Kultur ist für Mia Zabelka ein soziales Phänomen, bei dem im besten Fall internationale und heimische Künstler*innen mit Konzertbesucher*innen zusammengebracht werden. Die international agierende Avantgarde-Musikerin und Kuratorin erzählt über ihre aktuellen programmatischen Vorhaben, das mit Zahra Mani betriebene Klanghaus in ihrem südsteirischen Wohnsitz Untergreith, weltweite Festivalteilnahmen, ihr von Lydia Lunch produziertes Album »Cellular Resonance«, die Bedeutung von »Spex«, »The Wire« und »skug« sowie die nie gänzlich überwundene Nazi-Grundierung in Österreich.
Kannst du uns kurz etwas zu deinem Late Night Special mit dem Titel »Die Ästhetik der Unsicherheit« im Rahmen von Wien Modern erzählen?
Mia Zabelka: Es findet im Café Korb im Rahmen der Brandstätte Concert Series statt, die von SFIEMA – Society for Sound Art, Free Improvisation and Experimental Music Austria – veranstaltet wird. Es wird vier kurze Solosets von Michael Fischer, Herbert Lacina, Zahra Mani und mir geben und danach werden wir alle gemeinsam als One.Night.Band auftreten. Improvisation, wenn sie transkribiert und notiert werden würde, wäre sogar für Größen aus der Klassikmusikszene, wie z. B. Irvine Arditti, sehr schwer spielbar. Wir wollen bewirken, dass Improvisation in Österreich eine größere Anerkennung bekommt als bisher.
Dein neues Festival Sonic Territories findet am Tag danach statt. Was waren deine Beweggründe, dieses neue Festival zu veranstalten, und wie kam es zur Ortswahl Seestadt Aspern?
Der hauptsächliche Beweggrund von Co-Kuratorin Mimie Maggale und mir war, dass die Sound-Art-Szene in Wien erfreulicherweise immer größer wird, allerdings kaum Rahmenbedingungen vorfindet, um für eine breitere Öffentlichkeit sichtbar zu werden. Sie findet international große Resonanz, wird aber in Österreich bisher zu wenig wahrgenommen. Die Seestadt befindet sich im 22. Bezirk, der auch als das neue Wien bezeichnet wird, und ist daher, unserer Meinung nach, für junge, experimentelle Klangkunst ein idealer Rahmen.
Du bist ja selber Festivalkuratorin. Phonofemme hat schon einen gewissen Bekanntheitsgrad. Wie aber läuft es in der Steiermark, wo du auch eine beständige Konzertreihe machst?
Ich wohne seit einigen Jahren in der Südsteiermark, wo ich 2008 gemeinsam mit Zahra Mani das Klanghaus Untergreith gegründet habe. Hier veranstalten wir viermal jährlich, den Jahreszeiten entsprechend, ein genreübergreifendes Jahresprogramm mit Schwerpunkt Sound Art für das Klangzeit Festival. Aristoteles hat gesagt, dass die Kunst den Alltag imitiert. Wir sagen, dass auch der Alltag die Kunst imitiert. Wir verstehen Kunst und Kultur als soziales Phänomen, als wichtigen Bestandteil unserer Gesellschaft, und bringen internationale Künstler*innen, Besucher*i nnen aus Graz, Wien, Maribor und dem ländlichen Raum, also Personen mit sehr unterschiedlichem sozialen Hintergrund an einem Abend zusammen. Austausch, Begegnung, Dialog finden statt. Wichtig ist gegenseitiger Respekt, Neugier, Offenheit sowie die Bereitschaft, sich auf etwas Anderes, Fremdes einzulassen. Das hat bisher immer gut funktioniert. Unser Publikum wächst von Veranstaltung zu Veranstaltung kontinuierlich.
Du hast ja wie nur wenige österreichische Avantgarde-Musiker*innen eine Agentur. Bei welchen Festivals weltweit trittst du auf? Und wo würdest du gerne noch spielen, wenn es jemand möglich machen könnte?
Ich trete am liebsten bei Festivals auf, die meiner Meinung nach gut kuratiert, aber stilistisch nicht zu eng programmiert sind. Es gibt so viel gute Musik in so vielen Bereichen. Wichtig ist für die Programmierung, dass sich ein nachvollziehbarer roter Faden durch die Events zieht. Einige meiner Best-of-Festivals sind z. B. CTM Berlin, Rewire Den Haag, Jazzfestival Copenhagen, Jazzfestival Kongsberg, Forte Festival Portugal. Aber auch kleinere Festivals wie Sonic Circuits Washington DC, Kalisz Ambient Festival und jetzt auch Sonic Territories Wien finde ich sehr spannend und zeitgemäß, weil hier ein engerer, non-hierarchischer Kontakt zwischen Künstler*innen, Veranstalter*innen und dem Publikum besteht. Alle begegnen sich auf einer Ebene, in diesem Sinne findet sozusagen eine Demokratisierung statt.
Es gibt noch zahlreiche Festivals, bei denen ich gerne auftreten würde: Le Guess Who Utrecht, Sónar Barcelona, Unsound Kraków oder Ultima Oslo beispielsweise.
Lydia Lunch hat dein Soloalbum »Cellular Resonance« produziert. Seit wann arbeitest du mit Lydia zusammen und wie lang ist der Werkkatalog bislang?
Seit 2009 arbeiten wir zusammen, zunächst im Trio mit Chra/Christina Nemec und danach mit Zahra Mani als Medusa’s Bed. Wir haben bereits zwei Alben gemeinsam produziert. Das von euch erwähnte Soloalbum »Cellular Resonance« und ein Album mit Medusa’s Bed. Schauen wir mal, was die Zukunft bringen wird …
Gab es Resonanz auf deinen »Resonance«-Track, enthalten in einer »The Wire«-CD-Beilage?
Ja, eine sehr große Resonanz. Viele Kolleg*innen und auch Veranstalter*innen haben uns geschrieben, wie gut ihnen dieser Track gefällt etc. Das Album ist international sehr gut rezensiert worden.
Es hat nun die Printausgaben von »Groove« und »Spex« erwischt. Sie werden eingestellt. War die »Spex« überhaupt relevant für dich?
Nicht wirklich, ich verstehe mich ja nicht als Musikerin im weiten Feld der Popmusik. Produktionen, die aber in diese Richtungen gehen, wie z. B. Medusa’s Bed mit Lydia Lunch und Zahra Mani, wurden von »Spex« schon beachtet und sehr positiv rezensiert. Ich finde eben diese Zugänge aus verschiedenen musikalischen Perspektiven so spannend. Die US-amerikanische Akkordeonistin und Komponistin Pauline Oliveros hat einmal gesagt: »If you are too narrow-minded, you are not connected with your environment. Das ist gewissermaßen mein Lebensmotto.
Der Inhalt von »The Wire« ist immer gut für eine Entdeckungsreise. Ein Ende dieses britischen Musikmagazins wäre wohl tragischer für dich?
Sowohl ein Ende von »The Wire«, als auch »skug« wäre sehr tragisch. Ich schätze diese Medien sehr, weil sie ein wirklich exzellentes Musikverständnis jenseits von Genregrenzen und akademischen Hintergründen repräsentieren. Was zählt, sind Qualität, Weltoffenheit und Experiment. Ohne Experiment gibt es keinen Fortschritt, auch nicht in der Musik.
Der polnische Poet und Musiker Grzegorz Kwiatkowski (Trupa Trupa) hat in Wien und Graz geforscht und über die Shoah publiziert: »Should Not Have Been Born« (OFF_PRESS, London, 2011) und die Trilogie »radości – Freuden« / »spalanie – Verbrennung« / »sową – Eule« in Wrocław bei Biuro Literackie. Warum ist es so schwierig, für solch herausragende Lyrics im deutschsprachigen Raum einen Verlag zu finden?
Ich bin keine Literaturexpertin, aber ich denke, möglicherweise ist das Thema nach wie vor zu heikel. Es ist ja grundsätzlich – wie wir alle wissen – nicht einfach, sich mit den eigenen Schattenseiten zu konfrontieren. Wegschauen, an der Oberfläche bleiben, nur nicht zu tief in der Wunde schüren. Das geht wesentlich einfacher. Allerdings findet somit auch keine wirkliche Aufarbeitung statt und die Schattenseiten finden immer ein Hintertürl.
Du bist ja auch eine Nachfahrin zweiter Generation von Holocaust-Überlebenden? Inwiefern berührt/betrifft dich das immer noch?
Ich denke nicht ständig daran und doch ist es selbstverständlich unbewusst ständig da, also nach wie vor, wie ein permanentes Damoklesschwert über meinem Kopf, ein allgegenwärtiges Thema.
Österreich ist partiell immer noch Nazi-Land, mit leider rechtsextremer Regierungsbeteiligung. Ich möchte hier auf das gigantische Werk von Georg Friedrich Haas mit dem Talea Ensemble aus New York verweisen. Sein »Monolog für Graz« hat Gänsehaut evoziert, da er als Sohn eines Nazi-Täters, der bis zum Lebensende Nazi blieb, wirklich etwas über das furchtbare, immer noch andauernde Fortwirken des Nationalsozialismus in Österreich zu sagen hat. Nachzulesen auf musikprotokoll.at und ich würde mir wünschen, dass so etwas mehr publik sein könnte im deutschsprachigen Raum. Kennst du das neue Werk von G. F. Haas? Und kannst auch du etwas zu diesen unseligen Nazi-Nachwirkungen berichten?
Ja, ich kenne es und finde es wirklich sehr beindruckend und Gänsehaut evozierend. Richtige Nazis kenne ich in meinem Umfeld kaum. Was mich beschäftigt, sind diese zu wenig aufgearbeiteten Nazi-Aspekte, diese Schattenseiten, die immer wieder Hintertürln finden, wenn sie nicht ausreichend angeschaut werden. Man findet sie überall in der Gesellschaft, auch bei nach außen sehr liberal eingestellten Personen, die sich ihrer nicht aufgearbeiteten Nazi-Aspekte oft gar nicht bewusst sind. Das ist sehr gefährlich! Unsere Gesellschaft driftet derzeit in extreme Positionen, in eine Dualität, die den Fortschritt in Richtung besseres Demokratieverständnis gefährdet. Kunst und Kultur können sehr zu einem demokratischen Prozess in der Gesellschaft beitragen. Vor allem beschäftigt mich auch die Frage, was sozusagen danach, also jenseits der Demokratie kommen wird, also ob es ein politisches System geben wird, das noch besser funktioniert als die Demokratie. Klarerweise ist dieses in meinen Vorstellungen ganz weit entfernt von Diktatur.
Mia Zabelka live und als Co-Kuratorin:
Freitag, 9. November 2018, 22:00 Uhr: Wien Modern Late Night 2 im Café Korb, 1010 Wien: »Die Ästhethik der Unsicherheit«: One.Night.Band mit Mia Zabelka, Zahra Mani, Michael Fischer und Herbert Lacina.
Samstag, 10. November 2018: Sonic Territories Festival for Sound Art & Exploratory Music, Seestadt Aspern, 1220 Wien; 16:00–20:00 Uhr: Installationen, Jot12, Sonnenallee 26; 19:00–22:00 Uhr: Live-Performances, Fabrik, Sonnenallee 137, kuratiert von Mimie Maggale und Mia Zabelka.
Link:
www.miazabelka.com