Bildausschitt Linoldruck von Erich Fröschl © Foto: Michael Franz Woels
Bildausschitt Linoldruck von Erich Fröschl © Foto: Michael Franz Woels

Bruckner ist Brockner

Obsessive Beschäftigung mit dem »Musikanten Gottes«. Oder war er gar durch seine weltlichen Sinfonien ein epochaler Ketzer? Zweifel, Gewissheit – ein schwer zu fassender Werdegang. Der Brucknerfizierte Norbert Trawöger in Teil 2 der skug-Rezensionstrilogie mit »Bruckner! Journal einer Leidenschaft.«

Norbert Trawöger, künstlerischer Direktor des Bruckner Orchester Linz und heuer künstlerischer Leiter der ersten oberösterreichischen KulturEXPO Anton Bruckner 2024, hat im Alter von acht Jahren eine »Riesenhöhle von symphonischen Ausmaßen« entdeckt. Nach einer Biografie über den oberösterreichischen Komponisten Balduin Sulzer im Jahr 2010 erscheint nun eine Textsammlung, die Anton Bruckner und seine Höhlenarbeiten huldigt: »Bruckner! Journal einer Leidenschaft«. Das Ausrufezeichen kann gelesen werden als Symbol einer fortissimosen Beschäftigung mit Anton Bruckner, »dem Menschen, die Figur, die Persönlichkeit, die in ihrer Disparatheit nicht zeitgemäßer sein könnte. Ein Mensch, der nie aufgegeben hat, der selbst in der größten Niederlage den nächsten Schritt versucht, der dem Zweifel wie kein Zweiter zu trauen scheint, der mit Selbstgewissheit seiner Bestimmung folgt. Bruckner ist nicht einfach zu fassen …« 

Die eingangs erwähnte Riesenhöhle von symphonischen Ausmaßen war die »4. Sinfonie«, die im Plattenschrank des Vaters lauerte und auf den Zugriff des Jugendlichen wartete, um zu einer Brucknerfizierung zu führen. Norbert Träwöger erinnert sich: »Ich griff mir die Schallplatte, zog sie aus dem Regal, nahm sie aus Cover- und Schutzhülle, legte sie auf den Teller unseres braunen Dual-Plattenspielers, zog den zarten Hebel nach hinten, um den Nadelarm anzuheben, führte die Nadel an den Rillenrand und senkte diesen mit Zurücklegen des Hebels auf die Schallplatte ab. Ein Rundungsgeräusch machte sich breit, bevor der Klang, das Tremolo einsetzte.« Zwei Seiten später stellt der Bruckner-Journalist fest, dass er kein Stück öfter gehört hat als die »4. Sinfonie« von Bruckner Anton.

Annäherung ans Genie via Briefwechsel

Apropos Anton, oder auch Tonerl. Der Tonerl hat unzählige Briefe verfasst, »siebenhundert Briefe sind uns bekannt, bei denen es sich oft um Gesuche, Bewerbungen an Behörden in Linz und Wien, an das Konversatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, an Ministerien, aber auch an Persönlichkeiten wie den Obersthofmeister handelt … Briefwechsel mit ihrer Familie, Freunden, Kollegen, Schülern, Dirigenten … auch der Erzherzogin, dem Kaiser von Österreich oder dem König von Bayern – und natürlich Richard Wagner.« Norbert Trawöger wählt als also getreu immer wieder die Briefform, um mit seinem hochverehrten Anton Bruckner in Verbindung zu treten und ihn zum Beispiel über seine Namensherkunft zu unterrichten: »Ihr Vorname führt auf Ihren Vater und den heiligen Antonius von Padua zurück. Ihr Namenstag muss demnach der 13. Juni sein, an dem starb der Heilige im Jahr 1231 und wurde schnurstracks elf Monate später heiliggesprochen, da sich viele Wunder an seinem Grabe ereignet haben sollen. Es war der kürzeste Heiligsprechungsprozess in der Kirchengeschichte. Antonius ist Patron von Padua, Lissabon, der Liebenden, der Eheleute, der Kinder, der Armen, der Sozialarbeiter, der Fayencefabrikanten, der Bäcker, er versichert gegen Schiffbruch, gegen Pest und Krieg, und er ist Schutzheiliger für das Auffinden verlorener Sachen.« Man erkennt, dem Komponisten Anton Bruckner nähert man sich am besten über Umwege.

Mystiker Bruckner als sinfonischer Ketzer

War Anton Bruckner eigentlich so etwas wie ein musikalisches Wunderkind? Dazu die Einschätzung von Norbert Trawöger: »Bruckner war alles andere als ein Wunderkind. Seine Ausbildung wird bis fast ins fünfte Lebensjahrzehnt dauern, sein Lebensweg steht für Werden, Zweifel und Gewissheit. Sein Feuer, seine Leidenschaft für die Musik wurde auf der kleinen Empore der Kirche von Ansfelden entfacht, die Blasebälge der Orgel sorgten für reichlich Sauerstoffzufuhr, all das unter Anleitung des Vaters, der vermutlich oft als Kalkant, als Balgtreter tätig war, um für die Windversorgung der Orgel und des musikalischen Feuers seines Erstgeborenen zu sorgen.« Der lange Atem, die Beharrlichkeit, eine Bodenständigkeit, die aber auch immer wieder einen kreativen Schollenwechsel – als Scholle bezeichnete man bis ins 19. Jahrhundert das bewirtschaftete Land eines Bauern, das Ernteerträge lieferte – vorsah, zeichneten das Schaffen von Anton Bruckner aus, der sich natürlich auch wunderbar politisch instrumentalisieren lässt: »Das Klischee des Musikanten Gottes wurde im Dritten Reich fast esoterisch gepflegt und hochstilisiert.« 

Der Dirigent und Musikwissenschaftler Peter Gülke hält Bruckner gar für einen Mystiker. Das bedarf natürlich einer Erklärung: »Mystiker waren immer auch Ketzer, und Bruckners Ketzerei bestand darin, dass er Sinfonien komponierte. Der Begriff »Ketzer« kommt aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt »die Reinen«. Bruckner wird im Stift St. Florian formatiert und mit den Formen der Kirche vertraut gemacht, denen er zum Teil manisch folgt. Auf der anderen Seite ist er ein Abweichler, der seine Kommunikation mit Gott außerhalb der Kirche, der tradierten Formen im weltlichen Gelände der Sinfonie sucht und findet, rein von jeder Etikette schafft er sich seine Form, in der er hörbar wird.«

Wagner, die Initialzündung zum Bruck’n’Roll

Der »Erweckung zur Sinfonie« soll hier zum Abschluss – der nur einen Beginn mit der Beschäftigung mit einem life-long Learner wie Bruckner darstellen kann – der finale Raum gegeben werden: »Im Anfang steckt das Ende, das gilt in eigentümlicher Weise für die Sinfonien Bruckners. Sie scheinen angefangen zu haben, bevor sie anfangen und enden, pünktlich dort, wo sie begonnen haben – oder danach. Das Linzer Theater widmete sich im 19. Jahrhundert neben dem Schauspiel vorrangig der italienischen Oper und ab 1859 dem neuen Genre der Operette. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts gab es ein eigenes Theaterorchester. Sängerinnen und Sänger der Wiener Hofoper gastierten in Linz. Als besonderes Ereignis in Linz galt 1863 die Erstaufführung von Richard Wagners »Tannhäuser«, initiiert und geleitet hatte die Aufführung Bruckners Kompositionslehrer Otto Kitzler, 1865 folgte »Der fliegende Holländer«. 

Dieses Wagner-Erlebnis muss Bruckner ein in Mark und Bein fahrendes Bestätigungsereignis gewesen sein, gibt ihm die Erlaubnis zum Eigenen, das er längst verfolgt hat. Es gibt, was es noch nicht gab. Der Ausbruch ist im Gange. Bruckner sorgt selbst unablässig dafür. Hätte er nicht ein ewiger und unvergessener Kirchenmusiker bleiben können?« Nein, denn das fast schon monströse Mischwesen aus Musikant und Mystiker konnte sich einfach nicht seiner gesamtmusikalischen Entelechie entziehen: »Ein Schöpfer von großen Messen und Chorwerken war er, ein weltberühmter Orgelimprovisator, der in Nancy, Paris und London im Klangrausch tausende Menschen eroberte, fast wie ein Rockstar gefeiert.« Bruckner ist Brockner, it’s time to Bruck’n’Roll …

Norbert Trawöger: »Bruckner! Journal einer Leidenschaft«, Residenz Verlag, Wien 2024, 160 Seiten, € 22,00

Link: https://www.residenzverlag.com/buch/bruckner

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