schmoliner
Ingrid Schmoliner

»I Am Animal«

Idyllic Noise

artacts 2024, das alljährliche Improv-Festival von Musik Kultur St. Johann, beglückt nachträglich mit einem Vinyl-Diamanten. Ingrid Schmoliners prachtvolle Improvisationen auf »I Am Animal«, live eingespielt am 10. März 2024 auf der großen Kirchenorgel in der Dekanatspfarrkirche in St. Johann in Tirol, sorgen für ein lang andauerndes Momentum der grandiosen Ergriffenheit. Es wölken repetitive Kaskaden auf dem linken Kanal, mittig schillern dröhnend weitere Orgelklangschleifen, eher am rechten Kanal wummert die Allmacht lang gedrückter Bassorgeltasten. Und allmählich greifen die Klänge ineinander, überlagern sich in vielfachen Variationen, mäandern nach dem Schmolinerschen Gesetz, das Rätsel aufgibt. Assoziationen werden geweckt. Einerseits zu mächtigen Klangwirbeln des Orgelimprovisateurs Anton Bruckner, die leider nicht auf Tonträger überliefert sein können, weil es damals keine Aufnahmemöglichkeiten gab. Andererseits klarerweise zur Minimal Music. Kurz blitzen Erinnerungen an Werke von Terry Riley über Steve Reich bis Philip Glass auf, doch wäre das zu kurz gegriffen. »I Am Animal« kritisiert, dass Tiere in unserer spätkapitalistischen Konsumwelt immer noch wie eine Sache be-, also misshandelt werden, als ob sie kein Empfinden hätten, was das überwältigende Grollen der Basspfeifen der Kirchenorgel andeutet. Dieses wird vom stets quirlenden Atem der höhertönigen Orgelpfeifen übertrumpft, die gegen Ende der A-Seite »Achna« himmlisch emporschweben, ehe die Bässe der Orgel wiederkehren und sanft entschlummern. Auf der B-Seite »Ascella« ist zunächst das Anschwellen-Lassen der Orgeldrones bemerkenswert und noch schöner das Hinübergleiten in verzerrte Sounddimensionen, die an die fulminant distorted Songs des Low-Spätwerks »Hey What« denken lassen. Da gibt’s Brösel, eine majestätische Klangwelt tut sich auf, als ob Schmoliner die Orgel zur Kernschmelze bringen würde. Fantastisch! Danach ein Zurück-Sliden in long sustained tones … Schmoliner, die heuer mit einem weiteren Auftragswerk für Orgel – »Nut« in der Kirche St. Gertrud für Wien Modern – aufwartete, fadet hinaus aus dem prächtigen Sounduniversum, das nicht von dieser Welt scheint und doch von dieser Welt ist. Ein selig machendes Album des Jahres!

Home / Rezensionen

Text
Alfred Pranzl

Veröffentlichung
16.12.2024

Schlagwörter

favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an den Empfänger: Verein zur Förderung von Subkultur, Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria. Vielen Dank!

Nach oben scrollen