Pop als große Tragödie. Als der 24-jährige Brian Wilson in seinem Rolls Royce Anfang Februar 1967 die neue Beatles-Single »Strawberry Fields Forever« hört, vergeht ihm das kalifornische Grinsen und »Smile«, das seit Ende 1965 in Arbeit befindliche und allerorten als »das größte Popalbum von überhaupt« titulierte Beach-Boys-Werk gerinnt zum sagenumwobenen Mythos.
Bei der nunmehrigen Begegnung mit den »Smile Sessions« passiert aber genau das, was immer zu passieren droht, wenn sich ein Gespenst oder ein Geist materialisiert und nun genauer betrachtet werden kann: der ganze Halloween-Spuk erscheint plötzlich als ein (wenn auch eigenwilliger) Kindergeburtstag (Jetzt machen wir mit Gemüse Musik und setzen uns Feuerwehrhelme auf!)
Voll Crazy
??Genialität?? alleine zuzuschreiben. Klar gab es da seit » Nun sind all die Verrücktheiten, LSD ebensowenig wie das Vorhaben eine »Teenager-Symphonie« zu schreiben, nicht unbedingt Brian Wilsons »Rubber Soul« im Kreativwettbewerb mit den Beatles. Aber gegenseitiges inspirieren war in den Sixties sowieso Diskurs-Rock avant la lettre. Die Beatles, Dylan und Hendrix hörten sich ja auch ganz genau die jeweiligen neuen LPs der anderen an. Zudem war 1967 voll von Verrücktheiten (13th Floor Elevators, The Red Crayola, The Velvet Underground, The Electric Prunes, Jefferson Airplane, Hendrix, The Who). Auch Wilson hatte Psychedelic im Pop-Hirn, angereichert jedoch mit American Operetta, Gershwin, Musicals, Exotica, Doo Wop, Surf. Lauter Verrücktheiten, die in ihrem Eklektizismus jedoch erst Jahre später zu Themen im Pop werden sollten.
So gesehen beschreibt die abfällige Bemerkung von Strandjunge Bruce Johnston, bei den »Smile«-Songs handle es sich um »Doris Day on Surfboards« eigentlich ganz genau, worum es Wilson ging: es den Beatles mit etwas genuin amerikanischem zu zeigen. Und da braucht es keine Rückgriffe auf feudale Euro-Klassik, da reicht es den sowieso transatlantisch verwuselten Pop-Kanälen von Americana zu folgen.
Genie auf Sand
Wilsons Vorhaben, die Beatles als Songwriter in den Schatten zu stellen übersah dabei ein wichtiges Element: Auch wenn »Good Vibrations« eine quasi aus zig Tonbandschnipseln zusammengepickte Studioarbeit war, so ist dieses Copy&Paste-Verfahren dennoch Steinzeit im Vergleich zu den Tonband-Experimenten, die die Beatles (angeregt durch Burroughs, Fluxus, musique concrete und den BBC Radiophonic Workshop) zur selber Zeit schon veranstaltet haben (»Tomorrow Never Knows« gibt davon ausführlich Zeugnis ab).
Ging es bei Wilson noch um den perfekten Popsong mittels ausgefallener Harmonien, so hatten die Beatles u. a. schon längst kapiert, dass Sounds und komische Geräusche weit mehr Aufmerksamkeit auf sich zogen, als elaborierteste Vocal-Arrangements. Kurz: die elektrisch verstärkte (vgl. Gustav Metzgers »amplified art«) und elektronisch generierte Pop-Musik war schon auf gänzlich anderen Wegen unterwegs, als Wilson die Beach Boys mit »Smile« zu quälen begann. Interessant ist das auch deshalb, weil die Beach Boys als »Surf«-Band so gut wie nichts mit der instrumentalen Surf-Exotica all jener soundtechnisch mitunter doch sehr präpsychedelisch klingenden Bands zu tun haben, die vor den Beach Boys für »Surf« standen.
So zeigt »Smile« den seltenen Fall eines Pop-Ereignisses, das sich gleichzeitig zu früh wie zu spät ereignet hat. Zu spät, weil die mystische Figur »Teenager« selber schon eine Transformation durchgemacht hat, zu früh, weil eklektischer Meta-Pop (der sich, im Gegensatz zu den Mothers Of Invention nicht als Parodie seiner Versatzstücke verstand) in dieser Form erst noch seiner Entdeckung harrte.
Americana To Come
Mit der Wahl von Dyke Parks als Partner in crime war Wilson zwar auf dem richtigen Weg, nur schmiss bekanntlich auch Parks – dessen Texte alle anderen Beach Boys eh als dämlich ansahen – während der »Smile«-Sessions das Handtuch. Sagen wir es einfach mal so: Wilson scheiterte am Anspruch ein modernes Pop-Genie zu werden, wohingegen Van Dyke Parks als postmoderner Eklektiker schon ein paar Augenaufschläge weiter dachte. Was »Smile« bei aller Schönheit so angestrengt erscheinen lässt sind all die kleine Ideen, die alle paar Takte von neuen, noch tolleren, irreren, spinnerten Ideen abgelöst werden müssen. Dieser Zwang zur Genialität zeigt, viel mehr als all die Geschichten mit dem Sand unter dem Klavier und dem ganzen LSD, woran »Smile« schlussendlich auch krankt. Im Endeffekt wird hier vieles derart groß aufgeblasen, dass der Idee Pop gleichsam die Luft ausgeht. All die kleinen, supertoll ausgesuchten Zitate, also das was bei Parks später eine campe Americana generierten sollte (elegant, verspielt, extravagant), oszilliert hier in einem ocean of excess eines Genies, dem der Glaube an den eigenen Mythos zum Verhängnis wird. Ganz abgesehen von der Frage, was einen reiten muss, um nach dem Flop von »Pet Sounds« zu glauben mit »Smile« die Charts stürmen zu können. Die jetzt veröffentlichten »Smile Sessions« sind dann auch über weite Strecken eine schöne Qual (weit mehr noch als die vor Jahren erschienene »Pet Sounds«-Box), weil das Gewollte zwar greifbar ist, sich jedoch ebenso schnell wieder verflüchtigt. Wer sich »Smile« wirklich in all seiner Pracht ausmalen möchte, kann sich das ja aus »Pet Sounds«, Van Dyke Parks‘ »Song Cycle« und «Surf’s Up« zusammenstellen. Und ja: »Smile« passt als Phantomplatte super ins hauntologische Hypnagogic-Schwimmbecken. Da war sie ja schon immer am besten aufgehoben. Aber das ist doch auch was Schönes: Sich von Platten, die nur vom Hörensagen und in Ausschnitten bekannt sind inspirieren zu lassen.
The Beach Boys:
»The Smile Sessions«
(Capitol/EMI)