In den Neunzigern war Jakob Dobers der musikalische Kopf der Insider-Band Zimtfisch. Das war die Band für die Leute, denen Tocotronic und Blumfeld zu kommerziell und unterkomplex waren. Nach dem Ende der Band hat Dobers in gefühlt tausend Projekten mitgemischt. Das wichtigste ist Sorry Gilberto mit der Schauspielerin Anne von Keller. Das Duo produzierte zwischen 2008 und 2016 sanfte, englischsprachige Musik. Musik, mit der die beiden eine feste Größe der Berliner Indie-Folk-Szene wurden. »Ich laufe viel herum und gucke«, erzählt Dobers. Auf seinem Solodebüt »Der Rest vom Licht« dürfen die Hörer mitlaufen und mitgucken, wenn Dobers durch seinen Kiez flaniert. »Ich bewege mich wie eine Hyäne / halb seitlich und erst mal außenrum / dann ein Schritt vor und zwei zurück / Drehung fürs Publikum.« So beschreibt Dobers in dem Song »Hyäne« sein poetisches Programm. Das ist seine Art des Beobachtens. Mal guckt er hierhin, dann wieder dorthin, macht Smalltalk mit diesem, dann mit jenem, und manchmal geht er auch irgendwem aus dem Weg.
Indie-Slow-Funk
Dobers führt mit einer sanften, immer etwas heiseren, aber sehr entspannten Stimme durch seine Songs. Sein cleaner und rhythmischer E-Gitarrensound dominiert. Das sanfte Schlagzeug und der hängende Bass werden davon harmonisch aufgesogen. Ganz zaghaft mischen sich manchmal Keyboardklänge dazu. Die Songs wirken, als seien sie zuerst vom Rhythmus her gedacht worden. Melodie und Text sind um die oft komplexen Rhythmen herum arrangiert. Ähnlich wie bei den Sternen, nur viel lässiger und melodischer. Für einen Liedermacher ein eher ungewöhnliches Klangbild. Vielleicht kann man diesen Sound ja als Indie-Slow-Funk charakterisieren?
Im Song »Rechte Philosophen« gibt es sogar psychedelisch blubbernde Rückwärts-Gitarren. Wahrscheinlich als akustischen Kontrast zum Text. »Ich hatte so Botho-Strauss-/Sloterdijk-artige Figuren im Kopf, die trotz aller Sophistication auf so einer Eigentlichkeit und Größe beharren«, erklärt Dobers. Gleichzeitig habe er die deutschen Schluchten und Tannen und Thomas Bernhards Abriss über Heidegger in »Alte Meister« im Kopf gehabt. Aber wer will, der entdeckt in dem Song auch den Waldgänger Ernst Jünger oder den menschenfernen Nietzsche. »Nah an den Wäldern, fern von den Menschen«, singt Dobers. Was er von den rechten Philosophen hält, formuliert er so: »Der Blitz soll sie treffen / und warum auch nicht.« Es gebe kein rechtes Denken, meint Dobers, weil es, frei nach dem Philosophen Marcus Steinweg, eigentlich eine Denkverweigerung sei.
Schön ist die schleppende Hommage »Die Aquatones singen für dich«. Das Doo-Wop-Ensemble Aquatones hatte in den 1950er-Jahren den Schmachthit »You«. Dobers beschreibt wunderbare Situationen, in denen er die Aquatones hört. »Ich hab’ die Platte ›The Aquatones Sing For You‹ mal aus’m 1-Euro- Fach gezogen, weil ich das Cover so mochte«, erzählt er, »und sie stand lange gut sichtbar in meinem Zimmer, und dann war’s plötzlich ein Leitmotiv für den Song.« »Klaus & Klaus« ist keine Hommage. Eher eine Selbstreflexion. »Merkst du gar nicht / sagt Klaus zu Klaus / die Wirklichkeit sieht jetzt ganz anders aus«. Und dann: »Und wenn du mich fragst / wie ich wirklich heiß / dann sag ich / an der Nordseeküste.« Dobers meint dazu: »Bei Klaus & Klaus geht’s tatsächlich um das Immer-Weitermachen, also auch um mich, um falsches Beharren und die Gefahr des Im-eigenen-Bild-Einfrierens.«
Urbane Songwriter-Poesie
Am Schönsten wird es immer dann, wenn Dobers die Großstädter in großen Tableaus anordnet. Etwa in »Über Pferde singen«: »Die Menschen in meiner Straße / bewegen sich so unkonzentriert / du siehst sie und denkst, gleich passiert was / und dann ist es auch schon passiert«. Oft fügt er den beobachteten Menschen paradoxe Eigenschaften oder Gefühle hinzu. In »Das Gewicht der Worte« fühlt er Hoffnung und Verdruss, in »Neues Haus« schauen die Bewohner eben dieses Hauses aus dem Fenster mit einer Mischung aus »Lust und Angst«. »Da geht’s um Gentrifizierung«, sagt Jakob Dobers, »und die Abschottung der Reichen bei gleichzeitiger Bewegungseinschränkung für die Nicht-so-Reichen. «
Eine andere Perspektive auf das urbane Leben bietet »Mutantenstadt«. Dobers: »›Mutantenstadt‹ ist ein bisschen weicher, humorvoller und guckt sich unser Treiben in Berlin wie so einen alten Stummfilm an.« Und nicht nur das. Das Lied hat eine waschecht gepfiffene, wunderschöne Hook. Da denkt man ein bisschen wehmütig an die Lassie Singers.
Mit seiner von Indie-Slow-Funk getragenen Hyänen-Poesie ist Dobers vielleicht jetzt schon die erste Sommerplatte des Jahres 2020 geglückt. Man sehnt sich die von ihm beschriebenen Sommermomente herbei. Das Fahrrad an die warme Mauer lehnen, den Rest vom Licht der Sterne sehen.