»Was ist Film?«
Dem innovativen Experimentalfilmer Siegried A. Fruhauf war ein Spezialprogramm gewidmet, dass die komplette Werkschau, sowie eine Ausstellung im O.K-Zentrum für Gegenwartskunst beinhaltete. Außerdem zeichnete er mit »Phantom ride« für den Festivaltrailer verantwortlich. Die Vorbilder sind klar ersichtlich: Peter Kubelka, Kurt Kren und Peter Tscherkassky, dessen »Happy End« auch der Überraschungsfilm des Programms war. Tscherkassky der für Fruhauf »den ersten Zugang zum experimentellen Film darstellte« war auch Lehrmeister Fruhaufs, als dieser noch auf der Kunstuni Linz studierte. Von »gegenseitiger Befruchtung« ist da die Rede.
Fruhauf knüpft an den Traditionen des österreichischen Avantgardefilms an und entwickelt sie weiter. Die strukturelle Arbeitsweise wird übernommen und auf andere Medien übertragen. Fruhauf arbeitet vornehmlich mit found footage. Das Sichtbarmachen der Materialität steht in all seinen Werken im Vordergrund. Reduktion auf das, was Film eigentlich ist, am deutlichsten zu sehen im Musikclip zu Attwengers »Sun«. Eine Sonne die aufgeht. In Originalgeschwindigkeit, die Wolken die sie durchfahren. Nichts dazu inszeniert. Alles wird so wie es ist durch Schweißgläser abgefilmt.
Die Kaderpläne. »Struktural filmwaste.dissolution 1« bzw. »2« stellen für Fruhauf eine Weiterführung der Arbeiten Kubelkas dar. Die Halbbildstruktur des Videos wird hierbei verwendet, das Sichtbarmachen der Materialität geht über das Medium Film hinaus. Der Ton verhält sich hierbei umgekehrt zum Film. Die Soundkomposition eines Freundes Fruhaufs wird nach dem Muster der Kaderpläne zerhackt. Dass Form und Inhalt miteinander korrespondieren, das sei ihm wichtig. Fruhauf spielt hierbei auch mit den Grundelemente des Kinos. Film als pures Element. Frühes Kino als Produkt der Industrialisierung. Geschwindigkeit als Leitfaden der Industrialisierung. Die Geschwindigkeitssteigerung gegen Ende in seiner Arbeiten »Realtime« und »Frontale« spielen darauf an. Absolute Beschleunigung ergibt im Kino den Stillstand.
»Work is a four letter word« (Morrissey)
Ein weiterer Programmschwerpunkt war die von Kinoreal kuratierte Reihe »Arbeitswelten«, die sich mit den Spielregeln der new economy auseinandersetzte.
In »sitzend überlebend« von Caroline Schmitz ging es um die Wechselwirkung zwischen Raum und Mensch. Menschen während der Arbeit und ihre Beziehung zum Raum, der sie umgibt bzw. wie der Raum wieder auf sie zurückwirkt.
»Grow or go« begleitete drei Abgänger der Elitewirtschaftsuniversiät EBS auf ihrem Weg ins Berufsleben. Einblick in Consultingfirmen wird hierbei ebenso gewährt, wie in deren dubiose Motivationstrainingprogramme. Viel Geld verdienen, das die Hauptmaxime dieser jungen Menschen. Für kritische Reflexion bleibt der jungen Elite keine Zeit. Der französische Spielfilm »Violence des échanges en milieu tempéré« von Jean-Marc Moutout fungierte quasi als Gegenstück zur »grow or go«. Ein junger Angestellter einer Consultingfirma, der sich zu bewähren hat, soll entscheiden welche Mitarbeiter einer Fabrik gefeuert werden sollen, um Einsparungen zu erzielen. Nach und nach schleichen sich Skrupel ein und er gerät immer mehr in Zwiespalt. Kühles Blau, kalte Grün- und Grautöne halten das Geschehen fest. Maschinenarbeit und Menschen, die arbeiten wie Maschinen.
»violence is the last refuge of the incompetent« (Salvor Hardin)
Monotonie ist der größte Feind. Die Brutalität des Alltags. In Jaime Rosales Spielfilmdebüt »Las horas del día« ergehen sich Alltagshandlungen im Detail. Wir nehmen am Leben des Protagonisten Abel teil. Er geht zur Arbeit, kämpft mit finanziellen Problemen und einer schwelenden Beziehungskrise. Der Horror kommt langsam und schleichend. Der erste Mord. Er bringt kaum Erleichterung. Die Taxifahrerin wird erwürgt, es dauert lange bis sie stirbt. Nüchtern und gleichgültig wird er ins Bild gesetzt. Der Mord inszeniert als banale Alltagshandlung. Danach läuft das Leben von Abel weiter. Die Arbeit, die Beziehung, der Alltag. Assoziationen mit Haneke werden geweckt. Die Brutalität der Mittelschicht. Bis zum zweiten Mord vergeht viel Zeit. Er wirkt spontaner und bedeutet Arbeit, genauso wie die Boutique, deren Inhaber Abel ist. Wie die Beziehung, die er eigentlich nicht führen möchte. Lange und quälend sehen wir Abel sich abrackernd, bis sein Opfer, ein alter, kränklicher Mann, endlich stirbt. Ein langer ungleicher Kampf. Die Kamera bleibt darauf und spart nichts aus. Das angestrengte Keuchen. Sowohl vom Opfer, als auch vom erschöpften Täter. Die Banalität eines Mordes. Die scheinbar unmotivierte Gewalt. Die geballte Aggression.
Aggressionen erleben in »Dans ma peau«, dem Regiedebüt von Marina de Van, ein autodestruktives Moment. Entfremdet blickt die Protagonistin Esther (ebenso hervorragend verkörpert von de Van) auf eine Fleischwunde auf ihrem Bein. Der Film erinnert mitunter an die Körperinszenierungen bei Cronenberg. Auch Assoziationen mit Claire Denis (»Trouble every Day«) werden geweckt. Kannibalismus und Vampirismus.
Die Wunden des weiblichen Körpers. Die Protagonistin fällt immer mehr in ihre eigene Welt, wie in Polanskis »Repulsion« verliert sie sich in ihrem Wahn. Weibliche Identitätsspaltung. Die Selbstzerfleischung im wörtlichen Sinne. Die Selbstverstümmelung als Störung. Der Körper als Fremdobjekt. Die stille Malträtierung der Weiblichkeit wurde hier hervorragend inszeniert. Der Film war übrigens am Mittwoch dem 12. Mai auch im Wiener Filmmuseum zu sehen.
Urlaub in Polen
Assoziationen mit Haneke weckt auch »Unterwegs« von Jan Krüger. Zumindest anfänglich. Eine Autofahrt. Wie in »Funny Games«. Eine Familie fährt in den Urlaub. Eine dysfunktionale Familie. Die alleinerziehende Mutter Sandra, ihr Freund Benni Vierter begleitet sie. Der Eindringling. Marco. Er sitzt hinten neben dem Kind. Den Regisseur selbst schätzt Haneke, »weil er viele Sachen nicht ausspricht«. Statt Psychoterror bahnt sich allerdings eine Menage á trois an. Doch die Sachlage bleibt vage. Es wird nicht viel erklärt. Das Publikum im Unklaren gelassen. »Die Party hat erst angefangen«, so die Worte von Marco, kurz nachdem er die Familie auf einem Campingplatz irgendwo im Osten Deutschlands kennengelernt hat. Er überredet sie zu einem Trip nach Polen. Das Quartier würde er besorgen. Eine seltsame Spannung durchzieht diesen Film. Die Figuren kommen einander näher und entfernen sich auch wieder. Dann der Abschied. Marco verspricht Jule zu ihrem Geburtstag ein Märchen. Zunächst Marionettentheater, dann setzt er sie im Wald aus. Jule irrt umher, bis sie ihre Mutter findet. Der Regisseur dazu: »Es geht um die mystisch-magische Beziehung zwischen Marco und dem Kind. Es war als eine Art Abschied gemeint und nicht als Horror. Die »einzelne Momente zwischen den Figuren«. Jan Krüger sieht »Unterwegs« durchaus als einen romantischen Film. Viele Szenen lassen den Zuseher buchstäblich im Dunkeln tappen. Bewusst wird hier mit den Möglichkeiten des Mediums Video umgegangen. Sehr ästhetisch werden hier, Feuer, Kerzenschein und Dämmerung ins Bild gesetzt. Wieder Erinnerungen an Haneke. Authentizität war Krüger bei der Besetzung sehr wichtig. Ein Geheimnis umgibt die Figuren.
»Koktebel«, der Debütfilm von Boris Chlebnikow und Alexej Popogrebskij, spielt ebenfalls im Osten Europas. Langsam erzählt er die Geschichte von einem Elfjährigen und seinem Vater. Es geht um ihre Beziehung. Dieser Film ist auch eine Art Roadmovie, ihre Reise führt nach Koktebel. Wenige Worte werden gesprochen. Poetische Landschaftsbilder. Ein ruhiger behutsamer Film, indem dem Kind viel Raum gelassen wird, sozusagen als gleichberechtigte Figur neben den Erwachsenen. Parallelen zu Tarkowski werden augenscheinlich. Etwa zu Beginn als die beiden vor einer tunnelartigen Betonröhre stehen, was
sogleich an »Stalker«, »Ivan’s Childhood« und »Mirror« erinnert.
even in their youth
»Joutilaat« ist ein hyperrealistischer Jugendfilm von Susanna Helke und Virpi Suutari.
Rastlos wandert die Kamera umher, ganz wie die jungen Protagonisten. Allesamt arbeitslos, vertreiben sie sich ihre Zeit hauptsächlich mit Herumhängen. Begleitet von Billigtechno (»Move it«), cruisen sie mit ihren Autos durch die karge Landschaft im Nordosten Finnlands. Doch es geht nichts voran. Momente der Stille und Apathie kehren ein, wenn sie früh morgens beim Eisfischen auf ihren Klappstühlen einschlafen bzw. ins Leere blicken. Konsum als Ersatzbefriedigung der Ereignislosigkeit: Autos, Handies, Alkohol. Ein Kurt-Cobain-Poster im Kinderzimmer des neugeborenen Säuglings eines Protagonisten. Triste Kino-Lebenswelten, die man sonst von Barbara Albert und Ulrich Seidl kennt, mischen sich in diesen Film.
Eine Spezialreihe widmete sich Themen der Jugendkultur bzw. Musikszene. Die Dokumentation »Skinhead Attitude« von Daniela Schweizer nahm die Skinhead-Bewegung genau unter die Lupe. Die historischen Anfänge, die Aufsplittung in links und rechts wurden hierbei untersucht anhand der Lebensgeschichte Karole einem französischem Skinmädchen, die ihre weibliche Identität in dieser eher männlichen dominierten Szene behauptet. Filmisch ist diese Dokumentation allerdings weniger interessant, besonders das Ende hinterlässt einen allzu pathetischen Nachgeschmack. Für weniger Informierte der Szene bietet sie allerdings informative Einblicke in jene Subkultur.
»live is a song. love is the music«
»Golden Lemons« hingegen begleitet die Goldenen Zitronen auf ihrer US-Tour als Vorband von Wesley Willis. Das Bild, das Regisseur Jörg Siepmann zeichnet, fällt nicht immer all zu schmeichelhaft für die Band aus. Mitunter auch der Grund warum die Goldenen Zitronen bei Erscheinen dieser Doku heftig intervenierten und in Presseaussendungen zum Rückzug dieser Dokumentation aufriefen. Nichtsdestotrotz ein interessanter Film, der auch das Amerikabild in Frage stellt.
»Status Yo« von Till Hastreiter, ein semidokumentarischer No-Budget-Film, der sich die HipHop-Szene Berlins zum Thema macht. Mit HipHop als momentan »stärkster Jugendsubkultur Deutschlands«. Breaken, sprayen, rappen. Ähnlichkeiten zu »Wild Styles« sind offensichtlich. Authenzität wird groß geschrieben. Es spielen ausschließlich Laiendarsteller und Vertreter der Berliner HipHop-Szene. Mitunter fallen die Dialoge aber all zu absurd aus, was dem Werk eine unfreiwillige Komik mitgibt.
»Sretno Dijete« begleitet den Journalisten und Regisseur Igor Mircovic zurück in seine Jugend. Die Punk- und New Wave Szene Zagrebs im sozialistischen Titojugoslawien der späten 70er frühen 80er Jahre ist Thema des Films. Mircovic verwendet Archivmaterial und begibt sich auf die Suche nach den Helden seiner Jugend: Das ergibt insgesamt das interessante Bild einer Szene, über die hierzulande nicht all zu viel bekannt sein dürfte.
»small is beautiful«
Die Reihe »local artists« war Einreichungen aus Oberösterreich gewidmet. Sie umfasste Kurz- und Dokumentarfilme, sowie experimentelle Arbeiten. Die Werke entstammen größtenteils Studenten der Kunstuniversität Linz. Die bemerkenswerte Arbeit »Blowfeld« von Rainer Gamsjäger erhielt bei der Preisverleihung eine lobende Erwähnung. Szenen aus Terminator I verdichten sich in Stakatoschnitttechnik zu einer haptischen Verfolgungsjagd. Ein eigens dafür entwickeltes Computerprogramm lieferte die Grundlage dieser orgiastischen Bilderflut.
In »O.T. 10« von Thomas Steiner werden analoge und digitale Techniken zusammengeführt, was ein synergetisches Gesamtbild ergibt. Maltechniken werden am Computer animiert, teilweise wird found footage eingearbeitet. Auch auf der Tonspur ergeben sich interessante Wahrnehmungen. Die Kratzgeräusche des Filmstreifens werden mit Dröhnen kombiniert, was der visuellen Spannung zugute kommt.
Bei »Capitano Peyote« von Alexander Wilhelm handelt es sich um eine 3D-Animation im Stile Pixars. Diese Arbeit kann sich visuell durchaus mit dem großen Vorbild messen, bleibt aber zugleich eine sympathische Ausführung mit komplexem 3D-Design.
»Erase & Rewind« von Stefan Macheiner, das bei der Diagonale gemeinsam mit Didi Bruckmayr (für sein Video »Ich bin traurig«) den Preis für innovatives Kino erlangte, spielt mit abstrakten Formen, die sich zu elektronischen Frickelsounds verhalten. Realaufnahmen werden abstrahiert, verfremdet und generiert. Die Farben rot, grün und blau.
In »Habibi Kebab« (Paul Horn und Harald Hund) wird ein türkischer Trash-/Jugend-Film der 60er Jahre neusynchronisiert. Dies führt zu einem teilweise sehr witzigen, sarkastischen Dialog über Kunst und die Mechanismen in der Kunstwelt. Eine ironischer Blick hinter die Kulissen des Kunstmarkts. Eine Kunst-Soap-Opera bzw. Campmelodram.
Festival 2005
Von den gezeigten Filmen hatte übrigens nur einer einen Verleih. Dass es im nächsten Jahr zwischen 26.04. und 01.05. wieder ein Linzer Filmfestival geben wird, steht bereits fest. Crossing Europe soll neben der Viennale, Diagonale und dem Filmfestival in Innsbruck eine fixe Institution der heimischen Festivallandschaft werden. Die Programmierung der Filme kann man als durchaus sehr gelungen bezeichnen.
Der Preis aus dem europäischen Wettbewerb wurde an den mazedonischen Debütspielfilm »Kako ubi svetec/How I killed a Saint« vergeben. Den local artist award bekam Michaela Schwentner für ihre Videoarbeit zur Musik von Radian (»Jet«). Außerdem gab es lobende Erwähnungen für »Blowfeld« von Rainer Gamsjäger und »nix g’scheits drin« von Regina Stefanschitz.
Crossing Europe präsentierte sich bei seinem Debüt als sehr sympathisches, gut programmiertes Festival, das von vielen kompetenten Händen mitgetragen wurde.