Ein Mann am Meeresufer wartet auf seinen Vater, der hinausgefahren ist. Ob er zurückkehren wird, ist mehr als ungewiss. Ein Hauch von Hemingway macht sich in dieser poetischen Schlussszene breit und widerspiegelt weniger die Motivation des vor gerade zwei Jahren erstmalig Vater gewordenen Fatih Akin, mit der dieser seinen neuen Film »Auf der anderen Seite« angeht, als seinen behaglich verantwortlichen Erzählduktus. Ein zweiter Film der so oft angekündigten Trilogie »Liebe, Tod und Teufel« widmet sich nun dem Thema »Tod«, aber einem Tod, hinter dem sich eine Neugeburt und Vergebung verbergen.
Eine Türkin kommt in Deutschland ums Leben, eine Deutsche stirbt in der Türkei. Einmal rollt ein Sarg auf dem Istanbuler Flughafen heraus, einmal hinein. Eine Rahmengeschichte deren Chronik ihren fragmentarischen Lauf nimmt als der pensionierte Ali, ein typischer Gastarbeiter in Bremen, aus Versehen die Prostituierte Yeter erschlägt, die er zu seiner Lebensgefährtin machen wollte. Alis Sohn Nejat, Germanistikprofessor in Hamburg, nimmt es dem Vater dermaßen übel, dass er beschließt Deutschland zu verlassen und in der Türkei Yeters Tochter Ayten aufzuspüren. Während Nejat in einem deutschen Buchladen in Istanbul eine neue Existenzmöglichkeit findet, erzählt Akin in einem zweiten, überlappenden, aber ganz unabhängigen Strang die Geschichte Aytens, die, als politische Aktivistin in der Türkei von der Polizei gesucht, illegal in Deutschland ist, um die eigene Mutter zu finden.
Akin Hassliebe zur Türkei
Im Gegensatz zum spontan wuchtigen »Gegen die Wand«, der dem Sujet »Liebe« galt, zeigt »Auf der anderen Seite« mit minder beladener Intensität aufs Neue Akins Hassliebe zur Türkei. Die Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau skizziert dieser deutsch-türkische Autorenfilmer wieder einmal anhand ausbrechender Frauen. So verliebt sich die weltradikale Ayten in Lotte, eine deutsche Studentin aus dem »europäisch« gesinnten Hause. Aus einer türkischen Gastarbeiterin Yeter (Aytens Mutter) wird gleich zu Anfang eine Prostituierte, die ihr schwer verdientes Geld nach Hause schickt, um das Studium ihrer Tochter zu finanzieren. Zwei Ausbrüche, die in der heutigen Türkei nach wie vor auf höchste Intoleranz stoßen. Gleichzeitig aber verkörpert Susanne, Lottes Mutter (Hannah Schygulla), das Misstrauen bzw. Unverständnis Deutschlands gegenüber dem »Europäischen« der türkischen Kultur. Ayten verliert zwei Mal: einmal ihre eigene Mutter, für deren Verlust sie nichts kann, und einmal die geliebte Freundin, für deren Tod sie sich verantwortlich fühlt. Musikalisch höchst rhythmisch und mit einem feinfühligen Gehörsinn werden Schuldgefühle und Versuche um Vergebung geschildert: auf der einen Seite die verfremdete Vater-Sohn Beziehung, auf der anderen eine a priori gescheiterte Freundschaft zweier Frauen unterschiedlichen Alters von unterschiedlicher Herkunft, die schließlich zu einander finden. Wenngleich etwas missraten und zu rational der abstrakteren Machart Iñárritus nachkommend, ist es ein Film über unbewusste Begegnungen, über verpasste Gelegenheiten, getaucht in ein Becken schicksalhafter Melodien.
Mit Recht wurde »Auf der anderen Seite« mit dem Drehbuchpreis in Cannes 2007 ausgezeichnet. Musikalisch bestens vorbereitet (vgl. »Crossing the Bridge«, als geeignetes »Versuchskaninchen« in puncto Musikeinsatz) auf eine höhere Auszeichnung bleibt der Film im Vergleich zu seinem Vorgänger jedoch zu unentwickelt.
Ab 5. Oktober 2007 in den österreichischen Kinos.