Für Trümpis vorliegende Studie waren umfangreiche Archivstudien in Wien und Berlin bei den dortigen Orchestern notwendig – in Wien wurde die Erlaubnis von den Wiener Philharmonikern spät aber doch erstmals erteilt. So liegt dem Buch eine beachtliche Materialfülle zu Grunde, die dem Autor in die Lage versetzt, die Analyse des historischen Materials überzeugend vornehmen zu können. Trümpis Ansatz ist nicht losgelöst von der historischen Entwicklung der beiden Länder, sein Forschungsansatz daher auch kein einengender, der Musikwissenschaft verpflichteter, sondern umfassender.
Es werden daher die historisch/politischen Rahmenbedingungen der beiden Großstädte einbezogen, die die »Moderne« in den beiden Ländern entsprechend unterschiedlich entwickeln ließen und die auch helfen, die Differenz zu verdeutlichen. Damit gelingt es dem Autor, die Eingrenzung einer Detailstudie zu überwinden und anders als Untertitel vermuten lässt, die Studie eben nicht ausschließlich auf einen bestimmten Zeitraum zu fokussieren, sondern auch die Vorgeschichte für den Nationalsozialismus entsprechend zu berücksichtigen. Trümpis Buch ist daher nicht nur die vergleichende Studie über die Entwicklung der zwei führenden Orchester sondern indirekt eine, die die Bedingungen des Musikbetriebs der beiden Länder einer Hinterfragung unterzieht. Programmatisch wird hier bereits der Beginn der Entwicklungen der beiden Orchester, mit den Schlagwörtern »Aufbruch« für Berlin und »Tradition« für Wien umrissen.
Sowohl die Kaiserzeit, als auch die republikanische Periode bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland wie auch der Periode des Austrofaschismus, werden einer kritischen Betrachtung unterzogen. Die »Staatsgläubigkeit« und der damit verbundene Autonomieverlust der Berliner Philharmoniker als auch die Selbstanpassung der Wiener, der Autonomieverlust der Berliner und der erbitterte Kampf der Wiener um den selbstständigen Vereinsstatus als auch die nationalsozialistische Programmpolitik beider Orchester finden ausführlich Beachtung. Nicht uninteressant ist auch die Untersuchung des Repertoires, die dem Buch als Anhang beigegeben sind.
Während die Berliner den »deutschen« Komponisten – Hans Pfitzner kontinuierlich spielten, ist dieser mit seinen Werken nur geringfügig in den Programmen der Wiener vorhanden. Das Werk des »österreichischen? Pendants – Franz Schmidt – ist bei den Berlinern nahezu unbekannt, wurde aber bei den Wienern in der austrofaschistischen Phase geradezu gehypt und fiel nach 1938 der politischen Angleichung »zum Opfer«.
Fritz Trümpi: »Politisierte Orchester. Die Wiener Philharmoniker und das Berliner Philharmonische Orchester im Nationalsozialismus«
Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2011, 357 Seiten, EUR 39