»In die Träume über das Lager projiziere ich mir immer Personen aus meinem Leben (vor dem Lager, nach dem Lager), die nie eingesperrt waren. So mache ich mir mein erträumtes Paradies wohnlich«, schrieb Zbyněk Sekal, der als Jugendlicher wegen der Verbreitung antinazistischer Flugblätter erst in Prag im Gefängnis und dann im KZ Mauthausen bzw. in Theresienstadt war. Er musste im Steinbruch arbeiten und über die berühmten Steinstufen Felsbrocken schleppen. Sekal wurde in Folge Bildhauer und schrieb sein Leben lang ausführlich Tagebuch, er verfügte über einen außerordentlich poetischen Schreibstil und eine klare Ausdrucksweise. Er hätte auch Dichter werden können. In Mauthausen schützten ihn die anderen Gefangenen wegen seiner Jugend und schafften es, dass er in die Schreibstube versetzt wurde, wo er in Schönschrift die Tageslisten der gestorbenen Opfer des angeblichen Nazi-»Erholungslagers« aufzeichnen musste. Im Wiener Belvedere 21, wie das ehemalige 20er Haus nun heißt, kommen seine hölzernen und stählernen Werke sehr gut zur Geltung.
Das schlechte Unendliche
»Wie ein Schilfrohr im Wind schwankend«, fühlte sich Sekal, der 1964 die Serie »Labile Bauten« schuf. »Dazu kommt das Gewirr, veranschaulicht und stilisiert durch Drahtgeflecht, und das Bild ist vollkommen.« »Obidli/Behausung« (1958) heißt eine Art Turm, hohl, aber mit Etagen. Es gibt keine Treppe zwischen dessen Etagen, das Dach ist offen. »Der erste Versuch, ein magisches Objekt zu simulieren« (1973) ist eine Installation, die aus Seil, Jute, Messing und Holz besteht. »Einen vergessenen, nicht beobachteten Künstler« nennt Kurator Harald Krejci Zbyněk Sekal, der schon 1998 starb. Sekal besuchte die Kunstgewerbeschule und verwendete allein gebrauchtes Material, ähnlich Louise Nevelson, die mit gefundenem Holz arbeitete, das sie auf den Straßen New Yorks fand.
Das viele Tageslicht, der hohe Raum im Belvedere 21 tun den Werken gut. Die Werke von Fritz Wotruba stehen wieder im Garten, der zum Schweizergarten hin geöffnet wurde. Man würde sich noch einen Steig zum Garten mit Öffnung im Fenster hinaus wünschen, durch den frische Luft hereinkommt, wie bei der Valie-Export-Ausstellung vor vielen Jahren. »Zapomenme/Vergessen wir« (1976) besteht aus Holz, das völlig von Eisen und Nägeln bedeckt ist. Eine für immer verschlossene, vernagelte Tür – ein ganz kleines Werk, das an der Wand hängt. »Ich finde den Weg durch das Labyrinth, oder ich füge dem Labyrinth noch weitere Gänge hinzu, weitere Verknotungen, so dass es noch schwieriger, wenn nicht unmöglich wird, den Ausweg zu finden«, schrieb Sekal. Obsessiv schuf er Drahtgeflechte: »Der unerträgliche Druck, jeden Tag von früh bis spät flechten, biegen, abknipsen zu müssen, immer weiter und sozusagen ohne Ende: das schlechte Unendliche.«
Erweiterung des inneren Raums
Man sieht ein Stück des Arsenals in der Ferne. Dahinter befindet sich das Kriegsmuseum. Im Jahre 1970 zog Zbyněk Sekal nach Wien um, wo er bis zu seinem Tod wohnen blieb. Hier entwickelte er seine Material- und Strukturbilder zu räumlich verschachtelten Gitterkuben weiter. Sekal wehrte sich aber wiederholt dagegen, seine Kunst als Käfige zu begreifen, denn er dachte immer in Gebäuden, in Schichten – seine Räume sind eigentlich offen. Seine Werke stellen Erweiterungen des inneren Raums dar. Sekal baute flache Labyrinthe aus Kupferdrähten in Anlehnung an Mauthausen. In den 1980er-Jahren dann Schreine, die erst Gerüste oder Schränke hießen und dann, in Anlehnung an seine große Liebe zu Japan, eben »Schreine« benannt wurden.
Sekal zeichnete sogar in Mauthausen – kleine figurale Skizzen. In der Freiheit begann er obsessiv, das eigene Gesicht zu zeichnen, in Bildern, die er »Vielleicht Selbstbildnisse« nannte. Sein Begriff der Behausung ging von Kafkas Erzählung »Der Bau« aus, schreibt Marie Klimesova in dem wirklich tollen Buch »Zbyněk Sekal.« (Arbor vitae, 2015). Sekal formulierte oft sein Bedürfnis nach einem Versteck, nach einer Höhle. »Er stellt jedoch schließlich fest, dass sein künstlich errichtetes Labyrinth eine zweifelhafte Zuflucht ist«, schreibt Klimesova. Für ihn blieb der Bau immer ein lebendiger Organismus. Der slowakische kuratorische Assistent Miroslav Halak meint zwar, dass Sekal die Psychoanalyse ablehnte und sich mehr für Zen-Buddhismus und Marxismus interessierte, doch seine Bauten wirken wirklich wie erschaffene Varianten des »wahren Selbst«, bekannt aus der Psychoanalyse (ein Bau, den man träumt und der das wahre Selbst symbolisiert, gilt als höchstes der Gefühle). »Ich bin selbst Bau, Entwurf, Gerüst«, schrieb er. Es ist sehr tröstend, dass Zbyněk Sekal trotz seiner schrecklichen Erfahrungen sich zu diesem »wahren Selbst« vor- und herausarbeiten konnte. Die Ausstellung im Belvedere 21 ist noch bis 6. Jänner 2021 zu sehen.