Das diesjährige Donaufestival inspiziert das Thema »Beyond Human« und lädt dazu ein, unsere Grenzen und die Beziehung Mensch und Technologie zu hinterfragen. Das Festival zeigt eine vielfältige Auswahl an avantgardistischer elektronischer Musik, Performancekunst und formidablen Installationen von Künstler*innen aus aller Welt. »Kunst und Kultur sind wichtige Lebensmittel und Energiespender. Gerade auch in Krisenzeiten«, spricht man das Publikum im Programmheft an. Wiewohl sich exorbitante Lebensmittelpreissteigerung und Mietpreisexplosion auch Künstler*innen erst einmal leisten können müssen. Wie gesagt: »Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral«, Zitat Bertolt Brecht. Aber erfreulicherweise verlässt sich die Pop-Avantgarde mittlerweile nicht mehr nur auf die Freiheit der Kunst beziehungsweise auf Dystopia-Voodoo, sondern wartet mit zahlreichen tauglichen Alternativen, wie alljährlich in diesem Festival, auf. Fein, dass heuer nicht nur in einer exquisiten DJ-Line (freitags und samstags nach Ende des letzten Konzertes), sondern auch im Live-Musik-Line-up heimische Acts (Radian, Geier aus Stahl, 1 Above Minus Underground und Rojin Sharafi) vertreten sind. Außerdem regt auch ein Online-Statement zur politischen Lage in NÖ zum Denken an:
»Als niederösterreichisches Festival mit internationaler Ausrichtung nehmen wir mit größter Irritation und Sorge das neue Regierungsübereinkommen zwischen ÖVP und FPÖ in Niederösterreich zur Kenntnis. Teile des Arbeitsübereinkommens zwischen ÖVP und FPÖ stehen im klaren Widerspruch zu unseren politischen und moralischen Überzeugungen. Mehr denn je ist es uns daher ein Anliegen, zu bekräftigen, dass Menschenfeindlichkeit, Deutschtümelei und Diskriminierung jeglicher Art keinen Platz bei uns und in unserem Programm haben. Vielfältige Gesellschaften brauchen – gerade vor dem Hintergrund von ökologischen und anderen Krisen – kulturelle Orte der Versammlung der Verschiedenen, an denen nicht nur ästhetische Erfahrungen gemacht, sondern auch zukunftsfähige Vorstellungen von Gerechtigkeit und Freiheit entwickelt werden können. Wir wollen und werden daher weiter all jenen eine Stimme und ein Forum geben, die für den Ausbau demokratischer Lebensverhältnisse in einer komplexen Welt eintreten.«
Nun denn, awareness ist angesagt und take care of yourself and others!
Weekend 1, Freitag, 28. April 2023
DJ-Line: ADHS Lene – Halle 2, 00:30 Uhr
Den musikalischen Eröffnungsact des Festivals stellt das dynamische Duo Rojin Sharafi & Épong dar, das mit einer exzeptionellen Mischung aus traditionellen iranischen und schroffen elektronischen Soundscapes und mit Industrial- und melodiösen Motiven ihr audiovisuelles Auftragswerk präsentiert. Das kanadische experimentelle Rocktrio BIG | BRAVE zeichnet sich durch weitläufige Klanglandschaften und emotional aufgeladenen Darbietungen aus, nicht unähnlich seiner Label-Kolleg*innen von Southern Lord. Da kommt ein fulminanter Post-Metal-Stonerdoom-Wirbel auf uns zu: Album »Nature Morte« (2023). Petronn Sphene präsentiert ihre xenofeministische Utopie in Hardcore Club Beat und Gabba. Ekstase garantiert, eine der markdurchdringendsten Darbietungen des Festivals! GODFLESH, die in der zweiten Hälfte der Achtziger von Justin Broadrick und G. C. Green in Birmingham gegründeten Pioniere des Industrial Metal, annektieren dunkle, heavy Klanglandschaften mittels verzerrter Gitarren, hämmernder Drums und eindringlicher Vocals. Als letzter Live-Act des Eröffnungsabends fungiert die aus Uganda stammende Electro-Percussion-Formation Nihiloxica, die explosive, hypnotische Rhythmen aus afrikanischen Quellen in die Dance-Music-Culture destilliert.
Weekend 1, Samstag, 29. April 2023
DJ-Line: Blyskawica & Gasolina – Halle 2, 00:30 Uhr
Silvia Tarozzi & Deborah Walker trachten die Möglichkeiten, traditionelle Lieder der Emilia-Romagna-Region mittels Einsatzes von Violine und Cello zu intensivieren. Der Mailänder Multiinstrumentalist Heith präsentiert Freak Folk mit minimalen Musiktexturen und Bits aus Stoner Drone. Live mit Jacopo Battaglia (dr), Leonardo Rubboli (guit) und Declino (AV). In 1 ABOVE MINUS UNDERGROUND bietet Impro-Schlagzeuger und Multiinstrumentalist Lukas Koenig mit Nik Hummer (Synthesizer) und verschiedenen Gästen harte Sachen wie »War Is The Unveiling Of Truth« an. Slikback X Weirdcore präsentieren VOID: Zusammenarbeit zwischen dem kenianischen Produzenten Slikback aka Freddy M Njau und dem in London ansässigen bildenden Künstler Weirdcore aka Nicky Smith mit experimenteller afrikanischen Club Music und japanischem Anime-/Manga-Techno mit atemberaubenden Visuals. Die Musik des in Berlin lebenden jamaikanisch-amerikanischen Rappers und Performancekünstlers Ojay Morgan alias Zebra Katz zeichnet sich durch seine tiefe Stimme im queeren Battle-Rap sowie dunkle, minimalistische Beats aus, die Themen wie Identität, Geschlecht und Macht ausloten, »Less Is Moor«. Als Pionier der Gqom-Musikszene in Südafrika schöpf DJ Lag in energiegeladenen und dynamischen Auftritten aus den Rhythmen und Klängen der Townships von Durban.
Weekend 1, Sonntag, 30. April 2023
In den Performances der türkischen Musikerin und Klangkünstlerin Hüma Utku verschmelzen experimentelle elektronische Musik und Field Recordings zu einem immersiven Klangerlebnis, das Themen wie Identität und Erinnerung erforscht. »The Psychologist« ist eine Reise in die menschliche Psyche. Die Musik der österreichischen experimentellen Rockband Radian zeichnet sich durch komplexe Klanglandschaften und ebensolche Rhythmen aus, die Elemente des Post-Rock, der Electronica und des Free Jazz mixen, um ein einzigartiges und transzendentes Klangerlebnis zu schaffen. Hier präsentieren Radian ihr neues Album »dISTORTED rOOMS«, das im September erscheinen wird. Der britische Elektronikmusiker und Produzent James Holden kombiniert in seinem brandneuen vierten Album »Imagine This Is a High Dimensional Space of All Possibilities« (2023) Techno, Trance und Psychedelia. yeule, Musikerin und Produzentin aus Singapur, nennt ihr Album »Glitch Princess«. Die verträumten und ätherischen Klanglandschaften bestehen aus Einflüssen von Ambient, Shoegaze und Pop, yeule erforscht mit ihrem Hyperpop die Tiefen von Emotionen und Vorstellungskraft, in dem »persönliche Katastrophen im gleichen Ausmaß wie die eigentliche Apokalypse auftreten« (Pitchfork). Omar Souleyman begann seine Karriere als ehemaliger Hochzeitssänger. Mittlerweile sind seine Auftritte eine freudige Feier traditioneller orientalischer Musik und moderner elektronischer Beats, die einen dynamischen und energiegeladenen Sound erzeugen, dem man kaum widerstehen kann. Als Pionier der Footwork-Musikszene schreckt Kavain Wayne Space aka RP BOO auf »Established!«, seinem vierten Album, nicht davor zurück, sogar Phil Collins in seine Samples aus Garage-House sowie Disco- und Soul-Klassikern zu vermengen. Die Schluchten von Chicago lassen grüßen, RP BOOS erste Singles gelten übrigens als Basis des Footwork. Animistic Beliefs nennt sich das aus Rotterdam operierende Duo bestehend aus Linh Luu und Marvin Lalihatu, das hier um den bildenden Künstler Jeisson Drenth erweitert wird. Südostasiatisches Instrumentarium wird zur Anwendung kommen, um die ihrer Meinung nach »koloniale Western Dance Music« mittels ihrer einzigartigen kreolischen Musiksprache zu untergraben.
Weekend 2, Freitag, 5. Mai 2023
DJ-Line: Inou Ki Endo – Halle 2, 00:30 Uhr
Die in Jerusalem geborene und in Berlin angesiedelte Maya Shenfeld mäandert mit Analog-Synthesizer in den Gefilden Minimal Music, Drones und Ambient. Mit dabei der portugiesische Videokünstler Pedro Maia. Die markdurchdringende Screamadelia der dänischen experimentellen Noise-Exhibitionistin Frederikke Hoffmeier aka Puce Mary erschüttert mit den Themen Macht, Gewalt und Identität gleich einem nervenkitzelnden Horrorfilm. Moin, eine Zusammenarbeit zwischen Tom Relleen von Tomaga und Valentina Magaletti, Mitbegründerin von Cafe OTO, verbindet Post-Punk, Dub und experimentellen Rock, um einen dynamischen und sich ständig verändernden Sound zu schaffen, der unsere Wahrnehmung von Genre und Stil herausfordert. Die britisch-nigerianische Künstlerin Nwando Ebizie ist multidisziplinär unterwegs und mischt hier Avantgarde-Musik, elektronische Beats und experimentelles Theater zu einem afrofuturistischen Klangerlebnis. In der Kollaboration zwischen dem finnischen Duo Amnesia Scanner und dem ägyptischen Musiker Freeka Tet verschmelzen experimentelle elektronische Musik und traditionelle Musik aus dem Nahen Osten. Die Auftritte von Debby Friday sind eine dynamische und energiegeladene Mischung aus Noise, Industrial und Techno und schaffen ein kraftvolles und eindringliches Klangerlebnis, das die Grenzen der zeitgenössischen elektronischen Musik geradezu sprengt: »What A Man!«
Weekend 2, Samstag, 6. Mai 2023
DJ-Line: DJ Ebhardy – Halle 2, 00:00 Uhr
Field Recordings, Cut-ups und Musique Concrète dominieren die experimentelle Electronique der französischen Künstlerin Félicia Atkinson. Aktuelles Album: »Image Language«. Das ursprüngliche Soloprojekt des Wieners Leonard Prochazka wuchs mit Paul Ebhart (Elektronik) und Hannah Todt (Gitarre und Bass) zur Geier aus Stahl Band. Post-Punk, Techno und Industrial sorgen für »Strapazen und Genesung«. Klara Lewis & Nik Colk Void + Pedro Maia, die Zusammenarbeit zwischen der schwedischen Musikerin Klara Lewis, der von Factory Floor sowie Carter Tutti Void her bekannten Londoner Musikerin Nik Colk Void und dem portugiesischen Filmemacher Pedro Maia, stellt von Post-Punk infizierten Electronic-Noise zentral. Elemente aus Punk, Noise sowie experimenteller Musik dominieren die Avantgarde der legendären Japanerin Phew, die am Beginn der Achtziger im Krautrock-Umfeld für Furore sorgte. Auch heute noch ein überwältigendes Erlebnis: »New Decade« (Mute, 2021). »Burn Everything Trust No One Kill Yourself«, ihre Abschlussarbeit, die ihr den Masters Of Fine Arts einbrachte, dient der amerikanischen Musikerin Kristin Hayter aka Lingua Ignota als Basis ihres aufrührerischen musikalischen Schaffens. So nimmt es nicht Wunder, dass ihre Performances eine verstörende und emotionale Mischung aus experimentellen Motiven, Industrial und klassischer Musik sind. Ein transzendentes und kathartisches Klangerlebnis, mit dem es gelingt, einen radikalen Neuentwurf zu formulieren, in dem Themen wie Trauma, Missbrauch und Heilung blank liegen. Nach »Let the Evil of His Own Lips Cover Him«, »All Bitches Die« und der hervorragenden Noise/Metal-Oper »Caligula« ist »Sinner Get Ready« bereits Hayters viertes Album. Die Performances von Gorgonn, hier eine Zusammenarbeit zwischen den italienischen Experimentalmusikern Andrea Belfi und Valerio Tricoli, sind eine dynamische und sich ständig verändernde Mischung aus elektronischer Musik, Noise und Improvisation und schaffen ein eindrucksvolles Klangerlebnis, das unsere Wahrnehmung von Genre und Stil herausfordert.
Weekend 2, Sonntag, 7. Mai 2023
Dank ihrer Ausbildung am Konservatorium vermag die katalanische Sängerin und Produzentin Marina Herlop experimentelle Sounds und Ambient mit Klängen der Klassik zu vermengen. Slauson Malone, nebenbei Sohn von Wynton Marsalis, erforscht afroamerikanische Musik, Blaxploitation und Spoken Word Poetry. Aktuelle EP: »Vergangenheitsbewältigung«. Arooj Aftab, Vijay Iyer & Shahzad Ismaily: Die pakistanische Künstlerin Arooj Aftab lebt mittlerweile in Brooklyn und widmet sich düsteren Themen wie Verlust und Diaspora, die sie mit Neo-Sufi und jazziger Minimal Music im Trio mit Pianist Vijay Iver und Bassist Shahzad Ismaily aufbereitet. Ihr außergewöhnliches Album »Vulture Prince« wurde übrigens von Barack Obama in seine Sommer-Playlist 2021 aufgenommen.
Weitere Empfehlungen
Performance: Francesca Foscarini & Cosimo Lopalco, »PUNK. KILL ME PLEASE«, Messegelände – Halle 3, Freitag, 5. Mai 2023, 20:30–21:00 Uhr; Samstag, 6. Mai 2023, 20:30–21:00 Uhr; Sonntag, 7. Mai 2023, 14:30–15:00 Uhr (Online-Reservierung notwendig!)
Art & Installation: Eglé Budvytyté mit Marija Olsauskaité und Julija Lukas Steponaityté, »Songs from the Compost: Mutating bodies, Imploding stars«, Messegelände – Zentrale, Freitag, 28. April, 18:30 Uhr; Samstag, 29. April 2023, 18:30 Uhr; Sonntag, 30. April 2023, 18:00 Uhr, Freitag, 5. Mai 2023, 19:00 Uhr; Samstag, 6. Mai 2023, 18:30 Uhr; Sonntag, 7. Mai 2023, 17:00 Uhr
Vollständiges Programm und Tickets unter: https://www.donaufestival.at/