebracht hatten. Und auf dem Höhepunkt der Show schaffte sie endlich das ab, was einmal ihre besten Argumente gewesen waren: den Song und die Band. Zwar wurde die Songform bereits zuvor immer wieder als Beengungsverhältnis markiert und in Folge verweigert, aufgesprengt oder invertiert. Aber erst die Trackform erklärte sie für überwunden. Die Poptheorie ratifizierte dies mit der Behauptung, als hierarchische Struktur und als geschlossene Form reproduziere »der Song« eh nur die Verhältnisse. Als neues Freiheitsversprechen wurde der Track ausgegeben. Manche sprachen von ihm »als Rhizom«, und der fundamentale Selbstwiderspruch, der in dieser Rede steckte, saß so tief, dass er ganz gut übersehen werden konnte. Ungefähr zum selben Zeitpunkt befreiten neue Produktionsmittel endlich vom Zwangsverhältnis der Band. Schon die Projektmacherei von Post Punk bis LoFi war ein Ausbruchsversuch aus deren Misere, zeigte sich aber noch an ihrem uneingelösten utopischen Gehalt interessiert. Kunstbands und Bandkunst bearbeiteten die zentralen Elemente des Bandmodells eher konzeptionell: Mythos, Bandfoto und 81 I 15 Gruppenname. Und nannten sich z. B. Pop Group, um genau das Gegenteil von dem zu tun, was der Name versprach.
Wahlversprechen
Dies geschah im Wissen, dass Bands mehr sein müssen als Firmen, die Musik herstellen. Dazu hatte Rock die Band während der 1970er herunter gewirtschaftet. Ursprünglich waren Bands v. a. Projektionsflächen für die Erlösungswünsche der Nachkriegsjugendlichen: das wilde Leben (manche trieben das Method Acting so weit, dass sie auf recht wirkliche Weise draufgingen) und andere Zusammenhänge und -halte als die, die in Herkunftsfamilie, Milieu und der bürgerlichen Kulturtradition vorkamen. In der phantasmagorischen Distanz, durch die Kids hindurch auf Plattencover, Poster und Popzeitschriften blickten, waren Bands die Verkündigung neuer Beziehungsformen. Die ersten Bandfilme, die zum Lieferumfang der großen Popbands der 1960er gehörten, zeigten sie als soziales Experiment. Als Meute, Bande, Horde, die ein geheimes Einverständnis zusammenband. Um 1990 herum waren solche Versprechen allerdings schon sehr ausgeleiert. Und ihre vorübergehende Suspension wurde zur Frage des guten Geschmacks. Aber Electronica, Laptop, Club und DJ/ane lösten die in sie investierten Hoffnungen ebenso wenig ein wie all die anderen medienbasierten Heilserwartungen, die sich die bürgerliche Gesellschaft bis dato rausgeleiert hatte. Um die Jahrtausendwende rollte sich die neue Euphorie zum üblichen Kater zusammen. Unter den ehemaligen Gurus wurden ein paar Betriebskarrieren verlost, der Rest wurde in die wohlverdiente Resignation entlassen. Die nun folgende Glaubenskrise kramte das alte Bandmodell wieder aus. Aber die so genannten The-Bands bekamen die Tragödien der klassischen Band nur noch als Farce zu packen. In der Regel hatten sie die unangenehme Ausstrahlung von Zombies. Und ihre Musik klang nicht selten wie das Geräusch, das Zombies (oder ihre realweltliche Entsprechung: deutsche WM-Fans) so machen. Die von diversen Krisen angegriffene Musikpresse konnte ihren erfolgreichen Durchmarsch zwar noch einmal gewährleisten, verkam darüber aber per CD-Beilage zur prekarisierten Pröbchenverteilerin.
Bandaußenpolitik
In Abgrenzung davon entstanden Bands, die die Errungenschaften der DJ Culture zu integrieren versuchten. Im schlechtesten Fall kochten sie zwar auch nur mit Verwässerung (der postmoderne Pfusch des Electroclash, der meist in der Songdimension ebenso wenig funktionierte wie in der Trackdimension), aber einige brachten doch die nötige Popkompetenz auf, um Club und Band nicht bloß fusionistisch einzudampfen – dis*ka zum Beispiel, deren Ursprünge im Münchner Bastard- Popmilieu liegen. dis*ka begannen als typisches Zweipersonenprojekt irgendwo zwischen DJ-Set und Live-Act, wuchsen dann aber sehr schnell zum bandartigen Gebilde an, ohne die unscharfen Konturen und fließenden ?bergänge eines Projekts gegen die Enge und Disziplinierung des rockistischen Bandmodells einzutauschen. Die alten Bands boten als (imaginären) Zufluchtsort vor der bürgerlichen Pflichtfamilie ja auch nur die Wahlfamilie an, also die zusammengewürfelte Meute gegen den Stamm und die selbsterfundene Identität gegen die angeborene. Ihre Stärke war der Grad ihrer Verdichtung. Und die gelungene Einordnung des Einzelnen ins Ganze. Von heute aus sehen die großen Bands der Vergangenheit beinahe aus wie ein Pilot des neoliberalen Unternehmens, das ja auch gerne so tut, als wäre es eine Band, bei der 95 % der Beteiligten die Ringo-Position übernehmen müssen. Bands wie dis*ka setzen dagegen auf fließende Rollenverteilung und offene Außengrenzen. Sie sind keine identitäre Festung, sondern popmigrationspolitische Utopie. ?ber die Jahre hinweg haben sie nicht einfach nur ihre Personaldecke aufgestockt, sondern sich mit einer Reihe von Kontexten verbunden, die in den einzelnen Mitgliedern repräsentiert sind. Hierzu gehören der unüberschaubare Wust an beigeordneten Bands und Projekten (King of Japan, Multiboy, Blacken the Black, Suzie Trio, discozma, Die Goldenen Zitronen, Three Shades ??), DJ-Teams (Munich Rumble) und das bandeigene Echokammer-Label, das Gruppen mit ähnlicher Aufgabenstellung in einen Zusammenhang setzt, der zwar wild, aber deswegen noch lange nicht unkontrolliert wuchert. Veranstaltungsorte (der nomadisierende Club 2) und -reihen (der »Pop Talk« und die »film lectures« in der Favorit Bar) kommen hinzu und natürlich Medien: der »Zündfunk« oder dieses Magazin, zu dem ich auch nur gestoßen bin, weil ich vor vier Jahren mal ein dis*ka-Konzert veranstaltet habe. Die Band eben auch als Kontaktanbahnungsinstitut zwischen ihren verschiedenen Außen, als etwas, mit dem man/frau befreundet sein kann, ohne dafür journalistisches oder psychosoziales Groupie werden zu müssen.
Bandinnenpolitik
Der Netzwerkknoten dis*ka ist lose genug geknüpft, um dem Filz aus Aktivitäten, Herangehensweisen, Subjektpositionen, Perspektiven und Handlungsformen den Raum zu lassen, den sie brauchen. Die anstehenden Profilneurosen können so auf eine komplette Projektpalette verteilt werden und müssen sich nicht auf die Band selbst beschränken, wo sie ja gerne in bandspezifische Formen häuslicher Gewalt umschlagen. dis*ka scheinen zu wissen, dass viel mehr auf dem Spiel steht als nur der Erfolg als ökonomisches und ästhetisches Unternehmen. Bandpolitik ist die Politik der kollektiven Äußerungsform und des gemeinschaftlichen Produzierens. Und vielleicht muss eine gute Band heute tatsächlich wie ein Kibbuz funktionieren. Die Kibbuzim bei dis*ka sind aneinander jedenfalls nicht als Subunternehmen interessiert. Die Mitglieder dieses Bandmodells kennen die eigenen Widersprüche und können sie benennen, um sie auszuhalten. Vor allem im jeweils anderen. Die innenpolitische Direktive von dis*ka: »Keiner fliegt raus!« ist von den Goldenen Zitronen übernommen. Konflikte sind dazu da, dass man/frau sie ausagiert. dis*ka wollen nicht über falsches Einverständnis funktionieren (und ergo frustrieren). Die konfliktscheue Ästhetik vieler Indiebands aus den Regionalligen und die alternative Verblendungsduselei »politischer« Hardcoregruppen, die wie musikalisch eingekochte WG-Erfahrungen klingen, sind keine Option für eine Band, die unter Politik mehr versteht als Refrainparolen und Solidaritätsplattenauftritte. Die natürlich auch vorkommen dürfen. Als Band ist dis*ka der Ort, an dem sich die Neigungen und Intentionen ihrer Mitglieder wechselseitig dekonstruieren können, ein Kollektiv, das das Subjekt im hegelschen Sinne aufhebt und Post-Subjekte produziert. »Life through the V«, der Titel der aktuellen Platte, gibt genau das wieder, wobei das »V« die Brechtsche Verfremdungstechnik zitiert. Was das genau heißt, lässt sich an den Krautrockkonvulsionen (die ziemlich Can, circa »Tago Mago«-Phase, sind) oder den verkrachten bis störrischen Bluesriffs nachvollziehen, die hier erstmals den traditionellen Gruppensound knacken. Die Verfremdung dient hier aber nicht der Kenntlichmachung (wie bei Brecht), sondern wird als popspezifische ?berlebensstrategie angerufen. Während die alten Bands noch die Entfremdung (von der eigenen Herkunft) propagieren konnten, müssen heutige wohl verfremden, wenn sie mehr sein wollen als verdruckste Vergangenheitsbewältigung. So kriegen sie es vielleicht noch einmal hin, das Fremde zu zeigen, das einer unerträglich unverfremdeten Wirklichkeit entgegengehalten werden könnte.
dis*ka: »Life Through The V« (Echokammer/Indigo)