Dritte Hand © Julian Van Urban
Dritte Hand © Julian Van Urban

Chaos in der Zirkusarena

Eine Kombination aus Mundart-Chansons Dylan’scher Manier, sintflutartigen Sujets und grobem Unfug – das alles hat, liebevoll vertont, die neue Platte von Dritte Hand zu bieten. Mit allen Wassern gewaschen heben sie »Olle Viecha, olle Fisch« aus der Taufe.

Ein gerüttelt Maß an Fantasie ist in den Songtexten des Quartetts Dritte Hand immer dabei, nur ist die letzte Liedsammlung schon ein paar Jährchen her, weswegen man gespannt die Ohren spitzt und die neue Platte »Olle Viecha, olle Fisch« anspielt. In Erwartung von so Powersätzen wie »L’amour kam in die Küche und stahl dem Koch sein Herz« aus dem Album »Kuchlsitzn« (2020) beginnt man also vorsichtig, sich das neue Werk zu Gemüte zu führen. Wer besagte Scheibe nicht kennt, kann hier nachlesen. 

Wenn man im Hören von Mundartdichtung ohne Volksmusik-Trauma nicht geübt ist, kostet das zugegeben ein bisschen Überwindung, oft können zu platt gedrechselte Silben, zu tief gestellte Aphorismen das Hörvergnügen trüben. Apropos Schlager, auf Anfrage der Autorin führt Mario Schlager, Gitarrist und Leadsänger der Band, zuweilen in der Kleiderschürze der Omama auftretend, genau die umgekehrte Seite ins Treffen. 

Auf Englisch klingen viele Phrasen zu ausgelutscht, da sie mit denselben Sujets in Songs wiederholt auftreten. Auch wenn man »I love you« singen kann, was im Dialekt nicht möglich ist, stellt Schlager die Frage in den Raum, ob es diesen Stehsatz wirklich braucht. Das Timbre der vorgetragenen Stimmungsbilder, durchaus Lovesongs, geben ihm recht, Crooning ist auf Mundart naturgemäß noch eindringlicher als durch die Stimmlage ohnehin schon.

Akkordstrudel im Tonstudio

Doch zurück zu den Erwartungen, werden sie musikalisch auch erfüllt? Sicher, die Tastentöne von E-Organist Bernhard Scheiblauer spielen von Praterdrehorgel bis zu bluesigen Akkorden alle Stückeln. Sowieso, Frau Adele Knall am Bass und als zweite Gesangsstimme fügt ein solides Fundament unter die Gitarre und der Drum-Barista David Bergstötter setzt gekonnt Akzente. Aber teils enden die Stücke in einem sich ähnelnden Strudel (wohl übrig vom Kuchelsitzn) aus Gedicht, Gefühlswahnsinn und Fahrgeschäftsfatalismus. 

Möglich, dass mich das Coverbild von »Glizzah« zur folgenden Anspielung inspiriert: Es ist, als würde Schlager als irre lächelnder Zirkusdirektor seine inneren Dämonen an die Dompteuse Knall verfüttern, sie duellieren sich im Rausch der Arena, wo weder der Herr mit dem Hammondorgelsyndrom, noch der Herr am Schlagwerk etwas zu melden haben. Schade. Denn so verhallt ab und an der Sprechgesang im Duett, bevor die Bedeutung im Geist bleibt.

Muss man sich wohl gleich nochmal anhören, denn was man nicht vergessen kann, ist, dass bei den Live-Darbietungen dieses schale Verhallen keineswegs der Fall war. Was kann also in Bezug auf die Tonabnahme der Grund sein? Vielleicht die von Schlager geschilderten Querelen vor den Aufnahmesessions? Jeder Ton der Platte wurde schwer erkämpft, trotz liegengebliebener Autos mit Motorausfall und Abschleppdienst von der Autobahn nach Graz ins Stressstudio war die Zeit im Studio aber eine gute. Die Musik wurde vom solo erdachten Rohbau über Jams zusammengezimmert und nach einem gemeinsamen Bandcamp stand die Hütte, Feinschliff im Studio inklusive. Der Hörerfahrung nach die beste Art, Musik zu kreieren.

Musikalisches Mitgefühl

Und so kontrastierten die eleganten Tonpassagen mit dem Weltschmerztimbre der Lyrics. Ja, Dialekt-Cringe hin oder her, und obwohl manchmal unklar ist, warum z. B. die Biber in das romantische Liedgebaren verwickelt sind, ist es doch sicher für Leute hilfreich, denen es ähnlich geht, denen genau diese Worte aus der Seele sprechen. Ist das nicht die Stärke solcher Songs? Dass man sich in der eigenen Situation verstanden fühlt? Oder sie so gerade erst erkennen kann? Denn so schlimm können musikalisch mitgefühlte Emotionen gar nicht sein, dass sie nicht auch schön sind.

Es scheint so das Schicksal der dritten Nummer auf einem Album zu sein, dass man zu viel Erwartungen an sie hegt. Der ersten gebührt die Aufmerksamkeit des Beginns, die zweite bringt einen bissl runter auf die Tatsachen, die nun mal nicht zu ändern sind, und die dritte ist oft nachlässig besetzt oder man hofft verfrüht auf neue Höhenflüge. (Anm.: Für die Rezension wurden die Titel in alphabetischer Reihenfolge angehört, die Reihung auf dem finalen Release ist eine andere.) 

Wenn sie auch ruhig ist, und nicht spritzig, überrascht einen Nummer Vier mit der Macht des musikalischen Aha-Erlebnisses. In diesem Fall folgt viel Drama, Abwechslung und diese gewisse Provinz-Panache. Dann kommt ein Song, auf den man sich freuen darf, und das ist »Magnolia«. Ich muss an ein Foto denken, das ich vor Jahren nächtens von dem eben erblühten Magnolienbaum vorm Palais Auersperg gemacht habe. 

Wachauer Postapokalypse

Den Song »Uewan Krauperg« wiederum kennt man schon von Live-Konzerten, er beginnt schön anglophil psychedelisch, feudal geflötet wird auch, und gibt mit »Olle Viecha, olle Fisch« dem Album seinen Titel. Die Orgel gurgelt wie die Götterdämmerung der aquatischen Apokalypse, die zumindest für den Donauuferbereich von NÖ skizziert wird. Apropos Weltuntergang, das scheint derzeit bei heimischen Neuerscheinungen ein gängiges Thema zu sein, wie bei ZINNs Song »Apokalypso«, oder? 

Warum singt man im Dub/Reggae verschwimmend das Ende der Wa(aa)chau herbei? Schlager meint hierzu, dass er sehr visuell agiert beim Texte schreiben, das Lied ist wie ein postapokalyptischer Film angelegt. Was in Zeiten des Klimawandels, mit steigendem Meeresspiegel, schon mal an die Arche Noah denken lässt. Ob das wirklich alle Sünden von Hanni und Nanni aus den Donaugefilden wäscht? Ob der Erzähler am Ende nur ein Scharlatan ist oder ein Wal?

Und es geht aquatisch grungy weiter, Akkorde wie bei Hendrix’ »1983… (A Merman I Should Turn to Be)« läuten mollig weiche Wohlfühlmelodien ein. »Mei Kopf is zur Hölfte Denken, zur Hölfte Hupfburg«, ein weiterer lyrischer Geniestreich, der den Groove gut beschreibt. Oder der Brunnen in der Burg oben, den man »bis in die Zechn eini gspiahrt«, es sind Zeilen wie diese, die aufmerksamen Zuhörer*innen Freude bereiten. Und »Wias Liacht wird« ist einfach ein schönes Schlaflied.

Schlagzeug(er) entfesseln

Eines noch, man hofft, dass Dritte Hand ihren Drummer bald mal ein bisschen mehr von der Leine lassen und es zu einem wunderbar symbiotischen Auswuchs von Knalls Bassspiel und Bergstötters Schlagzeug kommt, anstatt ihn nur die tonalen Höhen der Rhythm-Hits nachspielen zu lassen. Die Liedkonstruktionen sind sehr auf das Melodische fixiert. Darum freut man sich, wenn die Nummer »Wind« noisy, impromäßig scheppert.

Dennoch finden Groove-gewöhnte Ohren Halt, wenn Gitarre und Keys harmonieren, besonders wenn der Bass dazu den Hintergrund modelliert. Wie das klingt? Ein bisschen nach dem guten alten Bob Dylan, um einen der von Schlager genannten Einflüsse zu nennen. Am Schluss bleibt die Frage, war das mit dem Strudel aus fatalistischen Stimmungen, dem Chaos aus Tönen, dem Rausch in der Arena, doch gar nicht so verkehrt? Kann man sich beim nächsten Konzert, dem Release-Abend des 12. März 2024 im Wiener Chelsea anhören.

Dritte Hand: »Olle Viecha, olle Fisch« (Dritte Hand Records)

Link: https://drittehand.com/

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