Brontez Purnell © YouTube
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Back to Alabama

Mit »Alabama« veröffentlicht der Albino Verlag dankenswerterweise erstmalig ein Werk von Brontez Purnell auf Deutsch. Purnell, Schöpfer des Queer-Core-Zines »Fag School«, Tänzer und Frontmann der Band Younger Lovers, erzählt darin kompromisslos eine retrospektive Coming-of-Age-Geschichte.

DeShawn lebt als schwarzer, schwuler Punk in Oakland ein wildes Leben, gekennzeichnet von viel Sex und Rausch. Kalifornien, sein Sehnsuchtsort, wohin er als Jugendlicher begleitet von Punk und Rockmusik floh, bietet ihm jedoch nicht die umfassende Erfüllung, die er sich wünschte. Er hat eine schwule Subkultur gefunden, die er selbstbewusst, ohne Scham und Angst genießen kann. Seine sexuellen Erfahrungen dort sind von Ekstase und Verliebtheit, aber auch beliebiger Austauschbarkeit geprägt. Körperliche Verbundenheit ist vielfach losgelöst von einer emotionalen Verbindung. DeShawn ist abgeklärt, was diese Umgangsformen angeht, trotzdem scheinen seine Erlebnisse auch ein Gefühl des Alleinseins selbst unter Menschen zu hinterlassen. Eine gewisse innere Leere und Orientierungslosigkeit wird in den expliziten Schilderungen sichtbar: Sowohl ein weiterer Cruisingbesuch in der Sauna, als auch die Vorstellung, sich mit einem Partner dauerhaft niederzulassen, scheinen ihm in ihrer Absolutheit und auf Dauer als gleichermaßen öde und freudlos. Die Jobs, mit denen DeShawn sich durschlagen muss, sind nervenaufreibend und entwürdigend. Stillstand und ein Gefühl der Orientierungslosigkeit liegen in der Luft.

(Un-)übersichtliches Landleben
Der Tod eines Onkels führt ihn schließlich zurück ins ländliche Alabama. Durch seine Rückkehr wird er mit alten Erinnerungen an Kindheit und Jugend konfrontiert. DeShawns ländliches Alabama ist gekennzeichnet von drückender Hitze, Isolation und Langweile. Erinnerungen an erste Liebhaber spielen in seinen kurzen, dennoch atmosphärisch dichten Schilderungen ebenso eine Rolle wie die erfahrene Gewalt in der Schule, Benachteiligung und Rassismus. Die Abwesenheit des eigenen Vaters oder vielmehr aller Väter in der gesamten Gemeinschaft wird ebenso wie die soziale Funktion, die Kirche und Religion im Alltag besitzen, thematisiert. Die Frauen, die er beschreibt, sind trotz charakterlicher Macken unabhängig und stark. Sie bilden die Stützpfeiler der Gemeinschaft, während die meisten Männer in einem Kreislauf aus Drogen, Alkohol und anderen Problemen gefangen sind. Bei diesen Schilderungen schwingt immer auch die Frage mit, inwiefern spezifische Konzeptionen von Männlichkeit den mitunter gar tödlichen Lebensentscheidungen dieser Männer zugrunde liegen und was sie mit DeShawns eigener Männlichkeit verbindet. »De Shawn schaute auf das Pantheon all der Männer, die er im Laufe seines Lebens auf ein Podest gestellt hatte – all die Väter, Onkel, Fickbeziehungen, die falschen Partner. Sie alle hinterließen eine große Leere. Sie waren aus dem Nichts gekommen, und dorthin waren sie auch wieder verschwunden, in einer Rauchwolke. Er hatte gelernt, nichts zu wollen.« (S. 191) Ihr Altern und Sterben, sei es aufgrund natürlicher Ursachen oder durch Suizid, und die damit verbundenen Verlusterfahrungen durchziehen das Buch.

DeShawn bleibt für Monate in Alabama hängen, arbeitet gar in der Kirche seiner Mutter, seine Sexualität und die eigenen blasphemischen Tattoos verdeckt, trotzdem umgeben von gleichgeschlechtlicher Sexualität. Die Zeit nutzt er, um über sein unübersichtliches Leben zu reflektieren. Die Vergangenheitsbetrachtung und der Umgang mit dem eigenen historischen Ballast dienen ihm als Mittel, um eine Perspektive auf die eigene Gegenwart zu entwickeln. Die Einstellung zur eigenen Familie und Herkunft bleibt ambivalent. Sie ist durch Elemente von Wut, Hass und Gewalt auf der einen, aber auch Zuneigung und Verständnis auf der anderen Seite gekennzeichnet. Die Rückkehr ist keine langersehnte Heimkehr und nicht zu verwechseln mit einem Ankommen, vielmehr ist es ein Moment des Innehaltens. Trotz Zuneigung und Verständnis für die Menschen dort bleibt eine Distanz, die nie vollends aufgelöst wird. Über allem steht die Frage, wie Menschen werden, was sie sind und welchen Einfluss gesellschaftliche Verhältnisse darauf haben. Wollten die Menschen das werden, was sie geworden sind, oder hat die gesellschaftliche Situation ihnen keine Wahl gelassen? Trotz teilweise drastischer Beschreibungen zeigen DeShawns Schilderungen immer auch die menschliche Seite und wie ökonomische Not und andere Benachteiligungen sich im (familiären) Alltag manifestieren. Dass Menschen sich trotzdem auch unerwartet ändern können, zeigt die Begegnung mit dem Bruder seines ersten Sexualpartners, der ihn im jüngeren Alter vielfach körperlich angriff und mit dem er Jahre später nun in einer schwulen Bar landet. Einen Veränderungsprozess durchlebt auch DeShawn: »DeShawn schaffte es endlich, Sven nicht dafür zu verurteilen, sondern wertzuschätzen, dass er ihm ein zuverlässiger Fickfreund war – was an sich schon ein Zeugnis guten Charakters war. Er dachte darüber nach, während sie einander in den Armen lagen, nach dem Sex. Das war das erste Mal seit Langem gewesen, dass DeShawn Sex gehabt hatte, ohne dabei das Gefühl zu haben, dass etwas fehlte; als ob er allmählich Akzeptanz lernte, auch wenn er nicht ganz sicher war, was es zu akzeptieren galt.« (S. 216)

Die Charaktere, die Purnell durch DeShawns Perspektive oft nur blitzlichthaft und mittels kurzer, teils derber, teils überspitzter Skizzen beschreibt, wecken nachhaltiges Interesse. Oftmals wünscht man sich, man würde noch mehr vor ihrem Leben erfahren, dann ist das Buch aber auch schon wieder zu Ende. Es bleibt zu hoffen, dass es zukünftig noch mehr von Brontez Purnell zu lesen geben wird.

Brontez Purnell: »Alabama«, Albino Verlag, 2019, 220 Seiten, EUR 18,00

Link: https://www.albino-verlag.de/produkt/alabama

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