Es ist die erste Veröffentlichung einer Langform des in Charkiw ansässigen Autors Serhij Zhadan seit seinem Roman »Internat«, für den er seit 2018 zahlreiche Auszeichnungen erhalten hat. Der Untertitel »Neue Geschichten« weist auf diese Tatsache hin und führt doch in die Irre: Zwar handelt es sich um zwölf voneinander scheinbar unabhängige Geschichten, jedoch sind deren Protagonist*innen über die einzelnen Geschichten hinweg derart miteinander verwoben, dass man durchaus von einem Gesamttext sprechen kann. Damit unterscheidet sich »Keiner wird um etwas bitten« sowohl von den beiden Gedichtbänden, die in den Jahren 2020 und 2024 auf Deutsch erschienen sind, als auch von »Himmel über Charkiw«, einer eindrucksvollen Chronik aus den ersten Wochen des russischen Angriffskriegs im Frühjahr 2022.

Damals war der Krieg noch frisch – zumindest für jene, die nicht seit 2014 unter dem russischen Regime in den annektierten Gebieten lebten. Doch seither hat sich vieles geändert: Der Krieg hat sich in die Menschen eingeschrieben und bestimmt so das Leben von Zhadans Protagonist*innen. Der geringe Spielraum, den ihnen der Krieg lässt, wird umso wertvoller, je kleiner er wird – und umso interessanter für Zhadan und seine Erzählungen. Wie bereits in »Internat« unterlässt der Autor jedwede Moralisierung und vermeidet auch die konkrete Benennung von Orten oder Konfliktparteien. Es wissen ohnehin alle, wer oder was gemeint ist – worum sollte es denn sonst gehen? So bleibt der Fokus auf den Protagonist*innen. Auch Kriegshandlungen kommen im Text keine vor, seine Geschichten findet Zhadan – seit 2024 selbst Soldat – im Hinterland der Kämpfe: während der Urlaube der Soldat*innen oder in den Aktionen von freiwilligen Helfer*innen. Zhadan beschreibt, wie diese um die richtigen Worte ringen, um das Unsagbare hinter sich zu lassen und es zu überwinden versuchen; etwa bei der berührenden Begegnung von Bhodan mit seiner 12-jährigen Tochter Tocha oder einem Rendezvous, dass den beiden am Ende bloß ein paar Stunden entspannten Schlaf bringt.

Es sind diese scharfen Beobachtungen seiner Protagonist*innen sowie die unausgesprochenen Worte zwischen den Zeilen, die Zhadans Erzählungen so feinsinnig machen. In dieser Wertschätzung seiner Protagonist*innen vergisst man als Leser*in fast den schrecklichen Hintergrund des Krieges, vor dem sich die von Zhadan sorgsam arrangierten Begegnungen ereignen. Bisweilen fühlt man sich an die Texte Primo Levis erinnert, der auch immer den Menschen in den Mittelpunkt seines Schreibens gestellt hat und seine Texte daraus Kraft schöpfen ließ. Einmal mehr gelingt es Serhij Zhadan damit, unsere Perspektive auf jene Menschen zu schärfen, die direkt vom Krieg betroffen sind – was diesen Text besonders wertvoll macht.

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