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Darwin und die Globalisierung

»Darwin's Nightmare«, der neue Film des österreichischen Dokumentarfilmers Hubert Sauper, beschäftigt sich mit dem Ökosystem Victoriasee. Der dort eingesetzte Nilbarsch verwirklicht sozusagen Darwins schlimmsten Alptraum der Evolution: Als nunmehr stärkster und kräftigster Räuber im See hat er alle anderen Fische ausgerottet.

Der räuberische Nilbarsch steht aber nur der Anfang einer Geschichte über Globalisierung, Nord-Südbeziehungen, Armut, Reichtum und Hunger: Denn während jeden Tag am See in zahlreichen Fabriken 500 Tonnen Fischfilets für den Export nach Europa und Japan erzeugt werden, bricht in Tansania eine Hungersnot aus, von der rund 2 Millionen Menschen betroffen sind. »Wie viele Menschen könnten von 500 Tonnen Fisch leben?«, fragt Hubert Sauper irgendwann den Besitzer einer Fischfabrik, der darauf keine Antwort weiß.
Tagtäglich starten bis zu zwei riesige Transportflugzeuge vom Typ Iljuschin mit 55 Tonnen Fischfilets an Bord. Die Maschinen werden von wagemutigen russischen und ukrainischen Piloten geflogen. Und wenn die alten Ostflieger zu stark beladen sind, kann es schon vorkommen, dass sie nicht abheben und – gemeinsam mit dem Fisch an Bord – im See landen.

Fisch ist Tansanias wichtigstes Exportgut

EU-Mitarbeiter, die Tansania besuchen, loben die Fischindustrie: Fisch ist gar Tansanias wichtigstes Exportgut nach Europa. Doch während die EU-Leute dies in einer Pressekonferenz vor Ort loben, spielen, schlafen und schnüffeln obdachlose Kinder auf den dreckigen Straßen. Die Menschen, die die Fische produzieren, haben selbst zu wenig zu essen – für sie bleiben die Fischköpfe und Gräten übrig, auf einen Haufen geworfen wirkt ihr Essen wie das, was es eigentlich ist: Der Abfall der westlichen Welt, die sich alles einverleibt. Einer kapitalistischen Welt, die überall dort, wo ein Profit gemacht werden kann, diesen auch macht. Und zwar immer auf Kosten der Armen dieser Welt. Anstatt des Nilbarsches könnte man genauso nigerianisches Erdöl oder Diamanten aus Sierra Leone einsetzen. Das System von 500 Jahren Ausbeutung, das letztlich Europa und den Westen reicht gemacht hat, wird unter den Vorzeichen einer neoliberalen globalisierten Welt perpetuiert.

Waffen statt Essen

»Wir haben sechs Monate in Tansania gedreht«, erzählt Hubert Sauper im Gespräch mit skug.at. Dort stellt er viele Fragen. Immer wieder will er wissen, was die Ukrainer und Russen an Bord haben, wenn sie auf der kleinen Piste am Victoriasee neben den Wellblechhütten der Armen landen. Anfangs behaupten alle, die Flugzeuge kämen leer nach Afrika. Dann gibt doch ein Pilot zu, es wären Kisten an Bord: Maschinenteile, Ölförderanlagen und dergleichen. Am Ende des Films gesteht einer der Piloten aus dem Osten – selbst ein Verlierer der Globalisierung -, dass er Panzer nach Angola transportiert hat; von Südafrika hätte er dann Südfrüchte nach Europagebracht. »Panzer für die Kinder Angolas und Weintrauben für die Kinder Europas«, sagt er traurig und setzt hinzu: »Ich möchte, dass alle Kinder glücklich sind, aber ich weiß nicht, wie ich das machen soll.« Letztlich kämpft auch er nur ums Überleben, ist auch er einer der Armen dieser globalisierten Welt.
»Ich habe gewusst, dass sie Waffen transportieren, aber ich hätte die Fragen nicht zu früh stellen dürfen. Erst nach zwei Jahren habe ich das fragen können und auch eine Antwort bekommen«, sagt Hubert Sauper.
»Darwin’s Nightmare« ist ein schonungsloser Film, der das brutale Antlitz der Globalisierung zeigt: Kinder, kämpfen miteinander um ihr Essen. Eliza, eine der portraitierten Prostituierten, wird während der Dreharbeiten ermordet. »Ich möchte wieder zur Schule gehen«, hat Eliza im Film noch gesagt und als Zuseher hat man gewusst, dass sie das wohl nie schaffen wird, weil dies das Ausbeutungssystem, in dem sie die Schwache ist, einfach nicht vorsieht; siehe Darwin – und so erlebt Eliza ihren ganz persönlichen Alptraum.
Saupers Film lässt einen ratlos zurück, offen bleibt etwa die Frage: Was soll man wirklich gegen das am Beispiel des Nilbarsches demonstrierte System der Ausbeutung tun? Der Nilbarsch ist dabei nur ein Beispiel von vielen, statt Nilbarsch könnte man auch Erdöl in Nigeria oder Tropenholz auf Sumatra einsetzen. Und wie wird sich die Situation am Victoriasee in den nächsten 10 bis 20 Jahren entwickeln, angesichts dessen, dass der Sauerstoffgehalt im See abnimmt und die Umwelt immer mehr verschmutzt wird? »Der Nilbarsch wird im Victoriasee aussterben. Die Menschen, die jetzt als Fischer am See leben, werden in ihre Dörfer zurückkehren und dort Aids verbreiten«, zeichnet Hubert Sauper ein düsteres aber realistisches Bild der Zukunft.

Alternativen zur Globalisierung

Zum Weiterdenken und ergänzend zu Saupers Film, sei ein vor kurzem im Schweizer Rotpunkt-Verlag erschienenes Buch von Peter Niggli empfohlen: »Nach der Globalisierung – Entwicklungspolitik im 21. Jahrhundert«. Der Autor ist Geschäftsleiter der Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke, einer Vereinigung von Schweizer Hilfsorganisationen. In seinem Buch fasst Niggli von der Vereinigung erarbeitet Richtlinien und Alternativen für eine globalisierten Welt zusammen.
Niggli gelingt es zu zeigen, dass sich die Länder, die sich nicht der neoliberalen Doktrin einer globalisierten Weltwirtschaft unterworfen haben, die Wirtschaftskrisen der letzten Jahre besser überstanden haben als andere: Etwa die Tigerstaaten Asiens, Indien und China. In Indien leben zwar noch immer viele Menschen in Armut, aber das Land ist seinen eigenen Weg des Wirtschaftsprotektionismus gegangen, der die eigene Wirtschaft vor ausländischen Investitionen geschützt hat. Jetzt verfügt Indien – Stichwort Computerindustrie – über Millionen gut ausgebildete Staatsbürger. Im Vergleich dazu sind die Länder Lateinamerikas – etwa Argentinien – in die wirtschaftliche Krise gerutscht: Argentinien war einer neoliberalen Privatisierungsstrategie zum Opfer gefallen, im Zuge derer gut laufende Staatsbetriebe ans Ausland ausverkauft worden sind, oft um nur zehn Prozent ihres tatsächlichen Wertes! Davon haben aber nicht breite Teile der Bevölkerung profitiert, sondern eine sich bereichernde Oligarchie aus bestechlichen Politikern und Wirtschaftsleuten.
Peter Niggli skizziert die mögliche Alternative: Eigene Wege gehen, auch in der Wirtschaft. Die Botschaft lautet sozusagen: Eine andere Welt ist möglich. Ein wichtiges Buch, das – ähnlich wie Hubert Saupers Film – komplexe Zusammenhänge aufzeigt.

»Darwin’s Nightmare« (R: Hubert Sauper, 2004), ab 21. Jänner 2005 im Kino. Peter Niggli: »Nach der Globalisierung – Entwicklungspolitik im 21. Jahrhundert« (Rotpunkt: Zürich: 2004)

Home / Kultur / Film

Text
Jürgen Plank

Veröffentlichung
21.01.2005

Schlagwörter

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