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Brighde Chaimbeul

»Sunwise«

Tak:til/Glitterbeat

Schriftzüge im extremen Metal zeichnen sich durch kunstvoll gestaltete Unleserlichkeit aus, man erkennt die Logos, aber eher selten die Buchstaben, aus denen sich die Namen der Bands jeweils zusammensetzen. Die symbolische Verrätselung trägt zur geheimnisvollen Aura bei, der Name ist Signum, Erkennungszeichen gewissermaßen geheimbündlerischer Zugehörigkeit. Ähnlich verhält es sich mitunter mit den Namen schottischer, walisischer oder irischer Musiker*innen, deren korrekte Aussprache dem Aufsagen eines magischen Zauberwortes im Märchen gleichzukommen scheint. Dies gilt zumindest, wenn man nicht den Dialekt der jeweiligen Herkunftsregion beherrscht. Und mindestens für Kontinentaleuropäer*innen trägt schon ein Name wie Brighde Chaimbeul dazu bei, verwundert aufzuhorchen. Noch bevor auch nur ein Ton aus dem Dudelsack herausgepresst ist, lockt der fast schon mystisch anmutende Name der Musikerin. Hinzu kommt dann noch die leicht unterkühlte und naturverbundene Inszenierung der jungen Frau mit dem exotischen Instrument auf vielen Fotografien und die folkloristische Fantasie erfüllt sich, bevor die Musik spielt. It’s show business! Aber so, wie auf Konzertplakaten voller Black- und Death-Metal-Logos in Klammern der Name der Bands in »normalen« Buchstaben unter den kritzeligen Siegeln steht, so kommen mit der Promo zu Brighde Chaimbeuls neuem Album zusätzliche Audio-Dateien. Die Musikerin sagt darin ihren Namen auf und ein paar der Songtitel ebenso. Auf diese Weise klärt sie auf und hilft allen Kulturschaffenden, die sie etwa im Radio oder Fernsehen ansagen dürfen, nicht zu versagen. Simsalabim! Das Spiel mit der Ver- und Entzauberung der Welt ist der Schlüssel zur Musik von Bridghe Chaimbeul. Sie spielt ein traditionsreiches Instrument, interpretiert Überliefertes und bringt eigene Kompositionen zu Gehör, überbrückt die Zeit und stellt so in gewissermaßen alchemistischer Manier eine flüchtige Verbindung her: Zwischen alt und neu, zwischen gestern und heute und zwischen sich und ihrem Publikum. Sie entwirft ein fast schon popkulturell-pantheistisches Panorama und bringt in ihrer Musik auf flüchtige Weise das Gefühl des Aufgehobenseins in der Welt und in der Schöpfung zum Ausdruck. In der Anerkennung dieser spirituellen Dimensionen der Musik von Brighde Chaimbeul liegt ihr zeitgenössisches Potenzial. Die Welt brennt: Klimawandel, Konflikte und Kriege prägen die Gegenwart und vernichten die Zukunft kommender Generationen. Was hilft? Sicher nicht Musik allein. Aber welche Funktion, wenn man für einen Augenblick so instrumentell herangehen will, kann eine derart in sich versunkene und verzaubert erscheinende Musik wie die von Brighde Chaimbeul haben, wenn nicht die, zur momentweisen Besinnung zu motivieren, zur Vergegenwärtigung der Kostbarkeit und Vergänglichkeit allen Lebens am Beispiel der Auseinandersetzung mit musikalischen Traditionen? Was zählt – und was zum Teufel tun Menschen fortgesetzt einander an? Wenn Folk Music nicht bloß Musikantenstadl sein will, dann ist sie wie Spiritual Jazz Gottesdienst, Anrufung und Vergegenwärtigung der kosmischen Dimensionen des menschlichen Daseins in der Absicht, zu heilen und nicht zu verzweifeln. Ja, so sieht’s aus. Es ist nicht zu hoch gegriffen, Musik im Allgemeinen (wieder) so zu betrachten. Es ist sogar umso nötiger, wenn sie nicht bloß als Streaming-Muzak zum globalen Horror verkommen soll. In den Worten von Brighde Chaimbeul in den Notizen zu »Sunwise«: »It’s a music and language that has survived so much and for so long – it’s the music of people. It’s music of the land. And I think it’s extremely relevant to hold on to that and learn from that in current times.« 

Home / Rezensionen

Text
Holger Adam

Veröffentlichung
25.06.2025

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