Musik hat unter anderem die Fähigkeit, zu unterhalten, zu beruhigen, zum Kauf von Dingen anzuregen, zu foltern, zu empowern. In dem vorliegenden Werk der beiden Klangkünstlerinnen geht es um ihre Fähigkeit, vorher Unsichtbares sichtbar zu machen. Um die Vertonung von Unhörbarem. Töne, die für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbar sind, werden von den beiden so manipuliert, dass am Ende etwas herauskommt, das gehört werden kann, vielleicht wie Musik. In der Ästhetik-Theorie gibt es die Vorstellung von Kunst als »das Sich-ins-Werk-Setzen der Wahrheit des Seienden«. Das, was die beiden Musikerinnen zu einem Kunstwerk machen, ist schon immer da gewesen, und doch wurde es erst jetzt durch ihr Zutun wahrnehmbar gemacht und kann aus sich strahlen. Wenn Christina Kubisch im Booklet von »The Secret Life of the Inaudible« über die Arbeit Lockwoods spricht, sieht man diese Vorstellung mitunter bestätigt:
»Sound for her always has been more than just material to bring into a compositional form. It was more than raw material, it had a complex structure of its own and was transporting energy. Annea translated and communicated this energy to the listener and she does this with unusual intensity until today.«
In diesem Fall ist die Kunst der Musik Vermittlung oder Kommunikation von Energie, die Künstlerin mehr oder weniger Medium, Übermittlerin, die sich bloß kleine Veränderungen am Material, »Kunstgriffe«, erlaubt. Nachdem Lockwood und Kubisch sich 1979 zum ersten Mal trafen und gemeinsam Lockwoods Stück »World Rhythms« performten, trafen sich die beiden anerkannten und mit Preisen verzierten Künstlerinnen erst 2017 in Berlin wieder und es entstand die Idee für eine neue Kollaboration. Denn, so Kubisch weiter im Booklet:
»We both investigate soundworlds which normally are not audible. Annea questions how the forces of nature influence us, I question how manmade electromagnetic fields have an impact on our lives. And we both love field recording, especially exploring underwater sounds with hydrophones.«
Für dieses Projekt tauschten sie Material aus und ließen offen, was die andere Person damit anstellen würde. Annea sandte ihr Extrakte von Tonaufnahmen geophysikalischer »atmospheric spheres«, das sind u. a. Ultraschallwellen, die in ihrem natürlichen Vorkommen unhörbar sind. Auslöser sind u. a. eine schottische Pinie (!), die Sonnenschwingung oder »einfach« die unterirdisch sich auswirkenden Klänge von Erdrutschen. Von Kubischs Seite kam eine Sammlung von Aufnahmen elektromagnetischer Wellen, die mit eigens angefertigten Induktionskopfhörern erzaubert wurden. Zudem nimmt sie Bezug auf den Rhein, ein bekannter Vertreter im Bereich der musikalischen Inspirationen (siehe Wagner, Richard). In diesen hielt sie ein Hydrophon; zu hören sind also Unterwasseraufnahmen. Alles äußerst kompliziert und doch so spannend, denn diese Strahlungen, Wellen, das Zittern des Bodens, die uns umgeben, haben einen ungemeinen Einfluss auf unser Leben.
In den vier Stücken werden seltsame, außerweltliche Szenen heraufbeschwört, die doch nur von dieser Welt herstammen. Es ist Science-Fiction ohne Weltraum. Die verschiedenen Aufnahmen sind freilich nicht bloß unverarbeitet wiedergegeben, sondern so arrangiert, dass sich aus Sound-Oberflächen Landschaften ergeben, die man bereisen darf – mal über, mal unter Wasser, mal irgendwo zwischen. Das Rauschen und Dröhnen ist kaum zu erkennen, doch nie ist es so weit entfernt, dass man meint, die Erde zu verlassen. Die Informationen, die uns die Künstlerinnen vorher gaben, spielen da natürlich mit rein. Jedoch lassen vor allem die Klänge, welche mit dem Hydrophon aufgenommen wurden, die Tiefen der kaum erforschten Meere erahnen. Da vermeint man, ein Vöglein zwitschern zu hören, das vielleicht bloß eine bearbeitete Welle der Sonnenstrahlen ist, die sich durch die Arbeit der Künstlerin im Rhein bricht. Alles möglich. Und wer weiß schon, ob nicht der eine oder andere Vogel tatsächlich seine Melodie zu den stetigen Akkorden der Sonnenstrahlen singt.