»Ich habe mich immer gefragt,wie Michael Jackson es geschafft hat, als schwarzer Sänger zu beginnen, um als junges, weißes Mädchen zu enden ??« (Phil Spector)
»Der Kunde hat nicht immer zwangsläufig Recht ??« (Enzo Ferrari)
Eigentlich dachte ich bisher, bis auf Edison-Walzen oder Blue-Rays, alles ausprobiert zu haben: Kassette, LP, EP, Single, Maxi, Mini Disc, CD, mp3, mp4, Picture Disc, DAT, 16- oder 24-Spur-Band, 4-Spur-Kassette, Festplatte, VHS, USB-Stick, CDR, DVDR, CDRW, Minikassette ?? und ich weiß nicht was sonst noch alles. Und dann das ganze Merchandising: T-Shirts, Schlüsselanhänger, Poster, Schirmmützen, Armbänder, Gitarrengurte, Sammelalben, Jubiläumsbände, Plektren, Wirbel, kleine Schmuckstücke, Modelle oder Figürchen, Kalender, Bootlegs, Kaugummis, Bierdeckel, Präservative, Kulis, Schuhe, Intimgele, Parfums, etc.
Und spätestens an dieser Stelle beginnt man zu zweifeln, ob die Musikindustrie einem überhaupt jemals Musik verkauft hat. Keine Inhalte also, nur Beinhaltung: CD-Player, multifunktionales Handy der neuesten Generation, diverse Abonnements, mp3-Player, Bildtelefone oder andere Bildschirme. Und es ist eben der Bildschirm, den man kauft, so wie man einen Platz im Kino mietet, ohne damit auch schon den Film gesehen zu haben. Von Anfang an wurde der Krieg mit der vollen kommerziellen und keineswegs künstlerischen Logik eröffnet: man zerschneidet die Symphonien, damit sie auf die Disk passen, und man zersägt die Opern.
Verkaufszahlen vs. Inhalte
Charlie Parker hat – im Gegensatz zu den vierzehn oder fünfzehn kompletten Themen, die jeden Tag im Club gespielt werden – nicht mehr als 16 Takte benötigt, um alles zu sagen. Aber der Markt kennt eben keine anderen Grenzen als die Verkaufszahlen: man gräbt – übrigens in bester ?bereinstimmung mit den Produzenten – alternates und unveröffentlichte Stücke aus, die von den KünstlerInnen sorgfältig im Wandschrank verschlossen wurden. Zwei offenkundige Beispiele dafür? Das wunderbare Album »Somethin‘ Else« von Cannonball Adderley ?? ein Schmuckstück, das durch die CD-Ausgabe und die Bonus Tracks so sehr zerstört wurde, dass am Ende nur mehr ein Blues ohne jede Magie übrigblieb, der nur aufgewärmt wurde, um die Mikrofone auszusteuern. Oder »Africa« (Alternate Track) von John Coltrane auf »Africa/Brass« ?? der gleiche Tag und die gleichen Musiker aber hier eine Sauce, die sich von Minute zu Minute hinzieht. Ja, auch das ist die CD: Oft gilt eben less is more. »In der Musik ist es ziemlich einfach zu erkennen, was gut ist, aber viel schwieriger zu wissen, was schlecht ist«, wusste David Geffen.
CDs zum Kilopreis! Wobei mit ihrem historischen Auftauchen auch die mögliche Abspieldauer explodierte (von etwa 30 auf 75 Minuten). Die Produktionskosten stagnierten, aber der Verkaufspreis verdoppelte sich. Magic Trick! Weder die Künstler noch ihre Produzenten oder gar die kommerziellen Direktoren kümmerten sich um die Inhalte, aber sehr wohl um den Markt, der sich ihnen eröffnete. Ein Markt des Betrugs, an dem wir aber alle interessiert und für den wir mithin verantwortlich waren. Alles nur für die Kasse. Schwache aber akzeptable Musik von fünfundzwanzig Minuten wurde auf der CD zu einer wahren Tortur.
Neue Jagdzeit
Was haben wir also gewonnen? Qualitätsunterschiede, die überragend genannt wurden (ADD, DDD etc.), aber im Walkman, im Radio oder mit Hi-Fi nicht zu bemerken waren? Und haben wir dabei nicht alle begonnen, beim Musikhören etwas anderes zu tun: Kochen, Lieben, Waschen, Essen ??? Dabei weiß die Industrie sehr genau, wie man einen Gegenstand verkauft und sozusagen ??unumgänglich?? macht. Mir ist es passiert, dass ich dasselbe Album insgesamt vier Mal gekauft habe: Vinyl, Kassette, CD und mp3 ?? und das alles in weniger als zwanzig Jahren! Das angekündigte Ende der CD ist also nur die Eröffnung einer neuen Jagdzeit, über die ich mich unglaublich freue. Es ist das Ende der obskuren Praktiken einiger Initiationszirkel aus Produzenten, Händlern und Zwischenhändlern, die nichts Musikalisches an sich haben.
Der ?bergang zu den digitalen Downloads könnte indes dazu führen, dass sich die genannten Tendenzen umkehren (zumindest für eine gewisse Zeit, bevor die alten Reflexe wieder greifen). Aber während nur wenige Computerspiele das Kino im Sinne des Marktes überholt haben, hat Kindle® (Amazon) die erste Schlacht des elektronischen Buches gegen Nook® (Barnes&Nobles) für sich entscheiden können. Allerdings nur, weil Kindle sich auf Romane und Fiktion verlegte, um Adobe den Markt für universitäre Literatur zu überlassen. All das ist vernünftig, hat sein Gutes und Schönes. Man weiß zwar nicht genau, ob die Sozialen Netzwerke die arabischen Revolutionen befördert haben, aber man kann es zumindest glauben, weil all diese Veränderungen Möglichkeiten, Zukunft und Hoffnung mit sich bringen. Kindle zahlt im Gegensatz zu den traditionellen 10 % insgesamt 85 % der Einnahmen an die Autoren aus ?? wenn nur diese neue kommerzielle Praxis auch dazu führt, dass mehr Seiten umgeblättert werden ?? wir werden sehen ?? wir warten ??
»Die großen Geister tauschen Ideen aus, die mittelmäßigen diskutieren Ereignisse und die schwachen reden darüber, was die anderen tun ?? Es gibt nichts Erschreckenderes als die Ignoranz in Aktion.« (Phil Spector)
»In girum imus nocte et consumimur igni / Wir irren des Nachts im Kreis umher und werden vom Feuer verschlungen ??« (Guy Debord et al.)
und die CD natürlich auch