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Calexico

Schon bei Giant Sand waren Joey Burns und John Convertino mehr als nur eine Rhythmusgruppe. Als Calexico geben sie sich auf »Feast Of Wire« ihren eklektischen Neigungen nun vollends hin, und präsentieren eine üppig auswuchernde Platte, die selbst die letzten notorischen Nörgler überzeugen wird. Andere Fragen bezüglich postmoderner Kitschversessenheit wurden von Fritz O. schon in Skug, Vol. 43 ausreichend erörtert. Im folgenden Teile des Interviews, das uns Joey Burns während seiner Promo-Tour in Wien gab.

skug: Wann habt ihr eigentlich begonnen, Songs zu schreiben?

Joey Burns: Bei den Friends Of Dean Martin. John und ich begannen damit ursprünglich, als wir beide gemeinsam mit Howe nach Tucson gezogen sind, um von L.A. wegzukommen, in eine kleinere Stadt zu kommen, in die Wüste. Wir lebten eine Weile in seiner Wohnung im Barrio Vieo. Ich habe schließlich auch eine Wohnung in der selben Straße gefunden. Aber davor haben wir all unsere Instrumente in Howes Haus gebracht und mit dem Anrufbeantworter Aufnahmen gemacht – the outgoing message. Das hat tatsächlich so begonnen – einige dieser messages sind dann am Hausmusik-Album »Spoke« gelandet. Ich fand dann eben meine eigene Wohnung, und durch die Friends Of Dean Martin habe ich begonnen, mehr Gitarre zu spielen und mehr Songs zu schreiben. John begann parallel dazu, mehr Marimba, Vibraphon und Akkordeon zu spielen – das war ca. 1993/94. Damals waren wir eine reine Cover-Band. Als wir dann bei Sub Pop einen Plattenvertrag unterschrieben, war ich entschlossen, kein reines Cover-Album zu machen. Das war es aber, was sie glaubten, von uns zu bekommen. Ich ging nach einer Tour mit Victoria Williams ins Studio. Dort schrieb ich ein paar Songs, und John spielte dazu Schlagzeug. Und das war dann mehr oder weniger der wirkliche Beginn. Im Wavelab-Studio ließ ich alle meine Erfahrungen von Giant Sand und Victoria Williams einfließen, und all unsere Erfahrungen, die wir als Kinder, die mit Musik aufwachsen und Musik spielen, gemacht haben. Alles fließt da rein.

skug: Die Songwriting-Credits lauten bei euch immer »Burns/Convertino«, werden also einer musikalischen Partnerschaft zugeschrieben …

JB: Zusammenarbeit – so läuft das bei uns. Ich bringe den Teil einer Idee ein, oder John kommt mit etwas daher. Wir kommen zusammen und beginnen die Arbeit – alles im Studio.

skug: Der Studioarbeit kommt also ein zentraler Stellenwert zu? Nachdem nur ca. die Hälfte des neuen Albums aus klassischen Songs mit Songstruktur und Texten besteht, stellt sich die Frage, wie eure Stücke entstehen? Vermutlich eben nicht über klassisches Songwriting … Wie entsteht also eine Calexico-Platte?

JB: Das verändert sich von Mal zu Mal. Meistens beginnt es mit musikalischen Ideen, und deren Entwicklung beim Aufnehmen. Manchmal bauen wir ein Stück immer weiter aus, und lassen es so, oder wir nehmen es wieder auseinander. Das Stück »Pepito« zum Beispiel – ich habe da Millionen Overdubs mit der Analog-Tonbandmaschine draufgepackt. Als wir es abmischten, fanden wir endlich einen Sinn darin. Das hat uns viel Zeit gekostet. Da habe ich wirklich eine Lektion gelernt. Wir haben dann auch einen anderen Remix dieses Stückes gemacht, und daraus wurde »Whipping The Horse’s Eye« – es ist also das gleiche Lied in zwei ganz unterschiedlichen Mixen – und mit zwei verschiedenen Titeln.

skug: Diese Arbeitsweise erinnert eher an ein Elektronikprojekt als an eine typische Band.

JB: Ja. Wir gehen kaum je ins Studio, um fertig geschriebene Stücke aufzunehmen. Das geschieht nur ganz selten. Auf dieser Platte – und das ist ein zentraler Unterschied zwischen dem neuen Album und seinen Vorgängern – finden sich eine Reihe von Stücken, die wir mit unserer Live-Band, Martin Wenk und Volker Zander aus Deutschland, Paul Niehaus aus Nashville, Tennessee, der auch bei Lambchop spielt, und Jacob Valenzuela aus Tucson, live im Studio aufgenommen haben – »Black Heart«, »Crumble« und »No Doze«. Bei diesen Stücken war es also eine etwas andere Angelegenheit.

skug: »Black Heart« trägt die Dunkelheit ja schon im Titel. Es heißt darin etwa »Can’t find no poison«, oder an anderer Stelle im Album »Last fair deal gone down / … / corporate handshake«. Eine Thematik, die sich also durchzieht.

JB: Es ist eine Mischung aus persönlichen Gefühlen und aus allgemeinen Stimmungen und dem Geschehen um uns herum. Also etwa die Situation zwischen USA und Mexiko; oder schlichtweg diese ganze Sache mit George-Bush, was er in der Außenpolitik macht, sein Streben nach dem Irak-Krieg. Es ist ziemlich ernst. Seit er als Präsident gewählt wurde, war klar, dass etwas nicht stimmt, denn es sah nicht so aus, als ob es die Stimme des Volkes war, die ihn gewählt hat. Ich denke dauernd daran, was in dieser Regierung wirklich passiert.

skug: Das ist also der letzte »Fair deal«, der in einem der Songs nicht mehr zustande kommt?

JB: Ja, es ist dieser Traum… Es könnte sich auf vieles beziehen, es gibt eine Interpretation wie die andere. Ich glaube aber auch, dass es hier Momente von positiver Aussicht oder Hoffnung gibt. Sogar in dem Song »Sunken Waltz«, mit dem Text »last fair deal, the American zeal, corporate handshake«. Am Ende geht es um diesen Gentleman Carpenter Mike, der die Welt, die er kennt verlässt und ins Niemandsland geht. Wahrscheinlich geht er in die Natur: »Builds a machine/takes flight/first light of new morning«. Irgendwie erscheint mir das positiv. Die Zukunft lässt sich nicht vorhersagen, der Ausgang ist ungewiss: Ich hoffe, es ist positiv. Gott weiß, wir könnten es brauchen. Ein bisschen Kontrast zur uns umgebenden Dunkelheit.

skug: Euer Song »The Ballad of Cable Hogue« ist nach einem Peckinpah-Film benannt. Er ging mit seinen Produktionen ja auch oft nach Mexiko, um dem amerikanischen Studio-System zu entfliehen. Das könnte auch eine Analogie zu euch sein, da ihr musikalisch nach unterschiedlichen Ausdrucksweisen sucht…

JB: Ja, das ist ein wichtiger Aspekt. Ich flüchte auch und suche nach anderen musikalischen Formen, um erfrischt zu werden. Wenn du immer wieder die selbe Musik hörst, willst du irgendwann einfach etwas anderes hören, wo anders hingehen. Es scheint in Mexiko wirklich eine andere Ausdrucksweise, eine andere Stimmung vorzuherrschen. Die Rhythmen und Melodien und sogar die Instrumente sind verschieden. Sogar Gruppen wie das Nortec-Collective, die elektronisch sind, verwenden Samples aus ihrer Kultur, ihrer Welt. Das ist wirklich inspirierend. Diesen Ansatz mag ich in Zukunft stärker verfolgen.

skug: Ich würde gerne noch einmal auf die Situation zwischen Amerika und Mexiko zurückkommen und die Sache mit der Grenze. Interessant ist ja, dass in eurer Musik die Grenzen verschwimmen, während das tägliche Leben getrennt ist. Wie wirkt sich das auf den Alltag der Leute, die an der Grenze leben aus?

JB: Was meinst du mit dem Alltag – die zwei Seiten der Grenze oder innerhalb der Gemeinschaft?

skug: Beides.

JB: Das ist ein universelles Thema, das ich sehr interessant finde. Ich weiß, dass es das auch in Europa gibt. Menschen aus Polen oder dem Osten, die versuchen in die Europäische Gemeinschaft reinzukommen, egal ob nach Österreich, Deutschland oder Frankreich. Die gleiche Sache existiert in Amerika. Der einzige Unterschied ist, dass ihr hier eine Menge verschiedener Länder habt, die in einer Gemeinschaft zusammengeschlossen sind, während Amerika nur ein großes Land ist. Es gibt Staaten, aber keine Grenzen zwischen den Staaten. Der Kontrast in der Wirtschaft ist so groß… Wenn du nach Mexiko kommst – von San Diego nach Tijuana oder von Nogales, Arizona nach Nogales, Mexiko – du kannst die Unterschiede nicht glauben, die du siehst. Es ist wie Erste und Dritte Welt, die Tür an Tür leben. Das ist erstaunlich, denn das einzige, was sie trennt, ist ein langgezogener Zaun, ein Stacheldraht, oder eine Grenzstation. Und dann war Tucson bis etwa 1850 ja Teil von Mexiko, als das Land von Amerika gekauft wurde, um die Eisenbahn durchzuführen. Es gibt noch alte Familien aus Mexiko, die dort schon lange wohnen, und zu einem gewissen Grad gibt es auch noch das Gefühl von Mexiko. Natürlich gibt es Strip Malls, Freeways und Punk-Rock-Kids auf Skateboards… Es ist schon ziemlich anders. Auf der anderen Seite gibt es Leute aus Mexiko, die zum Einkaufen herfahren. Es scheint so, als ob die Grenze
sich langsam ein wenig öffnet. Das ist ein gutes Zeichen. Rein für mich gesprochen habe ich in Tucson jetzt mehr der mexikanisch-amerikanischen Musiker kennen gelernt. Ihre Familien sind hispanisch und sie spielen Mariachi-Musik. Ich traf sie, verbrachte Zeit mit ihnen und spielte mit ihnen auf Tour. Dadurch lernt man sich einfach besser kennen. Die Musik selbst öffnet diese Tür in eine andere Welt. Sie wohnen ganz in der Nähe, aber manchmal sehe ich sie kaum, weil sie so beschäftigt sind, und ich auch ein wenig mehr. Dieses Viertel ist sehr gemischt, jetzt ziehen auch immer mehr Anwälte her und bauen ihre Büros. Die Oberklasse hält also Einzug. Es leben dort auch viele Künstler und Musiker. Langsam ändert sich etwas, die Anwälte nehmen mehr Platz ein und einige der mexikanischen Familien ziehen weg. Das ist traurig, denn es ist ein schöner Ort. Familien, Kinder, Katzen und Hunde bevölkern die Straße, an Autos wird zu allen möglichen Uhrzeiten direkt am Gehsteig herumgetüftelt… Es ist auch eine schnell wachsende Stadt, die sich immer mehr ausdehnt. Alle Häuser sind einstöckig. Es ist aber auch sehr gewalttätig. In South Tucson gibt es viele Gangs und manchmal gibt es Konflikte.

skug: Ist mit dem »Wire« aus »Feast Of Wire« die Grenze gemeint?

JB: Das ist eine Interpretation. Die andere könnte Technologie sein. Die Tatsache, dass wir immer schneller und schneller vorangehen. Beide Aspekte drehen sich um die Tatsache, dass es die gibt, denen es gut geht und die ihren Erfolg fortführen, und die, denen es vielleicht nicht so gut geht. Oder vielleicht hat es auch nur damit zu tun, in einem Aufnahmestudio zu sein und von all den Kabeln und Drähten umgeben zu sein und von der Technologie verschluckt zu werden.

skug: Du hast einmal die Authentizitätsfalle geschickt umspielend Calexico mit Karl May in der Art verglichen, dass die meisten der Western- und Wüstenmetaphern in eurer Musik nicht Abbilder der Wirklichkeit sondern eher der Imagination oder Fantasie seien.

JB: Es ist eine Verbindung von beiden. Wir sehen alle möglichen Teile der Welt, wir waren in Spanien, sahen eine andere Art Wüste, und… Andererseits waren wir auch an vielen Orten noch nicht. Wir waren In Amerika, Europa, Japan und Neuseeland. Es gäbe noch so viele andere Teile der Welt zu sehen. Aber Vorstellungskraft ist natürlich für jede Art von Kunst von großer Bedeutung. Du musst fähig sein, deine Ideen zu transportieren. Ob du nun aus einem Traum erwachst, oder sonst irgendeine »Vision« hast. Um neue und aufregende Ideen zu haben, muss man nicht aus einem spezifischen Ort kommen. Aber es kann helfen. Wir benützen beides; was da ist und unsere Vorstellung. Hier zu leben und großartige Geschichten zu hören, die nichts mit Spaghetti-Western zu tun haben oder diesem Mythos des Westens. Auf gewisse Weise war der Song des letzten Albums »The Ballad Of Cable Hogue« eine Möglichkeit für uns, über uns zu lachen. Wir wurden bekannt für diese Klischees, und das kann ich auch verstehen. So eine Selbstparodie passt dann genau. Du sollst dich nicht zu ernst nehmen.

skug: Ich fragte mich, ob dieser Mangel an Authentizität nicht ein Vorteil wäre, da man nicht so auf Genres festgelegt ist. Wie du gesagt hast, probiert ihr neue Dinge aus und vermischt sie.

JB: Das ist der wichtige Teil. Wir sind bezüglich verschiedener Weisen unsere Musik zu spielen immer offen, probieren neue Instrumente oder Wege aufzunehmen aus, oder spielen mit Leuten, die einen anderen Ansatz haben. Auch die Sache mit dem Remix-Austausch ist gut. Ob das nun eine Zusammenarbeit mit jemanden wie Bundy K. Brown ist, oder Remixe für Goldfrapp oder Two Lone Swordsmen. Diese Dinge halfen wirklich dabei, eine völlig neue Perspektive auf unsere Sounds, und darauf, was wir anders machen könnten, zu gewinnen.

skug: Auf »Feast Of Wire« gibt es auch Anklänge auf südamerikanische Musik.

JB: Ein wenig. In der zweiten Hälfte des Albums bilden einige Stücke ein eigenes, kleines Barrio, eine kleine Nachbarschaft. Unsere Interpretation dieser Musiken ist, glaube ich, sehr unterschiedlich zu dem, wie sie für uns klingen, wenn wir sie hören, ob nun zu Hause oder von einem südamerikanischem Musiker live gespielt. Egal ob sie aus Brasilien, Kuba, Peru oder Mexiko sind. Der Song »Güero Canelo« ist beispielsweise nach einem Cumbia modelliert, aber wir spielen keine Cumbias; es ist unsere Interpretation davon. Und diese Interpretation macht es einzigartig und nicht bloß zu einem Cover, es ist etwas anderes.

skug: Bei Giant Sand gab es ja auch nicht ganz ernst gemeinte Kategorien wie Smash Jazz.

JB: Howe hat immer alle möglichen musikalischen Stile geliebt. Wenn du dir die Platten anhörst, wirst du feststellen, dass sie sich die ganze Zeit ändern. Das ist auch der Grund, warum wir über all die Jahre zusammenspielen, und in der Nähe blieben. Wir haben ähnliche musikalische Auffassungen. Wir machen unsere eigenen Radiostationen auf unseren Alben, spielen Musik, die man im Radio nicht finden kann.

skug: Noch eine generelle Frage: Die Stimmung von Calexico erscheint immer sehr melancholisch. Wenn ich jetzt so mit dir rede scheinst du aber nicht so ein melancholischer Mensch zu sein…

JB: Das ist der Ausgleich. Ich versuche das auch in die Musik zu bringen. Einige der Instrumentals bilden einen Kontrast zu den dunkleren, melancholischen Themen. Ich weiß auch nicht aus welchem Grund… Wir sind bei den letzten beiden Alben dort gelandet, und bei dieser auch. Ich fühle mich als Sänger mit diesen Moll-Akkorden einfach wohl, und auch bei diesen Themen. Ich habe schon ein anderes mal versucht, das zu erklären, bin aber nicht sehr weit gekommen… Also lassen wir das offen.

skug: Danke für deine Zeit

JB: Aber natürlich! Machst du Witze! Es ist mir immer ein Vergnügen.

Calexico spielen am 17.08. im Alten Schlachthof in Wels.

Home / Musik / Artikel

Text
David Krispel, Gerhard Stöger

Veröffentlichung
06.08.2003

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