Böhler und Granzer begehren das Denken. Sie empfinden die Aktivität des Denkens als kostbar. Philosophy on Stage #3 soll dem Publikum ein Affektbild des Denkens vermitteln: Dass die Aktivitäten des Denkens – eigentlich so wie Liebe, Freundschaft, Lachen, Musik – in sich wertvoll und genussvoll sind. skug führte im Vorfeld darüber ein anregendes Gespräch mit den beiden Kuratoren.
Susanne Valerie Granzer: Es gibt Erfahrungen am Theater, die für Künstler selbstverständlich sind: wenn man auf der Bühne etwa davon überrascht wird, dass der Körper seinen Eigensinn anmeldet, ja wie sehr sich der Körper immer wieder gegen den Verstand oder gegen die Intentionen wendet, die man als Akteur willentlich durchzusetzen versucht. In solchen Situationen muss man die ??Allmacht?? des Willens zur Seite stellen, sich der Situation anheim geben, riskieren, dem Körper sein Stimmrecht zurückgeben. Das ist eine Körpererfahrung, die Akademikern – die einen Großteil ihrer Zeit hinter einem Pult stehen oder vor dem Computer sitzen und über den Körper schreiben – wohl fremd.
Was kann man sich unter dem Begriff Korporale Performanz vorstellen?
Arno Böhler: Korporale Performanz ist der akademische Titel eines vom österreichischen Forschungsfonds FWF geförderten Wissenschafts- und Philosophie-Projektes. Die bisherigen Ergebnisse und Erkenntnisse des Projekts an der Schnittstelle zwischen Kunst und Philosophie werden bei Philosophy on Stage #3 vom 24. bis 27. November im Haus Wittgenstein öffentlich gezeigt. Das Wort Performanz kommt aus einer bestimmten Tradition des Philosophierens, die im 20. Jahrhundert sehr wichtig geworden ist. Es gibt in den Geisteswissenschaften derzeit eine wuchernde Fülle von »turns«: den korporal turn, den spatial turn, und eben auch den performative turn, der auf Sprechakttheorien aufbaut.
Was wären dabei die wichtigen Keywords der Sprechakttheorie?
Arno Böhler: Zentral dabei sind John Langshaw Austins Buch »How to Do Things with Words« aus dem Jahre 1962 und das philosophische Werk von Jacques Derrida, das insgesamt auf einer dekonstruktivistischen Sprechakttheorie beruht.
Im Anschluss an diese beiden Philosophen habe auch ich mich lange gefragt, was passiert, wenn wir den Vollzug von Sprache nicht mehr als ein reines Theoretisieren, also als ein Sprechen über die Welt betrachten? Sondern die Sprache selbst als Praxis – als Handlung, wie Austin sagt – verstehen. Das hat ganz viele Konsequenzen für das Selbstverständnis der Philosophie und des Verhältnisses von Theorie und Praxis. Klassisch haben wir einerseits Theoretiker, die über die Welt sprechen und auf der anderen Seite Praktiker, sprich Künstler, die etwas tun. Theorie ist aber selbst eine Form von Praxis. Sie ist keine bloß isolierte, meditative Betrachtung der Welt, sondern sie tut eben etwas, wie Austin sagt, indem sie ganz praktisch eine Perspektive auf die Welt generiert. Sie ist also in sich schon ein Handeln. Wenn ich denke, tue ich ja auch etwas. Ich stelle nicht nur Theorien auf, sondern diese Theorien beginnen, den Blick der Menschen zu lenken und zu prägen.
Wie ist das konkret bei den Tanzwissenschaften?
Arno Böhler: Man sieht das besonders gut bei den Tanzwissenschaften. Das Tanzquartier Wien ist ja nicht zufällig Koopertationspartner in diesem Projekt; so wie das Max Reinhardt Seminar und die Universität Klagenfurt auch. Gerade dort, wo der Körper eine zentrale Rolle spielt, in den Tanzwissenschaften, herrscht ein großes Bedürfnis nach Diskurs. Die Theorie, die Wissenschaft über den Tanz, hat derzeit in einem ganz besonders starken Ausmaß begonnen, die Performances der Tänzerinnen und Tänzer zu bestimmen. Ich sehe das durchaus auch kritisch, nicht nur rein affirmativ. Als Philosoph interessiert mich bei dieser Entwicklung vor allem die Fragestellung, welches Bild des Denkens dabei kreiert wird?
Die klassisch bürgerliche Philosphie setzt sich Ziele und fragt im Nachhinein, wie man die Ziele umsetzen kann. Das ist für mich ein schlechtes Bild des Denkens, denn das Denken setzt sich nicht bloß irgendwelche Ziele und versucht dann, die Polizei zu holen und das Ganze strategisch umzusetzen. Das Denken ist vielmehr in sich schon eine Verwirklichung, in dem Moment, in dem ich Perspektiven auf die Welt generiere. In diesem Moment ist das Denken schon eine ganz praktische Sichtweise der Welt. Also Theoria im antiken Sinne, wo das Wort noch soviel wie Schau / schauen bedeutet. Es ist verwandt mit Theater – Schauspiel.
Und der korporale Aspekt in der Performanz?
Arno Böhler: Der Titel Korporale Performanz möchte eine Kritik an allzu starken Performanztheorien äußern. Ich behaupte, dass der Körper genau jener Teil unserer Existenz ist, der sich eben nicht durch irgendwelche Arten von Theorien gänzlich kontrollieren und bändigen lässt. Und darum ist er gerade das Gegenmodell zu einem rein strategischen Modell von Denken und Tun. Der Körper ist der blinde, aufbegehrende, protestierende Fleck in unserem Dasein, der sich vom Bewusstsein und irgendwelchen sprachlichen Formen nie gänzlich diktieren lässt. Durch den Zusatz »korporal« wird gegen ganz bestimmte Performanztheorien also kritisch Stellung bezogen, wie zum Beispiel die einer bestimmten Lesart von Judith Butler. Denn es ist nicht nur die Sprache, die die Körper formt, sondern es sind auch die Körper, die sich in ihrem Aufbegehren gegen symbolische Formen und Theorien zur Wehr setzen und daher ein großes Widerstandspotential gegen sprachliche Vereinnahmungen aufweisen. Einerseits wird korporale Performanz also klassische Performanztheorien aufnehmen und reflektieren, gleichzeitig aber auch kritisch hinterfragen, um zu zeigen, dass es im leibhaftigen Vollzug einer Tätigkeit immer etwas gibt, was sich den darin getätigten sprachlichen Strategien per se entzieht.
Donnerstag 24. bis Sonntag 27. November 2011
Haus Wittgenstein, Bulgarisches Kulturinstitut
Parkgasse 18, 1030 Wien
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Foto: © Stephan Doleschal