Vielleicht sollten wir nicht gar zu pessimistisch sein. Denn möglicherweise ändert Donald Trump noch alle seine Meinungen, bevor er zum zweiten Mal das Präsidentenamt antritt. Kann doch sein, oder? Der Mann ist unvorhersehbar! Okay, damit wären wir im Tiefgeschoss des übergeschnappten Optimismus gelandet. So ist das nach einem Wahlschock. Der zweite in kurzem Abstand. Die österreichische Nationalratswahl war ähnlich, denn sie brach mit dem üblichen Prinzip des »mixed bag«. Normalerweise haben Wahlen für beide Seiten, also für die tendenziell konservativen und die tendenziell progressiven Kräfte, etwas zu bieten. Nicht so im Jahr 2024. Am Ergebnis des Wahlabends vom 5. November 2024 ist jedenfalls nichts Gutes für diejenigen zu finden, die sich wünschen würden, dass demokratische Aushandlungsprozesse zu einer Verbesserung des Lebens möglichst vieler dienen. Trump macht nicht einmal den Versuch, diesen Anschein zu wahren. Ihm geht es um etwas anderes.
Ende der Debatte?
Donald Trump wähnt sich auf einem Kreuzzug. Sein Gegner ist beispielsweise der »Deep State«, weil er nie verstanden hat oder verstehen wollte, warum es eine unabhängige Verwaltung und Rechtsprechung geben sollte. In Trumps Manichäismus gibt es nur Freunde und Feinde. Wer sich für ihn entscheidet und seine Interessen durchsetzt, ist sein »Freund« (dem gegenüber er keinerlei Liebe, Zuneigung oder Loyalität empfindet, das sind für Trump lediglich verschiedene Ausdrücke für Schwäche), wer das aber nicht tut oder eine andere Meinung vertritt, ist sein »Feind« und muss mit allen Mitteln bekämpft werden. Einer dieser Feinde ist neben den staatlichen Institutionen der Journalismus. Und zwar der Journalismus an sich. Es gibt durchaus gute, »befreundete« Journalisten aus Sicht Trumps, aber das sind Hofberichterstatter, die jedes orange Körperteil küssen, das man ihnen hinhält. Wer Fragen stellt, Gegenargumente liefert oder gar Kritik übt, wird unerbittlich bekämpft. Und weil Trump sich mehr oder minder offen mit den Medienbesitzern (sind alles Männer) verbündet hat, wird er einen machtvollen Kampf gegen die unabhängige Berichterstattung führen.
Das können die nächsten, dunklen Jahre bringen: einen Abbau staatlicher, unabhängiger Institutionen und eine immer eingeschränktere öffentliche Debatte. Hier sollten wir die Zeichen richtig deuten, Elon Musk hat Twitter nicht zu »X« umbenannt, er hat das Kommunikationsmittel durchkreuzt. Die freie Meinungsäußerung und Debatte wurden mit den zwei Linien des Kreuzes durchgestrichen und es wird jetzt nur mehr verlautbart, was dem Chef passt. Ideal für Trump, der vier Jahre im Weißen Haus und vier Jahre in Opposition Zeit hatte, sich auf seine nächste Amtszeit vorzubereiten. Wir müssen einen gehörigen Lerneffekt befürchten. Die Auswirkungen auf den Rest der Welt werden nach wenigen Stunden bereits evident – Deutschlands Regierung zerbricht. Die rechten Kräfte und ihre liberalen Helferhelfer sitzen weltweit in den Startlöchern. Es wird also Zeit, mit dem Pfeifen im Wald zu beginnen.
skug verspricht, gemeinsam mit den Kolleg*innen vom Bündnis alternativer Medien BAM! weiterzukämpfen und mit höchst beschränkten Mitteln eine unabhängige und diverse Berichterstattung aufrechtzuerhalten. Das wird nicht easy. Das Ergebnis der US-Wahlen ist nichts weniger als bedrohlich. Am Abend danach wächst sich der Schock zu einem Moment der Existenzverdichtung aus. Im dunklen Zimmer sitzend und sich alte Beatles-Platten anhörend (»I read the news today, oh boy«), kann der Gewissheit dabei zugeschaut werden, wie sie langsam ins Gebein kriecht: »Es wird die nächsten Jahre hart werden«, flüstert sie. Was wichtig wäre, vom Umweltschutz über internationale Beziehungen bis zum gesellschaftlichen Miteinander, wird derweil abgewählt. Und dann wird es weniger davon geben. Das können wir uns aber eigentlich nicht mehr leisten.
Von Brooklyn bis Berlin
In der Salon skug Radioshow während der Wahlnacht zeichnete sich das Unheil bereits ab. Sehr früh waren die hereinträufelnden Ergebnisse sehr gut für Trump. Eine Kehrtwende wurde von Minute zu Minute unwahrscheinlicher. Team skug griff zum (virtuellen) Telefon und rief in New York an. In Brooklyn erreichten wir die Sozialarbeiterin Zoey, die zwischen ihrem Tagesdienst und Nachtdienst (allein das erzählt uns etwas über die Lage in den USA) kurz Zeit hatte, mit uns zu telefonieren. Sie erzählte uns, dass es in New York keine Schlangen vor den Wahllokalen gab. Es war leider klar, dass die Demokraten, wenn, dann nur mit hoher Wahlbeteiligung gewinnen würden. Zoeys Mutter hatte im nahegelegen Swing State Pennsylvania beim Wahlkampf von Haustür zu Haustür geholfen. In den Vorgärten standen sehr viele Trump-Schilder und manche Leute sagten, sie hätten Furcht, sich zu Harris zu bekennen. Ein Gefühl der Beklommenheit müsse immer erst überwunden werden, aber es sei wichtig, dass die Menschen in ihren Gemeinden noch miteinander reden: »Education is a hard field. Educating students in America about their rights and how they can vote every day is exhausting. But being able to participate helped me feel empowered. Even having conversations with friends, figuring out how we can get to the polls and to decompress after the election is something I really appreciate.«
Wir schauten per Zoom auch auf der Wahlparty der Democrats Abroad vorbei. 300 Menschen hatten sich im Black Sheep Pub im 5. Wiener Gemeindebezirk versammelt. Zu diesem recht frühen Zeitpunkt war ihr Vorsitzender Richard Miller noch vorsichtig optimistisch. Der Vorsprung Trumps könnte von der früheren Auszählung ländlicher Regionen rühren. Aufgabe der Democrats Abroad sei es, möglichst viele Auslandsamerikaner*innen über ihre Wahlmöglichkeiten zu informieren: »The overseas vote is quite important. In 2020, they were the margin of victory in some key races. For instance, in Arizona and in Georgia, the overseas vote made the difference for Joe Biden.«
Unsere nächste Interviewpartnerin, eine jüdische US-Migrantin, die in Berlin lebt und lieber anonym bleiben möchte, gab eine wesentlich pessimistischere Einschätzung. Einerseits erwarte sie sich wenig von beiden Parteien, Trumps angebliches Eintreten für Israel komme ihr so vor, als ginge es dabei eher um die Immobiliendeals seines Schwiegersohns und bei den Demokraten wisse sie nicht, ob sie sich als Jüdin dort sicherfühlen könne. Aber vor allem sah sie die enormen administrativen Hürden. Um zu wählen, müsste sie einen Beleg für den letzten Wohnort ihrer Großeltern erbringen. Diese ganzen Erschwernisse hätten sie erfolgreich von der Wahl abgehalten.
Bring out the vote!
Die Frage der Voter Suppression gaben wir an Gabriela Greilinger, Politologin von der University of Georgia weiter. Sie hält dies für eine bedeutenden Faktor. Die letzten Jahre haben Voter ID Laws gebracht, die bedeuten, dass Wähler*innen mit einem vom Staat ausgestellten Ausweis auftauchen müssen. Wer vermögend ist, hat beispielsweise eher einen Reisepass als jemand, der unter prekären Umständen lebt. Letztere müssen sich dann mühsam eine ID ausstellen lassen. So werden gewisse Gruppen benachteiligt. Besorgniserregend sind ferner die Voter Challenge Laws. Registrierte Wähler*innen können damit das Wahlrecht anderer in Frage stellen. Sobald sie »wissen«, dass jemand anders keine Staatsbürger*in oder ein*e verurteilte*r Straftäter*in ist, können sie diese Person vor Gericht bringen. Und woran erkennt man leicht, ob jemand nicht dazu gehört? Vielleicht an der Hautfarbe? Es ist offenkundig, dass diese Challenges überproportional People of Colour treffen und nur selten weiße Wähler*innen. Das ist wohl die Intention dieses Gesetzes. Und wie entwickelt sich das Land gerade, erleben wir tatsächlich einen Endkampf zwischen Demokratie und Faschismus, wie manche meinen?
»Es geht durchaus bei der Wahl um die Verteidigung der Demokratie gegen eine autoritäre Ausrichtung. Ob das Faschismus ist, ist aber schon eine akademische Debatte. Ich weiß nicht, wie sinnvoll es ist, sich in diesem Wahlkampf mit solchen Worten zu bewerfen. Im US-Kontext wurde der Faschismus oft nicht als das größte Übel wahrgenommen, sondern der Kommunismus. Und dann kommt schnell von der anderen Seite: Aber ihr seid ja Kommunisten. Ich sehe aber, dass Donald Trump eine Gefahr für die Demokratie ist. Und das muss man auch so aussprechen. Falls Donald Trump gewinnen sollte, wird das in Europa als Signal wahrgenommen werden. Ich glaube, dass rechtsextreme Bewegungen ihn sehr genau beobachten. Und ich gehe davon aus, dass es als Bestätigung für die eigene Politik wahrgenommen wird: Das wird mehr und mehr akzeptiert. Wir haben eine Berechtigung. Das ist ein Blueprint für uns.«
Mit unserem nächsten Anruf begaben wir uns mitten hinein ins Getümmel und riefen Dr. Marilyn Sephocle an, die gerade auf dem Campus der Howard University in Washington unterwegs war. Hier wollten die Demokraten den Wahlsieg feiern. Bands spielten und die Stimmung war laut Dr. Sephocle solidarisch und gut: »Washington steht hinter Kamala Harris.« Die ersten Wahlergebnisse gefielen ihr allerdings auch nicht besonders. Dann musste sie das Interview frühzeitig abbrechen, weil sie ihre ehemalige Studentin entdeckt hatte – Kamala Harris. Die hatte bei Dr. Sephocle an der Howard University studiert und gerne hätten wir der vielgefragten Präsidentschaftskandidatin vom kleinen Radiostudio von Orange 94.0 aus noch schnell eine Frage mitgegeben, aber dafür war gerade nicht die Zeit in Washington. Nächstes Mal vielleicht.
US-Wahlnacht in Wien
Viel los war auch im Votiv-Kino. Dort moderierte Tori Reichel die sehr gut besuchte USA Wahlnacht Party, die vom Albert-Schweitzer-Haus organisiert worden war, um den politischen Diskurs anzuregen. Vorträge und Gespräche sollten möglichst viele Standpunkten beleuchten und Kontext geben: »Alle spüren, dass diese Wahl wegweisend sein wird. Und relevant für unsere Realität hier in Österreich und Europa ist.«
Last but not least schalteten wir zum bilingualen Komenský-Gymnasium, wo die Maturaklasse die Nacht durchmachte, um die Wahl zu schauen. Ihr Lehrer: »Ich kann aus Lehrer-Sicht sagen: Super, dass uns die Schule das ermöglicht hat. Das ist nicht selbstverständlich. Es freut mich sehr, dass alle, die gesund waren, auch gekommen sind und durchhalten. Wir hatten ein gutes Programm. Wir kochen, machen Kaffee. Dazwischen spielen wir eine Runde Poker.« – »Na wenn das die Schulleitung hört.« – »Was die Schulleitung nicht weiß, macht sie nicht heiß.« Wo soll sie es auch hören, im Radio? Was die jungen Leute so für Demokratie und das Mitfiebern bei einer Wahl begeistert? Ein Schüler dazu: »Diese Wahl beeinträchtigt uns alle, mit den Folgen, die sie auf die Wirtschaft und anderes haben wird. Wir hätten es auch zu Hause anschauen können. Aber ich glaube, wenn man das in einer Gemeinschaft macht, ist das etwas anderes, etwas ganz Besonderes. Außerdem ist es ein sehr cooles Erlebnis, hier in der Schule zu sein. In der Nacht in der Schule zu sein, das macht man nicht so oft.«
So, sollten wir am Ende jetzt nicht noch etwas Aufheiterndes sagen? Hmmm. Darüber, dass Amerika lieber erstmals einen Kriminellen ins Weiße Haus wählt als die erste Frau? Ehrlich gesagt, das ist jetzt gerade … Aber okay, da ist etwas: »Dialektik«. Yeah, das ist mal ein Wort, das Kraft gibt. Nein, ernsthaft, wenn die Dinge sich an einem Ende so kreuzschlecht entwickeln, dann können an einem anderen Ende neue Kräfte frei werden. Es kann mehr Bereitschaft zu Solidarität und Organisation entstehen, einfach weil mehr Menschen begreifen: »This is serious!« Hoffen wir das Beste. Die Menschen, mit denen wir in der US-Wahlnacht reden durften, haben uns zumindest Kraft gegeben und waren inspirierend. Großer Dank an alle und auch ans Team von Radio Orange 94.0, die uns ihr Radiostudio überlassen haben. Wir sehen uns wieder bei der Wiener Landtagswahl oder vielleicht sogar bei der deutschen Bundestagswahl 2025, wenn es wieder heißt: Salon skug: BAM! Wahlspecial!
Die gesamte Sendung gibt es im Cultural Broadcasting Archive zum Nachhören.