V.l.n.r.: Ernst Fuchs, Arik Brauer, Friedensreich Hundertwasser © Gert Chesi/Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

Der fabelhafte Kosmos eines Multitalents

Er überlebte den Naziterror in Wien und war Miterfinder eines kritischen Austropops. Arik Brauer, am 24. Jänner 2021 92-jährig im Kreis seiner Familie verstorben, schuf mit seiner surrealen Kunst ein umfassendes Werk im Zeichen einer tiefen Menschlichkeit. Eine Würdigung.

Er war das »Last Leaf on the Tree« in der Wiener Schule des Phantastischen Realismus. Neben Ernst Fuchs (1930–2015), Wolfgang Hutter (1928–2014) und Anton Lehmden (1929–2018) war Arik Brauer der vermutlich bekannteste Exponent der kontrovers rezipierten Sparte der Bildenden Kunst in Wien. Geboren wurde der künstlerische Tausendsassa als Erich Brauer am 4. Jänner 1929 in Wien in eine russisch-jüdische Handwerkerfamilie und entwickelte früh politisches Bewusstsein. Brauers Vater wurde im KZ Riga ermordet, der junge Erich überlebte in einem Schrebergartenversteck. In diesem Zusammenhang sprach Brauer gern über die antisemitische Hausmeisterin, die über das »Judengsindel« schimpfte, den Neunjährigen aber trotzdem im März 1938 versteckte, als die SA-Schläger die Schuhmacherwerkstatt des Vaters überfielen. Eventuell war dieses Erlebnis ausschlaggebend dafür, dass Brauer hartnäckig an das Gute im Menschen glaubte.

Studium und Vagabundenleben
Nachdem Brauer schon als Jugendlicher stark spürte, dass er ein geborener Künstler ist, war es nur konsequent, dass er im Alter von nur 16 Jahren an der Akademie der bildenden Künste in Wien inskribierte, wo er u. a. bei Albert Paris Gütersloh studierte. Brauer engagierte sich danach fünf Jahre lang in der Kommunistischen Jugend, wandte sich aber nicht zuletzt aufgrund der Schauprozesse von Stalin vom Kommunismus ab. Nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes trat er aus der Partei aus und lehnte daraufhin den Kommunismus noch stärker ab als den Nazismus, bei dem man wenigstens wusste, woran man war. Nach dem Abschluss des Studiums lebte Brauer ein Vagabundenleben, das ihn auf dem Fahrrad durch Europa und nach Afrika führte. Er besuchte Israel, wo er als Sänger und Tänzer auftrat und wo er seine Frau Naomi Dahabani kennenlernte, mit der er daraufhin nach Paris kam, wo das Liebespaar in Gaststätten hebräische Lieder sang und spielte. Weil Naomi den Namen Erich nicht gut aussprechen konnte, wurde aus Erich Arik. In Paris musste sich das Paar anfangs noch mit musikalischen Auftritten über Wasser halten, es gelang Brauer aber recht schnell, auch mit seiner Malerei zu reüssieren. Erste Ausstellungserfolge in Paris motivierten ihn dazu, verstärkt auf die Malerei zu setzen.

Ablehnung der Avantgarde als reaktionär
Zurückgekehrt nach Wien fand sich Brauer in einer Stadt wieder, in welcher die Phantastischen Realisten große Erfolge feierten. Stilistisch orientierte sich Brauer im Spannungsfeld von Arcimboldo, Hieronymus Bosch und Marc Chagall, was eine Art österreichische Variante des Surrealismus hervorbrachte. Ohne auch nur ansatzweise religiös zu sein, beschäftigte sich Brauer mit jüdischen und alttestamentarischen Motiven. In seinen Werken wimmelte es nur so von schrägen, bunten Fabelwesen und Phantasiegestalten, oft auf dunklem Hintergrund. Rund 2.000 Gemälde soll Brauer in altmeisterlichen Maltechniken gemalt haben. Die Avantgarde der bildenden Kunst war zu dem Zeitpunkt aber schon lange ins Stadium der Abstraktion eingetreten und blickte auf die wirtschaftlich erfolgreichen phantastischen Realisten als »Reaktionäre« herab. »Was die Malerei betrifft, hat das mein ganzes Leben überschattet«, klagte Brauer einmal, »aber es war mir von Anfang an klar, dass ich außerhalb des Mainstreams mein Leben verbringen werde. Das habe ich nie bereut. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich in der Malerei ein Bremser bin, obwohl das so verstanden wurde«. Es muss eine späte Genugtuung für Brauer gewesen sein, dass er 1985 eine Professur an der Akademie angeboten bekam, die er zwölf Jahre lang ausübte. Brauer, der abwechselnd in Wien und in einem israelischen Künstlerdorf lebte, engagierte sich schon früh für den Umweltschutz. Dass dieser sanfte Mann durchaus auch laut werden konnte, war dieser Tage im ORF-TV nachzusehen: Im Zuge der Besetzung der Au bei Hainburg 1984, wo ein Wasserkraftwerk gebaut werden sollte, ließ Brauer seinem Unmut lautstark seinen Lauf. Ein Dorn in Brauers Augen war zudem die menschenfeindliche gerade und schmucklose Architektur (nicht nur) in Wien. Wie schon sein Freund Friedensreich Hundertwasser bekam Brauer Anfang der 1990er-Jahre von der Stadt Wien den Auftrag, einen öffentlichen Wohnbau in der Gumpendorfer Straße nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Brauer war auch gern gesehener Gast in diversen Talkshows und öffentlichen Podien, die er mit pointierten Standpunkten bereicherte. 2019 hielt Brauer ein flammendes Plädoyer für Demokratie und Menschlichkeit: »Es brauche eine Weltdemokratie, erst dann können die Menschen zufrieden beisammenleben.«

Brauer als Geburtshelfer des Austropop
Sogar noch vor Wolfgang Ambros und Georg Danzer war Arik Brauer mit Protestsongs im Wiener Dialekt erfolgreich. Auch wenn er einer der ersten war, der beißende Sozialkritik in eingängige Lieder verpackte, die schon lange zum musikalischen Allgemeingut gehören, konnte und wollte sich Brauer mit dem Etikett Austropop nicht identifizieren. »Diese Liedtexte sind teilweise zu unserem großen Leidwesen aktuell geblieben«, betonte er in einem Interview: »Einige davon wurden richtige Volkslieder, die man beim Heurigen oder auf einer Schutzhütte singen hört. Darauf bin ich stolz«. Brauer wollte auch nicht mit seinen frühen Hits auf Tournee gehen, was seine Karriere als »Austropop-Star« schnell wieder beendete. Was nicht heißt, dass er nicht noch rund zwei Hand voll Alben und Singles veröffentlicht hat. Mit Stücken wie »Sie ham a Haus baut« (Kritik an der visionslosen Bautätigkeit), »Hinter meiner, vorder meiner«, »Der Spiritus«, »Die Jause«, »Rostiger die Feuerwehr kommt«, die nach 50 Jahren mit ihrem beißenden Spott noch nachhallen, war er an der Geburt des Austropop maßgeblich beteiligt. Heute kaum mehr vorstellbar war die Aufregung über das Stück »Der Surmi Siu«, in dem Brauer über einen Nazilehrer singt: »Surmi ist a große Sau / Er steckt die Zehen in Kakao«. »Als ich nach Wien zurückgekehrt bin«, sagt Brauer, »habe ich den Wiener Dialekt, der ja meine Muttersprache ist, ganz neu erlebt. Mir wurde bewusst, was das eigentlich für eine grandiose Sprache ist, welche Ausdruckskraft darin steckt. Allerdings musste das Wienerische als Brauers Herzenssprache zuerst von H.C. Artmann und später von Brauer selbst zu einer Kunstsprache verfremdet werden.

Ehrungen, Würdigungen und Abschied
Neben den unzähligen Auszeichnungen und Ehrungen wie dem Preis der Stadt Wien für Malerei und der Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien erhielt Brauer 2015 auch den Amadeus Award für sein musikalisches Lebenswerk. Umfassende Werkschauen zeigten in den letzten Jahren das Jüdische Museum Wien und das Leopold Museum. Zur Feier von Brauers neunzigstem Geburtstag widmete ihm seine Tochter Ruth eine Hommage mit Wiener Schmäh im Wiener Rabenhof Theater, die den Vater als Künstler und Wiener Chronisten würdigte. Brauer starb am 24. Jänner 2021 im Kreis der Familie. Seine Frau Noemi und die Töchter Timna Brauer, die als Sängerin Erfolge feiert, und Ruth Brauer-Kvam, die als Schauspielerin Karriere macht, überlieferten seine wohl vorformulierten letzten Worte: »Ich war so glücklich mit meiner Frau, mit meiner Familie, mit meiner Kunst und meinem Wienerwald. Aber es gibt eine Zeit, da lebt man, und es gibt zwei Ewigkeiten, da existiert man nicht.«

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