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Der Tod steht ihm gut: Panda Bear

Auf seinem neuen Album trifft Noah Lennox aka Panda Bear auf Gevatter Tod - ein Grund mehr, noch einmal auf die Spurensuche zu gehen nach den letzten Dingen im Werk seiner Hauptband, dem Animal Collective, und den aktuellen Soloaktivitäten.

Original in skug #101, 1-3/2015

Ich bin Panda Bear schon einmal begegnet. Ziemlich genau zehn Jahre ist es her, auf einem Konzert der damals in Europa noch eher unbekannten Band Animal Collective, in der tiefsten deutschen Provinz, mit ungefähr zwanzig Zuschauern. Das Kollektiv trug Tiermasken: Ratte und Affe und Bär und Echse; bewegte sich in der archaischen Rhythmik hospitalistischer Unruhe, ließ die Oberkörper zuckend einbrechen, die Arme delirierend übereinanderschlagen, wurde Rhythmus, wurde eine ver- fluchte Tiermeute bei Vollmond, wurde primitivistische Mensch-Tier-Maschine, zersägte Unklang zu Stampfen, fand sich wieder in Harmonie, wurde Echo und klatterte dissoziativ voran, wurde kreiselnd klein/groß und leise wieder laut, industriell. Das Animal Collective war ganz Körper, war ganz Klang, war ganz Zeit, war ganz Anderes, war ganz Werden, und ich etwas schockiert und sprachlos – nach dem Konzert kurzer Smalltalk mit Lennox und Dave Portner alias Avey Tare über die Angst vor George Bush juniors zweiter Amtszeit.

Atheistische Gospel

»Völlig berechtigt«, sagt Noah Lennox heute im Rückblick, der bei Animal Collective wie solo als Panda Bear auftritt, im Labelhauptquartier in Berlin, wo er sein neues Album »Panda Bear Meets the Grim Reaper«, kurz »PBVSGR«, vorstellt. Zehn Jahre sind seitdem vergangen, zehn Jahre, in denen das Animal Collective an einem einzigartigen Sound arbeitete, der noch immer wie ein Versprechen klingt, gleichzeitig aber auch Spuren seiner Zeit und ihrer Diskurse trägt. Und der das Kollektiv noch immer als singuläre Erscheinung erscheinen lässt und zugleich als eine der einflussreichsten Bands seiner Generation.
Kaum ein Album seit dem Debüt »Spirit They’re Gone, Spirit They’ve Vanished« (2000), das nicht auf das Bleiben zielte, wenn auch selten so greifbar in ›Hits‹ wie das vorletzte, »Merriweather Post Pavillon«: Da war die nervöse Anarchie der Partikel und Strukturen von »Here Comes the Indian«, der deterritorialisierte Sixties-Pop von »Feels«, dazu die Soloalben von Avey Tare und Panda Bear, bei letzterem vor allem »Person Pitch«, das ebenfalls den Sound der 2000er Jahre mitdefinierte. »Unsere Musik verheiratet verschiedene Konzepte. Die Musik war immer eine Reflexion über die Dinge, die wir mochten, die wir zusammenwarfen.«
Immer, so scheint es mir, ging es aber auch darum, einer Spiritualität nachzuforschen, die im Pop und seinen diversen Wucherungen und ›Ver-post-ungen‹ kaum einen Platz fand. Animal Collective wie Panda Bear arbeiteten an einer Form atheistischer Gospelmusik, die Formen des Rituals, primi- tivistisch-schamanische Elemente post-exotisch umdeutete und in einen völlig anderen Rahmen spannte. Und dabei eine Grenze zu überwinden sucht, die um 1600 in die europäische Musik einge- zogen wurde, im Ûbergang von der Polyphonie zur Dominanz der Monodie, dem einstimmigen und instrumental begleiteten Gesang; einer Kompositionsweise, die dem Text, der diskursiven Beschäfti- gung mit der Inhaltsebene Vorrang gegenüber dem Erleben des Umwebtseins mit Musik einräumt, und die somit den gesellschaftlichen Umwälzungen der frühen Neuzeit eine klangästhetische Ebene hinzufügt, wie sie in der Neuausrichtung spirituellen Erlebens in der Reformation auftreten. Es liegt nahe, auch einen persönlichen Bezug zu einer solchen Para-Spiritualität anzunehmen, studierte Lennox doch zunächst Religionswissenschaften – »nicht die klügste Wahl, schon allein finanziell. Aber ich dachte sehr gerne über das Konzept ›Gott‹ oder ›Götter‹ nach, Theologie fand ich spannend.«

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Illustration: Hugo Oliveira

Auf dem Highway ins Nirvana

Ûberraschenderweise tendiert der Musiker, der mit Trauerkloßmiene, aber viel Charisma spricht, der bei jeder Antwort versucht, mit seinen Blicken die richtigen Worte aus der Luft zu fangen und einen deutlichen Hang zur schrägen Metapher hat, zu einer beinahe esoterischen Perspektive, die mit der üblichen Vorstellung von der Vorhut postmoderner Popmusik kollidiert: »Spiritualität und Transzen- denz, darum geht es, Zustände des Hirns, die über das Alltägliche hinausgehen, darüber hinaus, dass wir hier sitzen und da Trauben auf dem Tisch sind. Es ist total cheesy zu sagen: über Höheres nach- zudenken. Aber darum geht es, um etwas, das man nicht anfassen kann, und wie das mit dem Wohl- ergehen von Menschen zusammenhängt, als etwas Positives.«
Musik ist dabei »ein Highway zu diesen Zuständen des Seins. Er ist schwer zu definieren, dieser Zu- stand, von dem ich rede: ein gesünderes, gegenwärtigeres Sein. Rituale sind ein anderer Weg, dahin zu gelangen. Es gibt viele Tricks: Repetition und Rhythmus, aber auch Melodien, eine bestimmte Art Melodie. Der einfachste Weg ist Trance, was ja ebenfalls oft über Wiederholungen, Pausen und Wellen funktioniert. Und es gibt eine besondere Art von Sounds, die spirituelle, religiöse Zustände hervor- rufen. Es scheint, dass Menschen schon sehr früh merkten, dass Sounds in großen Räumen einen Charakter haben, der sehr kraftvoll ist, der Träume und Trips erlaubt. Choralmusik, der Klang von vielen Stimmen, die zusammen kommen, die besonderen Frequenzen, die dabei entstehen, das hat mich sehr beeinflusst.«
Klaus Theweleit beschreibt analog im ersten Band des »Buchs der Könige«, wie im polyphonen Gesang der Klostergemeinschaft ein Körper entsteht, der »die milde Ûberlegenheit des Körper Gottes« fühlbar macht »über den rohen, unzivilisierten Körper der irdischen Erde und derer, die ihn, meist plündernd, durchfurchten.«
In diesem Diskurs, atheistisch gewendet, bewegt sich der Sound des Animal Collectives.

Skurrilitäten im Soundnebel

Das neue Album rückt jedoch, so scheint es, andere Qualitäten der Musik in den Vordergrund. Im Vorfeld betonte Lennox den Einfluss von 9th Wonder – einem HipHop-Produzenten, Aktivisten und zuletzt Harvard-Fellow (Forschungsprojekt: »These Are The Breaks«), der mit Mary J. Blige, Drake oder Kendrick Lamar arbeitete und für einen soullastigen, weichen Stil bekannt ist.
Nun, wirklich heraushören lässt sich das aus »Panda Bear Meets the Grim Reaper« nicht. Weniger pastoral ist es geworden, sicher, aber es scheint eher an den Sound von »Person Pitch« anzu- schließen, als hätte man diesem die allgegenwärtigen Beachboy-Wucherungen herausgerissen. »Ich denke, das Album ist ein wenig leichter im Herzen, nicht albern, aber verspielt. Die Themen, um die es geht, sind ernster, intensiver. Aber das Feeling der Songs und meine Herangehensweise an die Musik war eher, in diese ernsten Themen hineinzuschleichen und sie in ein buntes Kostüm zu stecken. Hoffentlich ist diese Unbeschwertheit etwas, das Menschen anzieht, wie diese Anglerfische in der Tiefsee mit ihrem Licht. Die HipHop-Elemente sind das Licht, die tieferen Botschaften sind das aufgerissene Maul mit den Zähnen.«
Das Promo-Video, das auf Panda Bears Webseite das Album bewirbt, verweist auf diese Herange- hensweise: Der Trash-Sensenmann im purpurnen Glitzercape, der einen Plüsch-Panda schunkelt und drohend gestikuliert, ist für sich genommen gleichermaßen lächerlich wie die damit vorhandenen Assoziationen ernst, die Songtitel beschwören Krankheiten ebenso wie den Piratenschreck Davy Jones. »Es geht nicht wirklich um den Tod. Der Sensenmann ist eher eine Figur, die Veränderung symbolisiert, Veränderungen unserer Identität. Anteile von uns sterben. Der Tod ist eine gewaltige Veränderung, und es verändert, etwas sterben zu sehen.«
Die Bedeutung der Texte ist dabei, wie so üblich bei Panda Bear, allenfalls zu erahnen. Paradox, sind sie doch, oft mit der Schärfe eines freidrehenden Haikus, dem absurden Humor eines grotesken Limericks, offenkundig präzise ausgearbeitet und ein wichtiger Bestandteil der Musik. Wobei der Versuch, sie zu entschlüsseln, die Sache nicht unbedingt deutlicher macht. »So when the party goes / It breaks a brittle back […] / If it comes to fill those spaces / Only you can fill those spaces,« heißt es in der Track gewordenen manischen Depression »Selfish Gene«, und der finale Reim des Albums ist, dem Tracktitel »Acid Wash« angemessen, »Laugh into the chasm / […] Graph the spasm.« Besonders cartoonig wirkt der Grim Reaper spätestens hier nicht mehr, eher wie eine Skurrilität im Soundnebel.

Eiszapfen und Polaroids

Dieser Soundnebel entstand in einem langen Prozess: »Als wir Anfang 2012 in El Paso ›Centipede Hrz‹ aufnahmen, fing ich an, Drum-Breaks zu sammeln. Ich hatte bald einen ganzen Ordner voll und spielte damit herum, setzte sie zusammen und schnitt Schnipsel ab, um sie neu zu arrangieren, Auch hier ging es um Wiederholungen und Rhythmus, darum, in einen Zustand zu kommen, der mich wo- anders hinbewegt, über Soundsegmente, die ich finden musste. Ûber die Jahre entstanden ungefähr fünfzig, sechzig dieser Segmente. Mit den besten davon habe ich gearbeitet, ihren Klang variiert, neue Schichten darübergelegt. Und in diesem Prozess, diesem Durcharbeiten und immer wieder neu Hören, entstanden Melodien. Die menschlichen Elemente des Songs begannen sich auszuformen wie ein Eiszapfen, langsam, Wassertropfen für Wassertropfen. Oder wie ein Polaroidfoto, am Anfang ist es verschwommen, man erkennt gerade einmal die Umrisse, aber dann wird alles langsam deutlicher sichtbar. Die Melodien und Songtexte passierten, einfach so.«
Erstmals entstand damit ein Soloalbum Panda Bears komplett in Lennox’ Wahlheimat Lissabon, wo er seit zehn Jahren lebt und mittlerweile Vater zweier Kinder ist. Zugleich ist es auch das erste Album, das in einem ›echten‹ Studio aufgenommen wurde, mit traditionellem Equipment und holzgetäfelten Wänden. Produzent von »PBVSGR« ist Peter Kember, bekannt als Sonic Boom, Gründungsmitglied der Spaceman3. Gemeinsam zogen sich die beiden im Januar 2014 zurück, um mit dem Rohmaterial zu arbeiten. »Ich hatte bei mindestens zehn Songs eine genaue Vorstellung, wie es klingen sollte. Bei den anderen neun, die wir aufnahmen, gab es viele Variationen, teilweise gab es noch keinen Ge- sangspart. Wo klar war, wie es klingen soll, nahmen wir die Elemente wieder auseinander, jagten jeden Soundschnipsel durch die Matrix der Verstärker, Equalizer, Limiter, bauten alles, was ich zuvor gemacht hatte, noch einmal neu.«
Und füllten kräftig auf mit Bässen, Rhythmen, Gesangsspuren: Es passiert etwas, immer, überall, pumpt es, wummert, flüstert, schwebt es, und ist dabei nicht hektisch und überfrachtet, sondern von einer Art Souveränität, die in der Lage ist, Spannungen aus- und aufrecht zu erhalten.
Aber auch an anderer Front passiert etwas: Das Animal Collective arbeitet an neuem Material. »Ich habe eine Menge Ideen für Animal Collective, will aber noch nicht darüber reden. Es wird etwas Ûberraschendes, und wer weiß, wie viel es später mit dem zu tun haben wird, was ich mir jetzt vorstelle. Wir reden viel, ich habe viele Ideen, die anderen Jungs auch, und wir diskutieren, wie das zusammenpasst.«
Ob dabei neuerlich Neues entsteht oder bloß eine historische Idee vom Sound von Morgen, ein Nuller-Jahre-Retrofuturismo bedient wird? Mal abwarten. Die Chancen aber, dass es ein ebenso faszinierendes Stück Musik wird wie »PBVSGR«, stehen, konjunkturell betrachtet, jedenfalls recht gut.

Panda Bear: »Mr Noah« (EP, Domino Records, 2014)
Panda Bear: »Panda Bear Meets the Grim Reaper«
(Domino Records 2015)

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Text
Steffen Greiner

Veröffentlichung
12.07.2015

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