Nach Peter Brötzmann widmet sich das Wiener Cien-Fuegos-Label nun auch heimischen »ghosts from the past«. Als »Schwarze Energie«, die Debüt-LP des um den Multimediakünstler und Theoretiker Peter Weibel und den unschlagbaren Gitarren-Riff-König Loys Egg gruppierten Hotel Morphila Orchester (HMO) Ende 1982 zum ersten Mal an diverse Ohren kam, schien klar, dass damit das, was in Österreich unter Punk oder New Wave verstanden wurde, eine neue Dimension erreicht hatte. Am ehesten noch zu vergleichen mit Willi Warmas Rückgriffen auf die literarische Bohème des Landes (etwa bei der Vertonung von Konrad Bayers »Niemand hilft mir«), blieb diese »Schwarze Energie« jedoch auch ein eher singuläres Ereignis, bei dem es schon mehrere Eselsbrücken brauchte, um hier etwa Attwenger oder Texta ins Spiel zu bringen. Dazu war – neben der Musik – wohl auch Weibels Gesang (und vor allem die Texte) zu exaltiert. Nachmachen konnte schnell zur Parodie werden, zudem war Skepsis angesagt. Art-School-Bands schön und gut, aber war das HMO nicht sogar eine Art-School-Professoren-Band? Interessanterweise spielten sich die Songs nie ab wie etwa bei Falco. Vielleicht, weil zwar sehr stark von der Entstehungszeit geprägt, aber aus dieser (und zwar schon damals), dann doch deutlich unzeitgemäß herausfallend. Ich weiß noch, wie ich auf Diedrich Diederichsen mal richtig sauer war, als er im »Sounds« über »Schwarze Energie« von »Mainstream-Alt-Rock« und »Wiener-steht-auf-Dylan-Sänger« geschrieben hat.
Fast dreißig Jahre später fasziniert gerade die Differenz zwischen (scheinbar) unzeitgemäßem Rock (der sich dabei aber eh, mit dem von Wire extrahierten Rock-Minimalismus im Ohr, aus der damals gerade geöffneten Bundeslade mit feisten Stooges/Velvet Underground- wie auch dadurch trans- ferierten Krautrock-Riffs bediente) und immer noch unglaublichen Texten, die neben 1:1-Ûber- führungen von Lou Reed (und weniger Dylan), vor allem schwer vom damaligen »neuen Denken« (mit Schwerpunkt auf Deleuze/Guattaris »Anti-Ödipus« sowie linker Nietzsche-Rezeption) beeinflusst sind.
Es mag schon sein, dass Falco »Rap« erfunden haben mag (Joe Zawinul behauptet das ja auch), aber wenn Weibel wild den »Anti-Ödipus«, Lou Reed, Lacan und Nietzsche durcheinander mischt, dann mag eventuell das Verbleiben in Rockstrukturen kritisierbar sein. Eine Rhythmusbox weiter arbeiteten ja F.S.K. auch an Ähnlichem und finden sich dementsprechend auf dem letztes Jahr veröffentlichten Sampler »der künstler als junger hund – peter weibel tribute album« (zusammen u. a. mit Amon Düül II, Chicks On Speed, Guru Guru, Alexander Kluge, Tanz Baby!, Bernhard Lang und Olga Neuwirth). Andererseits war das damals (gemeinsam mit Klaus Theweleits »Männerphantasien«) auch ein super Eingang dorthin, wo dann das eine oder andere Merve-Büchlein zum Kauf anstand. Wobei es auch das Verdienst von Weibel ist, bei Songs wie »Dead In The Head« (aus Franz Novotnys Ösi-Exploitation-Kultklassiker »Exit – Nur keine Panik«), »Sex in der Stadt«, »Married Women«, »Entzweit« oder »Liebe ist ein Hospital« zwar tradierte Pop-Kontexte zu verlassen, dabei aber trotz all der Geheimsprache (aus Kunst, Philosophie, Medizin und Medienkritik) keine elitäre Geheimwissenschaft zu produzieren.
Hier geht es nicht darum Pop, zu überhöhen (ins Museum zu bringen), sondern Pop ernst zu nehmen. Als fröhliche Wissenschaft ein geheimnisvolles Terrain jenseits einer Moderne, die für sich schon alles erreicht und gepachtet zu wissen glaubt. Academia und Bohemia schwelgen »fremd in der eigenen Sprache» (in einem Sprachbastard, der, in Anlehnung an Kafkas »Pragerdeutsch«, gerne auch als »Weibeldeutsch« gedeutet werden kann) im gegenseitigen Fantum und verwenden Theorien wie Warhol Fotos für seine Siebdrucke verwendet hat. Duchamp und Burroughs tanzen zu Velvet Underground Foxtrott, Nietzsche erklärt Iggy Pop was unter Liebe zu verstehen ist und Theorie wird wie Songtexte gelesen. Oder um es mit Peter Weibel zu sagen: »Die schönsten Strophen sind die Katastropen.«