Deutscher Pavillon, Venedig 2013 © Biennale
Deutscher Pavillon, Venedig 2013 © Biennale

Biennale Venedig: Flaute in den Giardini

Weil die Biennale Venedig als All Over Event längst zu einem touristischen Selbstläufer wurde, scheint aus vielen der traditionellen Pavillons in den Giardini die Luft raus zu sein. Dass viele der wirklich spannenden Präsentationen eher in den Außenstationen mit Wettkampfgeist und Positionierungslust über die Bühne gehen, lässt sich bald erahnen.

Im US-Pavillon unter der Ägide des Bronx Museum, das in New York größtenteils schwarze und lateinamerikanische Künstler bringt und seinen soziopolitischen Anspruch betont, wurde diese Option mit der Wahl der Künstlerin Sarah Sze und ihrem letztlich kunstschönen Konzept gehörig verspielt. In ihrer Installation »Triple Point« arbeitet Sze innen und außen mit allen möglichen Materialien wie Drähten, Metallteilen, Plastikabfällen oder Papierresten skulptural und raumgreifend. Dass die Architektur des neoklassischen Gebäudes aus den 1930er Jahren hinterfragt wird, liegt auf der Hand. Doch – bei aller Achtung vor der Künstlerin selbst – hätte man sich schon mehr trauen können.
130529_ta_bv13_979p.jpgDeutschland und Frankreich reagieren auf die anachronistische Zerklüftung nach Nationen mit einem Pavillontausch. Besonders originell wirkt das nicht, doch geht der transnationalen Ansatz der deutschen Kuratorin Susanne Gaensheimer wenigstens noch einen entscheidenden Schritt weiter, wenn sie die aus New Dehli stammende Inderin Dayanita Singh oder den südafrikanischen Fotografen Santu Mofokeng zeigt. Großartig ist Singhs Porträt der transgender Person bzw. des Eununchen Mona in Schwarz-weiß-Fotografien ergänzt durch einen Schwarz-weiß-Film. Formal trocken und klar und dadurch umso mehr berührend. Mona lebt auf einem Friedhof in Alt-Dehli zwischen sämtlichen Welten und abseits aller sozialen Zugehörigkeiten. Santu Mofukeng wiederum dokumentiert, wie die spirituell aufgeladenen Landschaften in der Provinz Mpumalanga im Nordosten von Sudafrika der wirtschaftlichen Aneignung von Land zum Opfer fallen. Als Kontrast dazu der Dokumentarstreifen »8. Mai von 2005/2013« über die große NPD-Demonstration zum 60-jahrigen Kriegsende auf dem Berliner Alexanderplatz von Romuald Karmakar.
Sicher: Von manchen wurde dies – Nase rümpfend – als »Kunsthallenausstellung« abgehakt. Dies wäre jedoch arrogant, handelt es sich doch um einen ernsthaften Versuch, mit starken Werken regional geprägte Idiome zu thematisieren, während das Nationale kritisch hinterfragt wird. Währenddessen ist die filmische Hommage an Maurice Ravel von Anri Sala im französischen Pavillon viel zu pathetisch. Und währenddessen zeigt der Schweizer Pavillon, wie man es besser nicht macht. Das siebenköpfige Gremium pro helvetia hat den Walliser Künstler Valentin Carron nominiert und zeichnet damit für eine der langweiligsten Präsentationen verantwortlich. Ach, in Bronze gegossene, zusammengedrückte flache Musikinstrumente? In einer Galerie gut aufgehoben, aber wen kratzt es hier?
rp.jpgBeeindruckend, letztlich aber viel zu übertrieben: Die performative Installation »Danaë« von Vadim Zakharov im russischen Pavillon, die sich (siehe Titel) auf den gleichnamigen griechischen Mythos bezieht. In fünf Akten geht es in den einzelnen Räumen um Geld, um Ökonomie, um Macht, um Anbetung eines Fetisch und natürlich auch um die Konnotation mit Sex. Im Gebälk sitzt ein Performer wie ein Reiter, während Frauen offensichtlich Spaß daran haben, in einem Raum, der für Männer nicht zugelassen ist, ein paar Münzen in die eigene Taschen zu stecken. Letztlich kippt das Ganze in einen gefälligen Publikumsevent. Aktuelle Fragen kommen gar nicht erst auf. Dahinter stehen die Kunstsammlerin Stella Kesaeva und deren Foundation sowie der langweilige Kurator Uwe Kittelmann, den das noble Sammlermagazin »Weltkunst« gleich mal als »Unser Mann in Venedig« tituliert.
Seltsam, warum so wenig über Stefanos Tsivopoulos dreiteilige filmische Installation »History Zero« im griechischen Pavillon gesprochen wird. In seiner ironischen Trilogie konzentriert er sich auf die existentielle Dimension von money, money, Geld, Geld, chrímata, chrímata, indem er eine ältere, schon leicht an Demenz erkrankte Kunstsammlerin, einen herumstreunenden Einwanderer, der auf der Straße Altmetall sammelt und einen Künstler, der ebenda Schnappschüsse macht, filmisch nachzeichnet. Also »Sammeln« unter anderem und das Festhalten von Wirklichkeit und »sich irgendwie zurechtfinden« in einer zum Spielball einiger Banker und Spekulanten heruntergekommenen Welt.
Dass hier natürlich vieles Idiosynkrasie bleibt, vielleicht also nur für den Moment Gültigkeit hat, das thematisieren Alexandra Pirici and Manuel Pelmus in ihrer »Immaterial Retrospective of the Venice Biennale« im rumänischen Pavillon. Die beiden jungen und bereits sehr renommierten Choreographen für Tanz und Performance lassen Werke und Katalogpassagen aller bisheriger Biennalen durch gesprochene Textzitate verbunden mit performativen Reinterpretationen Revue passieren.
gilad.jpgBemerkenswert auch die Präsentation des jungen Gilad Ratman im israelischen Pavillon »The Workshop« (2013), die filmisch eine Reise nach Venedig in den Pavillon als utopische Landnahme darstellt. Der Pavillon wurde durch einen unterirdischen direkt in das Gebäude mündenden Stollen durch Erdreich und Schlamm in Besitz genommen. Zunächst nicht ganz durchschaubar, assoziativ aber spannend die mit dem Künstler auf dem Weg befindliche Gruppe, die offenbar selbst hergestellte Puppen-Mikrophone gestalttherapeutisch besingt, was dem Künstler als Musiker akustisches Ausgangsmaterial für Techno-Samples ist.
»Dem Künstler«: Auch dies sollte man sich vergegenwärtigen! Den überproportional hohen Anteil an Männern auf dieser Biennale. Die Vergabe des Goldenen Löwen an Maria Lassnig war zumindest ein spätes Zeichen, doch die Guerilla Girls könnten wieder mal ihre Evaluierungsmasken anlegen!
Deshalb erhält auch der britische Pavillon nur wenige Punkte. Sicher, man freut sich bereits, wenn man Jeremy Deller begegnet, der eine witzig, kritische Zusammenschau britischer Mythen der populären und popkulturellen Narrative seit der Zeit des frühen David Bowie als »English Magic« konzipiert hat. Ja, es hat ein bisschen was Subversives, wenn die Yacht von Roman Abramovitsch von dem viktorianischen Künstler und engagierten Sozialisten William Morris auf einer Zeichnung wütend ins Meer geschmissen wird, weil sie arrogant vor dem Biennale-Gelände anlegte, oder wenn Prinz William per Video ein bisschen aufs Korn genommen wird, weil er angeblich auf einen unter Naturschutz stehenden Adler schoss. Aber, bitte schön??! Schon wieder das Königshaus? Amerika: die Flagge. Russland: der zur Schau gestellte Reichtum. England: das Königshaus. Sehr einfallsreich. Auf Biennalen hat man sich auch schon mehr getraut als hier in den Giardini. Verschlafen und sentimental: Finnland mit Terike Haapoja oder auch Australien mit Simryn Gill jeweils mit ökologische Themen.
Es macht schon Sinn, das Prinzip nationaler Präsentationen aufrecht zu erhalten, da sich auf diese Weise Finanzierungssysteme, Kulturpolitiken und der Stand kritischer Diskurse in regionalen Kontexten manifestieren. Mehr trauen hätte man sich trotzdem können und die Maschine dieser ersten aller Biennalen, die ursprünglich gegründet wurde, um dem damals kulturell rückständigen Italien Input zu liefern, wieder einmal richtig anzustarten. Das wäre die Herausforderung gewesen, hier in den Giardini sich mehr mit dem Allerweltsmotto des Enzyklopädischen, das der künstlerische Leiter der Biennale, Massimiliano Gioni, ausgerufen hat, zu reiben. Nur selten begegnet man jedoch einer zündenden Idee, vielmehr einer Zusammenschau, die irgendwie interessant ist, aber eben nur: irgendwie.
Bis 24. 11. 2013.



Bildlegende:

1.) Deutscher Pavillon, Venedig 2013 © Biennale
2.) Dayanita Singh © Thorsten Arendt
3.) Vadim Zakharov »Danaë« © Biennale
4.) Gilad Ratman »The Workshop« © Biennale

Home / Kultur / Kunst

Text
Roland Schöny

Veröffentlichung
20.06.2013

Schlagwörter

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