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The Martha's Vineyard Ferries

»Mass. Grave«

Africantape//Kiam Records

Ich kannte mal einen Gitarristen, der immer dieselbe Phrase erzählte, wenn er eine Platte hörte. »Ah, das ist dieser Schmäh«, sagte er. The Who hatten einen bestimmten Schmäh. Und Led Zeppelin hatten einen Schmäh. Die Sex Pistols sowieso. Pink Floyd nicht so, die waren doch etwas zu sophisticated. Aber 1.000 andere Bands hatten ebenso einen »Schmäh«. Meist war es irgendein Harmoniewechsel, der beharrlich wiederkehrte, oder ein Styleverdacht, den irgendein Kolumnist irgendwann einmal geäußert hat. Gott, wie habe ich das gehasst! Immer dieses Runterziehen auf das eigene Niveau. Immer diese Versimplifizierung zur Beruhigung der eigenen Mittelmäßigkeit. Und jetzt brüte ich über »Mass. Grave« von The Martha’s Vineyard Ferries, einem Bandkonglomerat aus Postpunkveteranen (Bob Weston, u. a. Mission of Burma, Volcano Suns) und ähnlich einschlägigen Freunden des schnörkellosen Rock (Elisha Wiesner von Kahoots und Chris Brokaw von Come, Codeine oder The New Year) – und versuche verzweifelt, nicht von einem »Schmäh« zu reden. Aber den gibt es hier natürlich, alleine schon der signifikante Low-Fi-Sound der CD, der trocken und plastisch zugleich klingt. Ein Hauch von Desertrock schwingt mit, aber nicht ganz, denn Schmäh Nr. Zwei ist ein unaufgeregter Garagenpostpunkrock, derart lässig heruntergespielt, als wären Weston, Wiesner und Brokaw zugleich 18 und 81 Jahre alt. Mit jugendlicher Begeisterung einer zeitlosen Sprödigkeit frönend, eine Rockpatina beschwörend, die das allerschönste Wastelandflair verströmt. Wie heißt es in der Presseaussendung durchaus treffend? Minor Threat crossed with The Byrds? Geben wir noch einen Hauch Vipers und Dead Moon dazu, dann weiß der gemeine Rockfan, wo hier der Gitarrenbund hängt. Und die Sache mit dem Schmäh? Die kann man natürlich auch positiv verstehen. Nur weil es einen Schmäh gibt, heißt das ja noch lange nicht, dass es sonst nichts gibt. Dass eine so einfach gestrickte, derart ausgelutschte Formel immer noch so stimmig und unbelastet klingen kann, ist das eigentliche Sensationelle an »Mass. Grave«. Aber vielleicht ist das auch nur Zufall und also … ein Schmäh.

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