Das Rad der schweren Scheibtruhe, die von einem Mann über einen Holzsteg gekarrt wird, rattert rhythmisch. Im Trog befinden sich frisch gefangene Fische, deren zuckende Bewegungen geheimnisvolle Klänge absondern. Beinahe unmerklich legt sich ein raffinierter Klangteppich über die Szene, wobei Filmgeräusche mit Musik vermengt werden und eine faszinierende Melancholie den Betrachter befällt …
Die Soundcollage der beschriebenen Szene aus »Grenzgänger« stammt von Eva Jantschitsch, der Frau hinter dem Musikprojekt Gustav. Die gebürtige Grazerin lebt seit 1997 in Wien, wo sie bei Peter Weibel und Karel Dudesek digitale Kunst studierte. Sie vertont seit einiger Zeit auch Theater- und Filmproduktionen. Während sich das popmusikalische Projekt Gustav nach zehn Jahren immer noch als politisches Statement versteht, sieht sich Eva Jantschitsch, wie sie im Gespräch mit skug betont, auch als ästhetisch avancierte Tonsetzerin für Theater und Film. Bevor Eva Jantschitsch 2013 mit neuem Album zehn Jahre Gustav zelebriert, war sie eine der vier Protagonistinnen in Mirjam Ungers Doku »Oh Yeah, She Performs!« und hat den Score zu Florian Flickers Film »Grenzgänger« komponiert.
skug: Welche Instrumente hast du für die Schlusssequenz des Filmsoundtracks von »Grenzgänger« verwendet?
Eva Jantschitsch: Ein Toy-Piano, das ich mir von meinem Sohn ausgeborgt habe. Dann noch ein Flügelhorn und einen ganz normalen Synth-Bass.
Was denkst du über die Frauenrolle in Flickers neuem Film?
Beim »Weibsteufel« von Karl Schönherr, der literarischen Vorlage von »Grenzgänger«, geht es um das Thema der Intrige. Im Film wird am Schluss der Protagonistin die Zukunft eröffnet. Sie ist die einzige Figur mit Perspektive, die eine Option auf Glück hat. Das eigenartige ist ja, dass der Hans im Film der volle Sympathieträger ist. Im Original ist er das Gegenteil. Hier aber wirkt er als tollpatschiger, ins Unglück Gestürzter, der alles vermeintlich aus Liebe zu seiner Frau macht. Die Frau hat etwas leicht Mystisches, Undurchdringliches. Man kann die Frau an sich natürlich als Sehnsuchtsort inszenieren, an dem all die Blicke und Begierden münden. Das ist allerdings ein etwas anachronistisches, klassisches Muster. Ich habe die Inszenierung an der Burg von Martin Kusej leider nie gesehen. Es hätte mich interessiert, wie die gearbeitet haben.
Generell zu deinen Filmmusikprojekten: Was hast du da für Zugänge, welche Methoden wendest du da an?
Ich arbeite intuitiv, von Mal zu Mal unterschiedlich. Man ist abhängig von der Vorstellung der Regisseurin, des Regisseurs und davon, was die oder der vorlegt. Ich habe nie ein vorgefertigtes Konzept bei Filmen. Das hängt von der Sprache der Regisseurin, des Regisseurs, dem Bildmaterial, der Stimmung, dem Rhythmus des Films ab. Und das kann ich ja meistens nicht beeinflussen. Höchstens im Nachhinein stützen oder hemmen. Ich arbeite meist mit fertigen Filmschnitten, auf die ich musikalisch, motivisch reagieren kann. Wenn man in der Schnittphase ständig Zwischenstände hin- und herschickt, braucht das irrsinnig viel Zeit. Und so ein Schnitttag kostet ja auch einiges an Geld. Da sind also rein pragmatische und wirtschaftliche Ûberlegungen natürlich auch im Spiel.
Siehst du dir im Vorfeld andere Filme an, um dann passende Referenzen herstellen zu können bzw. hast du bestimmte Filmsoundtrack- Favoriten im Kopf, bevor du dich an die Arbeit machst?
Nein, das habe ich mir abgewöhnt. Weil man sowieso schon so viele Referenzen im Kopf hat. Man muss da intuitiv darauf reagieren. Man kann Filme und Scores, die einen beeindruckt haben, ja eh geistig abrufen. Zur Vorbereitung sehe ich mir also nichts dezidiert an. Das würde die eigene Arbeit verfremden. Kopieren tut man die guten Sachen unbewusst ja trotzdem. Notwist haben vor zehn Jahren die Filmmusik zu »Lichter« von Hans-Christian Schmid gemacht. Diese Filmmusik hat mich jahrelang verfolgt, weil sie so gut gesetzt war. Ich habe mir den Film dann nach Jahren wieder einmal angesehen und gemerkt, dass es nur ein Motiv war, das vereinzelt im Film vorgekommen ist. Ich war total baff, dass mich das so packen kann. Ich habe solch eine Musik in der Form bis dahin noch nie im Kino gehört. Dieses Beispiel habe ich abgespeichert. So kann Filmmusik funktionieren. Es braucht nicht mehr, um Wirkung zu erzielen. Bei »Grenzgänger« war’s so, dass Florian Flicker mich schon sehr früh, im Prozess des Drehbuchschreibens, gefragt hat, ob ich die Filmmusik machen möchte. Nachdem wir die erste Schnittfassung gesehen haben, war ich der Meinung, dass der Film auch ganz gut ohne Musik funktioniert und man es doch dabei belassen sollte. Das war meine erste Reaktion. Das dürfte wohl ein sehr österreichischer Zugang von mir sein. Man tendiert hier sehr zum Purismus.
Das Filmschaffen wird in Österreich ziemlich gut gefördert. Wie sieht’s da mit der Bezahlung aus?
Eher bescheiden. Vom Gesamtbudget werden – wenn’s hochkommt – grob ein Prozent berechnet. Bei den Filmförderungen ist dieser Bereich nicht von Belang. Man hat also schon ein Budget, das gibt man aber oft lieber für Sync-Rechte von Songs, die man einkauft, aus. Alles in allem verdiene ich beim Theater mehr.
Experimentierst du viel mit Klängen?
Ich finde die Reduktion in der Instrumentierung sehr wichtig. Das ist total gefinkelt, was man da einsetzt. Welches Instrument, welcher Klang womit konnotiert ist. Das Ohr oder das Gehirn reagieren da sofort. Sie ordnen Dinge ein, verbinden damit Emotionen oder andere Bilder und Zustände. Da muss man sehr aufpassen, wie man Sounds setzt, wann man sie setzt. Ich betreibe sozusagen Klanganalysen und versuche Sounds zu finden, die noch nichts verraten. Die erst durch die Zusammenhänge etwas erzählen.
Ist das vor allem in der Filmmusik eine Herausforderung oder auch sonst?
Sonst arbeite ich ja ganz bewusst mit solchen Klischees von Klängen und Stilistiken. Das ist ein Steckenpferd von mir. Bei meinem Gustav-Projekt kann ich da aus dem Vollen schöpfen. Da gehört das Eklektische einfach zu meiner Musik. Durch die Kombination von Herkömmlichem wird etwas Neues generiert.
Hörst du mittlerweile auch öfter bewusst auf die Filmmusik?
Nein, eigentlich nicht. Ich kann da ganz gut abschalten und mein dumpfes Publikumshirn anknipsen. Obwohl ich in den letzten zwei Jahren sehr viele Filme über Kopfhörer »geschaut« habe, ist davon nichts hängen geblieben.
Bei deinen eigenen Produktionen als Gustav kannst du ganz du selber sein. Wie ist das bei Theater- oder Filmproduktionen, wo du ein Rädchen bist im großen Getriebe des Kunstschaffens? Ist das vom Gefühl her auch dein Projekt, oder siehst du dich dann mehr als Handwerkerin?
Ich bin da total pragmatisch. Im Theater oder Film bist du ja dazu da, die Idee des Regisseurs, der Regisseurin zu stützen. Du nutzt deine Fähigkeiten, um dieses Bild, diese Vision mitzugestalten. Natürlich hat man seinen eigenen Stil, aber man gestaltet im Verbund und muss sehr viel an künstlerischer Eitelkeit ablegen. Man geht soundtechnische Kompromisse ein, die in einer Plattenproduktion oder Konzertsituation für mich unmöglich wären. Aber im Theater zum Beispiel bist du auf der Rangliste untergeordnet, da gibt es einfach gewisse künstlerische Hierarchien. Das tut schon manchmal weh. Aber es geht darum, dass der Abend an sich funktioniert. Viel passiert auch während der Probenzeit. Da spürt man plötzlich die Stimmung, den Rhythmus des Stücks durch das Sprechen der Schauspielerinnen und Schauspieler. Wenn ich ein Stück oder Drehbuch zum ersten Mal lese, dann verstehe ich es oft nicht. Es braucht eben jemanden, der mir die Geschichte erzählt, und das ist letztlich die Regisseurin, der Regisseur.
Es gibt ja ein Projekt, das du schon länger ankündigst. Es hat den knackigen Titel »Hallo, Knallo!« …
Also, der Plan war ja, die Platte schon dieses Jahr rauszubringen. Aber da ist mir einiges dazwischengekommen. Unter anderem eine Produktion für das Burgtheater. Es gibt ja zehn Jahre Gustav, ein Jubiläum quasi. Das wird aber um ein Jahr versetzt, also 2013 gefeiert. Da ist einerseits eine Vinyl-EP von Live-Mitschnitten geplant und ein reguläres Gustav-Album. Welchen Titel das dann genau tragen wird, das weiß ich jetzt noch nicht. »Hallo, Knallo!« ist noch immer einer meiner Favorites. Und ich erwähne es einfach immer wieder, damit mir niemand diesen Titel wegnimmt. Ich dachte immer, mit »Hallo, Knallo!« willst du ein ganz eigenwilliges Side-Project starten. Nein. Sicher, man könnte es machen. Aber letzten Endes würden alle schreiben: »Das ist die Eva Jantschitsch alias Gustav alias …«. Für einen selber ist es wahrscheinlich wichtiger, dass man sich Projekte zuweist. Film- oder Theatermusik mache ich immer unter meinem bürgerlichen Namen. Das hält mir auch den Rücken frei. So komme ich mit meinem bürgerlichen Namen nicht unter Zugzwang, immer in dieser Ecke arbeiten zu müssen. Ich sehe mich einfach als Musikerin, die von ihrer Musik lebt. Gustav aber war für mich immer politisches Statement.
Stichwort Musik und Politik. Wie politisch kann/muss man als Musikerin 2012 sein? Was bewegt man, was will man bewegen?
Genauso viel wie 2004 oder 1999. Da hat sich nicht viel verändert. Es gibt nach wie vor Produktionen, die mich total vom Hocker reißen. Wo ich mir denke, genau diese Sprache und diese Artikulation einer Problematik sind total notwendig, neu und überraschend. Die Frage, ob es etwas bewirkt, ist verfehlt. Es gibt immer eine individuelle Reaktion darauf.
Wie schreibt sich ein Lied in dein Bewusstsein, in deine Erfahrungswelt ein? Wann hörst du es zum ersten Mal? Welchen Moment ruft es ab, wenn du es wieder hörst?
Da passiert eine individuelle Geschichtsschreibung. Je nachdem bewirkt ein Lied unglaublich viel oder gar nichts. Du kannst emotional reagieren, du kannst es intellektuell abrufen und als Referenz heranziehen. Die letzten Krisen etwa haben jetzt nicht alles an der Rezeption verändert.
Machst du die Musik dann im Prinzip für dich selber, oder auch mit der Hoffnung, dass sie eine bestimmte Wirkung erzielt?
Ich glaube, es würde fast jeder Künstler und jede Künstlerin unterschreiben, dass man da primär für sich selber produziert. Weil das gar nicht anders geht. Man muss ja etwas produzieren, das einem selber Spaß macht. Man ist damit monatelang beschäftigt, und man muss das auch nach drei Jahren noch aufführen können. Du musst etwas schaffen, das dich fasziniert und bei der Stange hält. Es ist mehr ein Experimentieren als ein Produzieren für ein Publikum. Es hängt mit so vielen Faktoren zusammen. Ob du bereit bist zu touren, welche Räume für die Musik passen, welche Leute darauf überhaupt ansprechen. Es gibt ja auch Wellenbewegungen auf dem Musikmarkt. Und ob du da gerade reinpasst und eine Lücke füllst oder nicht, ist schwer vorhersehbar.
Wie ist das eigentlich, wenn man ein Lied in einer bestimmten Stimmung schreibt und man das dann immer wieder live durchlebt bei einem Auftritt?
Da würde ich ja krepieren, wenn ich in einer Stunde zwanzig Gefühlslagen durchleben müsste. Nein, Konzerte zu spielen ist einfach ein Handwerk. Das ist wie Semmelbacken. Du stehst um drei in der Früh auf und machst den Teig, schiebst ihn in den Ofen … Das ist alles automatisiert. Es ist vielleicht ein bisschen sexier. Ich habe Jahre dafür gebraucht, mich in dieser Performer-Rolle ernstzunehmen und damit zurechtzukommen. Mittlerweile macht mir das Spaß, weil man sich dabei gut ausleben kann.
Ist dir Selbstbestimmung generell sehr wichtig?
Ja. Sobald ich mit Leuten arbeite, bei denen ich das Gefühl habe, die beschneiden mich in meiner Freiheit, gibt es immer Zoff. Wenn es um Verträge geht, werde ich immer versteinert und verstockt. Alles von Soll und Haben bis Muss, dieser Leistungsdruck, da kann ich nicht mehr. Das ist überhaupt nicht gut für die Psychohygiene. Am liebsten mache ich das mündlich und unverbindlich. Ich leiste meine Arbeit zuverlässig. Aber jeder Vertrag macht mich total fertig.
Gibt es Räume und Umgebungen, in denen du bevorzugt auftrittst?
Im Prinzip trete ich überall auf. Es gibt allerdings Events, da weiß man genau, da bekommt man keine Gage ausbezahlt, sondern Schmerzensgeld. Vernissagen zum Beispiel, Gratiskonzerte meistens oder Openings von artfremden Festivals, wo akkreditierte Desinteressierte ihre Häppchen essen. Dem begegne ich nicht mehr gern. Aber du musst dich generell auf den Sound deines Teams, deiner Band verlassen können. Egal wie schwer die Umstände akustischer Natur sind oder wie die Energie des Publikums ist, man muss dem gut und griffig mit einem gewissen Rüstzeug begegnen können. Egal ob du im Theater oder in der »Bumsn« von nebenan auftrittst.
Was bringt die nahe Zukunft?
2013 wird ein Gustav-Jahr ohne Theater und Film. Anders geht’s nicht. So eine Produktion braucht drei, vier Monate. Für mich ist es unmöglich, parallel zu arbeiten. Ich kann maximal zwei Theaterproduktionen im Jahr machen. Oder wie dieses Jahr eben gerade mal eine. Es gibt Arbeitstiere, die permanent produzieren, aber man hört, wie sukzessive die Substanz der Musik flöten geht. Einerseits mag ich das privat nicht, dass ich zu viel arbeite. Ich bin einfach tendenziell eher faul angelegt. Andererseits bin ich stets verwurzelt in dem, was ich mache. Jedes Projekt muss man in Würde und Konzentration auch verabschieden können und nicht mit dem Kopf schon wo anders sein.