Der greise Mann öffnete hüstelnd das ehrwürdige Buch Elektroklatsche. Mit saumseligem Blick hebt er den Zeigestab, auf dem noch der Geschlechtssud der letzten 2,5 Jahrzehnte klebte. Und rasselnd erklärt seine Stimme, dass so sexlos die Achtziger nicht gewesen sein mögen. Er hatte kondomlose Hermaphroditen zu INXS pudern gesehen. Hatte gesehen, wie Skinheads sich im Taumel von Depeche Mode und New Order an Stiegenpfosten befriedigen. Es hatte nur ein Gesetz aus den Siebzigern überlebt, das der allmächtigen Discokugel: Hedonismus. Verhurtheit. Ein Leben für die Nacht. Nix mit »Zu kühl. Kein Gefühl.« Was bislang aus der Plastic Age durchwegs revivalt wurde war schlechte Chartsmusik, Sexualparanoia und Prozak-Junkies. Jetzt hat mensch endlich den Schweiß dazu entdeckt, neben einem Haufen erodiertem Synthkrempel aus Opas Klangverlies. DJ Ivan Smagghe ist so was wie der belgische Retro-Meister in Sachen Gruppengerubbel. Cold Wave. EBM. Acid House. Und diese so vergessen geglaubten, hyperpeinlich hochgepitchten Electro-Synthlines. Swirr. Pliiiink. Ploink. Und Ivan hat Geschmack, rockt doch zumindest die erste Hälfte wie kein anderer Electronic Pop- und Wavebeat-Sampler der Jetztzeit: House of Fix, Paul Rutherford, Sweet Exorcist im Blackstrobe (sprich Smagghe)-Remix, Dub Pistols. Und wer bei Raymond Barry’s TV Night (B52’s auf Trance-Eiswürferl mit Soulgarnitur) nicht niederkniet vor Ekstase ist schon wohlfahrtstaatskrepiert. Buch zu. Hosen runter. Finger in die Steckdose.
Various Artists
»Death Disco«
Eskimo Recordings/Soul Seduction
Text
Paul Poet
Veröffentlichung
24.06.2004
Schlagwörter
58
Eskimo Recordings/Soul Seduction
Various Artists
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