Radu Malfatti © Fergus Kelly
Radu Malfatti © Fergus Kelly

Aufzeichnungen aus einem musikalischen Kellerloch: »Theoral«

Ûber Philipp Schmickls »Theoral«-Reihe, dessen aktueller und zehnter Band sich dem Impro-Urgestein Radu Malfatti widmet, und die unfreiwillige Nostalgie der Radikalität.

Radu Malfatti, geboren 1943 in Innsbruck, »studierte bei Eje Thelin an der Grazer Musikhochschule, war Mitglied in Chris McGregor’s Brotherhood of Breath und von Elton Deans Hinesense. Er arbeitet regelmäßig mit den Gruppen von Fred von Hove, mit dem ICP Orkest sowie mit Uli Gumpert und Tony Oxley. […] Malfatti hat mit seiner Musik die Tugenden der europäischen Kammermusik in den Neuen Jazz übertragen.« So frisch und zuversichtlich steht das in der »Enzyklopädie« des 1987 erschienen Buchs »Jazz op. 3 – Die heimliche Liebe des Jazz zur europäischen Moderne«, ein bis heute spannend zu lesendes Standardwerk zum Thema Third Stream. »Jazz op. 3« ist ein schönes Sittenbild aus jener Zeit, als sich die europäische Improvisationsmusik von den amerikanischen Jazz-Ûbervätern gerade halbwegs gelöst hatte und man noch unverbraucht und vielgestaltig an der eigenen Neudefinition arbeitete. Und als es noch einen daran interessierten medialen Diskurs gab.

38 Jahre später sieht die Sache naturgemäß anders aus. Die Impro-Szene blickt auf eine ähnlich lange Tradition zurück wie der Jazz anno 1987, nur dass die Glorie des Jazz in unzähligen Anthologien, Prachtfotobänden und Biographien beschworen und konserviert wird, die Glorie der Impro-Musik hingegen ist mehr als spärlich dokumentiert. Der Diskurs darüber beschränkt sich auf einen Kreis von Eingeweihten – und zwischen Veröffentlichungsflut und Hörerinteresse klafft eine Differenz, für deren Ûberwindung man eine Art atonales Segelflugzeug bräuchte. Auch der mediale Diskurs darüber hat sich gewandelt, bzw. sollte man besser sagen: ist versickert. Aber es gibt sie noch, die publizis- tischen Kämpfer im unfreiwilligen Untergrund, die Missionare vom Orden der heiligen Impro-Brüder, die weiterhin die frohe Kunde von der kreativen Kraft des freien Musizierens verbreiten. Philipp Schmickl gehört da definitiv dazu.

Der Künstler spricht

»Theoral« ist eine von Philipp Schmickl herausgegebene Buchserie, die sich explizit zeitgenössischen Improvisatoren und Elektroakustikern verschrieben hat. Bislang erschienen sind etwa Portraits von Xavier Charles, Neil Gingrich, Franz Hautzinger oder Christof Kurzmann. Die aktuelle Ausgabe, »Theoral No. Zen«, ist Radu Malfatti gewidmet. Der Zugang ist dabei stets der gleiche. Der Text basiert auf einem langen Interview, das Schmickl mit dem jeweiligen Künstler geführt hat. Auf theo- retisches Beiwerk, eine Würdigung oder wenigstens ein Werkverzeichnis wird verzichtet, stattdessen eben einfach nur: »the artist talks«. Das beruht bis zu einem gewissen Grad auf einem solidarischen Selbstverständnis. »Damals war es verpönt, über Musik zu reden […], das war richtig frei. Improvisa- tion ist, man redet nicht einmal darüber«, sagt Malfatti in der aktuellen Ausgabe. Dieses »man tut es einfach« steckt in jedem »Theoral«.

Das erzeugt bei der Lektüre einen zum Teil eigenwilligen Effekt. Einerseits ist es reine Biographie- arbeit aus der Sicht des Künstlers, in dessen eigener Diktion, was sich spannend liest und ganz nahe an den Menschen und seinen jeweiligen Zugang zur Musik führt. Andererseits ergibt sich dadurch aber zwangsläufig ein nostalgisches Element. »Sind wir doch hauptsächlich in der Vergangenheit, gell?«, sagt Malfatti an einer Stelle augenzwinkernd. Wobei dieser Effekt weniger durch das Interview selbst entsteht. Denn Malfatti verklärt nicht, er erzählt einfach nur zurückblickend. Eine schillernde Biographie kommt zum Vorschein, eine nomadische Ruhelosigkeit, die kreativ und antriebslustig immer nach einer gleichgesinnten Szene suchte, die auf viele bekannte Namen stieß, und deren musikalischen Output man beim Lesen dann auch gleich gerne nachhören möchte. Auch die Denk- weisen, die Zugänge, das Selbstverständnis werden erahnbar – und ebenso, dass sich die Sache schließlich erschöpfte. Nüchtern stellt Malfatti fest, dass ein »Sättigungsgrad« erreicht wurde, dass er es »nimmer hören kann«, diese Art von Impro-Musik, die trotz aller behaupteten Freiheit in ihren eigenen Stereotypen festgefahren ist.

Was im Interview zwar ernüchternd, aber nach logischem Lauf der Dinge klingt, wird durch Schmickls Vorwort, in dem er seine eigene Person in einen historisch-politischen Kontext verortet, zum Abge- sang. »Man verdient sehr schlecht in unserer Zeit, gehört man nicht zu den Wenigen, die sehr gut verdienen«, konstatiert er. In den Medien theoral_nozen.jpgherrsche Propaganda, alles liege im Argen, ein feiger Kapitalismus regiere. Was ja alles stimmt. Aber auf diese Weise stilisiert sich Schmickl ein wenig zum einsamen Rufer in der Wüste – und lädt Malfattis Lamento über die erstarrte Impro-Kultur ein wenig zu viel Melodramatik auf. So viel Retroverklärung müsste nicht sein. »Theoral« selbst ist ja Ausdruck einer »aktiven Unangepasstheit«, ein Liebhaberprojekt einerseits, aber eben auch eine unverzichtbare Dokumentations- arbeit über eine Musikrichtung, deren Gegenwart sich zwischen einer kaum überlieferten musikhistorischen Relevanz und völligem Desinteresse aufreibt. Dass »Theoral« in einer Auflage von 300 Stück (händisch nummeriert) erscheint, unter- streicht das nachdrücklich.

»Theoral« ist allerdings nicht bloß eine Buchreihe, es ist subjektiver Widerstand in publizierter Form. Diese Beharrlichkeit kann man – trotz der unfreiwillig mitschwingen- den Nostalgie – gar nicht genug würdigen.

»Theoral No. Zen – Radu Malfatti«
70 Seiten, Eigenverlag. Preis auf Anfrage
www.theoral.org
Bestellung am besten direkt: schmicklATtheoralDOTorg.

Zum Nachlesen:
Ingrid Karl [Hg.] »Jazz op. 3. Die heimliche Liebe des Jazz zur europäischen Moderne«
Wien: Löcker 1986, broschiert. 
Ist nur noch gebraucht erhältlich.

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