Michal Hvorecky © Martina Z. Šimkovičová
Michal Hvorecky © Martina Z. Šimkovičová

»Sie wünschen sich eine autoritäre Herrschaft in der Slowakei«

Am 25. September 2024 wurde bekannt, dass die slowakische Kulturministerin Martina Šimkovičová den Autor Michal Hvorecky strafrechtlich verfolgen lässt. Doch wer ist der Literat und Kolumnist? Wir haben Hvorecky interviewt.

Seit Oktober 2023 wird das Kulturministerium der Slowakei von Martina Šimkovičová geleitet. Die 53-jährige Funktionärin der rechtsnationalistischen Partei SNS ist alles andere als unbescholten: Die ehemalige Fernsehmoderatorin verlor ihren Job im Nachrichtensender Markiza, nachdem Sie auf Social Media rassistische Äußerungen geteilt hatte. Šimkovičová ging dazu über, einen Fake-News-Channel zu betreiben, der wiederholt Desinformation verbreitete. Sie selbst befeuerte u. a. die Chemtrails-Verschwörungstheorie. Und seit sie das Amt der Kulturministerin innehat, betreibt Šimkovičová einen regelrechten Kahlschlag an kritischen Organisationen. Eine kurze Chronologie: Im Dezember 2023 ließ das Kulturministerium mit dem Beschluss aufhorchen, die Finanzierung für Faktencheck-Kanäle und Medienbildungsprogramme einzustellen. Anfang 2024 kündigte Šimkovičová an, dass sie die Finanzierung von queeren Initiativen komplett abdrehen möchte. »Keinen Cent« werden LGBTQ-Projekte bekommen, solange sie im Amt sei. Ihr Parteivorsitzender Andrej Danko legte später nach: Sogar Filme, die Homosexualität nur darstellen, sollten keine weitere Finanzierung erhalten.

Bei bloßen Fantasien ist es nicht geblieben: Im Februar 2024 kündigte das slowakische Kulturministerium an, eine der größten Kulturinstitutionen des Landes, die Kunsthalle Bratislava, komplett dichtzumachen. Einen Monat später wurde alle Angestellten gefeuert. Im März entließ Šimkovičová unerwartet die Leiterin der Kindergalerie Bibiana. Wen installierte sie am Tag darauf zur Nachfolgerin? Ihre eigene Nachbarin. Weiters ging sie dazu über, den slowakischen Kulturförderfond, das wichtigste kulturpolitische Förderorgan des Landes, zu restrukturieren. Anfang Juni gelangte die zuvor unabhängige Institution in die Hände des Kulturministeriums. Damit nicht genug: Auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ließ das Kulturministerium komplett umbauen. Am 30. Juni wurde er per Gesetz aufgelöst und durch einen staatsnahen Sender ersetzt. Das Kulturministerium scheint den gesetzlich möglichen Spielraum komplett auszunutzen: Im August entließ Šimkovičová den Direktor des slowakischen Nationaltheaters sowie die Leiterin der Nationalgalerie per Dekret. Ohne vorherige Gespräche und ohne Begründung.

Šimkovičová scheint nun dazu überzugehen, sich Kritiker*innen direkt vorzunehmen. So den slowakischen Autor Michal Hvorecky. Der Leiter der Bibliothek des Goethe-Instituts Bratislava veröffentlicht seit Jahren Romane und Kinderbücher. Hvorecky kommentiert außerdem das (kultur-)politische Geschehen der Slowakei in diversen Medien – da er perfekt Deutsch spricht u. a. auch für »Die Zeit« oder auf »3-sat«. Der Kulturministerin ist er ein Dorn im Auge. Am 25. September 2024 berichtete das Nachrichtenportal »Denník N«, dass Šimkovičová eine Strafanzeige wegen Verleumdung erstattet habe. Hvorecky hatte sie vor elf Monaten in einem Artikel als »Neofaschistin« bezeichnet. Sollten Gerichte den Strafbestand erfüllt sehen, droht Hvorecky eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. In einem Facebook-Posting vom 25. September 2024 ließ Hvorecky verlauten, dass er weiterhin zu seiner Aussage stehe: »Ich habe diesen Text vor fast einem Jahr geschrieben. Nach elf Monaten sehe ich keinen Grund, etwas daran zu ändern. Selbst meine schlimmsten Erwartungen wurden um ein Vielfaches übertroffen.« Doch wer ist der Autor? Anfang Juli habe ich im Zuge einer kooperativen Recherche zur Medien- und Kulturpolitik der Slowakei Hvorecky zu seiner Arbeit interviewt. Mit seiner Einwilligung veröffentlichen wir nun das gesamte Gespräch.

skug: Wie bist du zu der Doppelrolle gekommen, einerseits als Journalist, andererseits als Autor zu arbeiten?

Michal Hvorecky: Ich sehe mich selbst nicht als klassischen Journalisten. Ich schreibe zwar seit fast zwei Jahrzehnten für Zeitungen. Ich bin aber eher ein Kolumnist oder ein Publizist, der regelmäßig auch kurze Texte schreibt. Vor allem über Kultur, über die Gesellschaft, manchmal über Kulturpolitik. Ich habe hauptsächlich als literarischer Autor angefangen, deswegen wurde ich von einigen Medien immer wieder angesprochen, was beizutragen. Das mache ich sehr gerne. Ich glaube, in der Slowakei kennen mich die meisten Leser*innen hauptsächlich tatsächlich über journalistische Texte, wie zum Beispiel in »Denník N« oder früher in »SME«. Die haben große Reichweite in der kleinen Slowakei. Ich habe zum Beispiel eine unregelmäßige Kolumne über das Gelesene, also über Bücher und Autor*innen. Und ich habe eine monatliche Kolumne in »Denník N«, die gesellschaftspolitisch, kulturpolitisch orientiert ist. Ich schreibe literarische Bücher, Erzählungen, Romane – und inzwischen habe ich ein paar Kinderbücher veröffentlicht. Einiges wurde ins Deutsche und andere Sprachen übersetzt. Aber meine erste Sprache bleibt Slowakisch. Das ist meine Muttersprache. Ich bin hier in Bratislava geboren und aufgewachsen.

Du hast 2009 erwähnt, dass du als erster junger slowakischer Autor ins Deutsche überbesetzt worden bist und deshalb eine »Repräsentationsfunktion« innehattest. Hast du diesen Eindruck noch immer? Wie hat sich das entwickelt?

Wahrscheinlich habe ich das damals ein bisschen selbstironisch gemeint. Ich fand diese repräsentative Rolle immer ein bisschen absurd. Denn ich kann ja keine slowakische Literatur oder Kultur repräsentieren oder verkörpern. Ich bin immer nur für mich selbst verantwortlich. Aber im deutschsprachigen Kontext musste ich tatsächlich sehr oft Einführungen machen: woher ich komme, warum ich nicht Tschechisch spreche, aus welchem Kontext mein Schreiben stammt und wie ich mich in dieser Region sehe. Es war oft schwierig für das Publikum, zu verstehen, was jetzt eigentlich der Unterschied zwischen Slowenisch, Slowakisch und Slawisch ist. Ich bin inzwischen schon daran gewöhnt: Ich muss noch immer bei einigen Veranstaltungen am Anfang ein paar Hintergrundinformationen erklären. Na ja, bei einem so kleinen Staat wie der Slowakei kann man das vielleicht noch verstehen. Schlimmer ist es, wenn so ein riesiges Land wie die Ukraine übersehen wird.

Du organisierst – gemeinsam mit Anna Siedykh – in Bratislava einen Buchclub zu ukrainischer Literatur. Magst du davon erzählen?

Ich habe die ukrainische Literatur und Kultur erst über die deutsche Sprache entdeckt. Ich habe Autoren wie Jurij Andruchovyč, Serhij Zhadan oder Andrij Bondar über ihre westeuropäischen Kontakte und Übersetzungen kennengelernt. Schon vor vielen Jahren habe ich verstanden: Da ist ein Schatz versteckt. Der ist viel zu wenig bekannt. Ich war vor dem Krieg mehrmals selbst in der Ukraine – und war immer begeistert von diesen Besuchen. Vor allem hat mich die ukrainische Kultur und die geschriebene Literatur sehr interessiert. Schon 2014 habe ich verstanden, dass sich hier etwas fundamental verändert hat mit dem russischen Krieg. Und ich habe mich immer mehr vertieft in diese Situation, historisch, kulturell, gesellschaftlich. Seit zweieinhalb Jahren hat die Slowakei auch eine große ukrainische Diaspora. Gemeinsam mit Anna kam mir der Gedanke, wir müssen bottom-up, von unten, versuchen, auf so vielen Ebenen wie möglich diesen Menschen näherzukommen. Inhalte anbieten, die spannend sind und die wenig kosten. Die man von sich selbst aus veranstalten kann – ohne große Förderung. Inzwischen haben wir vielleicht zwölf ukrainische Bücher gelesen, viele neue Bekanntschaften gemacht und Kontakte geknüpft. Es ist für mich eine unglaubliche Bereicherung. Es macht viel Spaß, echte Freundschaften sind entstanden. Das ist mein erster Buchclub. Ich kann es jedem nur empfehlen. Ich glaube, was ich mache, das passt alles irgendwie zusammen. Mein Leben dreht sich um das Bücherschreiben, Übersetzungen, Vermitteln. Ich vermittle sehr gerne. Ich bin ein Brückenbauer.

Siehst du in deiner Auseinandersetzung mit der ukrainischen Literatur auch eine Auseinandersetzung mit slowakischer Literatur und dem Selbstverständnis von Slowak*innen? Beides scheint damit zu tun haben, historisch-geografische Räume, die politisch relativ jung sind, mit den Mitteln der Literatur zu suchen und zu befragen. Und möglicherweise an andere kulturelle Räume zu vermitteln.

2018 haben wir zum 100. Jubiläum der Gründung der Tschechoslowakei gedacht. Ich war zuvor mit einer kleinen Delegation aus dem Kulturbereich in Kyiv. Ich kam zurück. Und habe überall erzählt, die Ukraine hat uns überholt. Die Ukraine ist viel europäischer als die Slowakei. Viel westlicher und viel offener. Das wollte keiner glauben. Weil der*die Durchschnittsslowak*in hat die Tendenz, den östlichen Nachbarn tatsächlich zu unterschätzen. Wir wissen viel zu wenig über die Ukraine, über ihre Kinematografie, Literatur, Theaterszene, Geschichte allgemein. Das ändert sich langsam. Aber ich hatte auch gehofft, dass mit dem Ausbruch des großen russischen Krieges das öffentlich-rechtliche Fernsehen und Radio vielleicht versuchen würde, deutlich mehr ukrainische Inhalte zu verbreiten und ein bisschen die Bevölkerung aufzuklären. Was ist da an unserer östlichen Grenze los? Und warum? Das ist leider nicht der Fall gewesen. Deswegen muss man so viel wie möglich selbst gestalten. Es gibt immer mehr Übersetzungen, es gibt immer mehr Veranstaltungen, Debatten. Schritt für Schritt entwickelt sich das als Gegenspiel zu der »Kriegsmüdigkeit«, wie man das so nennt. Ich glaube, wir müssen schon viel nachholen. Auch weil die Karpatska Ukrajina zur Tschechoslowakei gehörte. [Anm.: Der auch als Transkarpatien bekannte Oblast der Ukraine war von 1918–1938 Teil der ČSR.] Die Regionen waren lange eng verknüpft. Wir haben viel gemeinsame Geschichte. Es gibt eine gemeinsame Tradition: Daran sollen wir unbedingt anknüpfen.

Vielleicht ist es auch ein Stichwort, um die Brücke zur aktuellen politischen Situation zu schlagen. Ich habe ein E-Mail-Gespräch mit Johannes Hoflehner von 2009 auf deinem Blog gefunden. Ich möchte das kurz vorlesen: » Ich glaube mein Land, wie viele europäische Länder auch, leidet an historischer Sklerose, die hier aber besonders gefährliche Nebenwirkungen hat. Zum Beispiel behauptet unser Premierminister Robert Fico, er habe die Wende gar nicht gemerkt, so was passierte seiner Meinung nach überhaupt nicht!« Hier scheint es eine längere Geschichte an Geschichtsvergessenheit zu geben. 15 Jahre später ist Robert Fico wieder im Amt. Würdest du deine Einschätzung aufrechterhalten? Siehst du Brüche dazu?

Offensichtlich hat sich Robert Fico nicht sehr geändert. Ich glaube, er sieht das genauso immer noch. Das ist sehr typisch für diese Rechtspopulisten, die wichtigsten Daten – 1989, Wendejahr, Mauerfall, bei uns die Samtene Revolution – gar nicht zu bemerken. Fico war damals ein junger kommunistischer Apparatschik. 35 Jahre später ist er an der Staatsspitze, das vierte Mal schon an der Regierung. Und immer radikaler. Und immer tiefer wird, glaube ich, diese historische Vergessenheit. Ich würde das heute nicht mehr Sklerose, sondern eine Art Amnesie nennen. Vor allem die fehlende Aufarbeitung der zwei Diktaturen prägt unser Land noch immer – einerseits der Nazi-Diktatur oder bei uns vielleicht auch der klerikal-faschistischen Diktatur, andererseits der stalinistischen Diktatur. Diese Amnesie führt dazu, dass ein Land, das 1968 von den Armeen des Warschauer Paktes okkupiert wurde, jetzt zur Verharmlosung dieser sowjetischen Gewalt und der kolonialen Geschichte der Sowjetunion tendiert. Wir haben so ein bisschen unsere Chance verpasst. Länder wie die Baltischen Staaten, aber auch Polen, größtenteils auch Tschechien, sind uns mehrere Schritte voraus. In der Geschichtsschreibung, im öffentlichen Diskurs, wird zum Beispiel sehr kritisch eigene Mittäterschaft thematisiert. Die Slowakei liebt es, sich als Opfer der Geschichte zu stilisieren. Also nicht als ein Land, das auch Mitverantwortung trägt, etwa am Holocaust.

Hättest du ein Beispiel dafür, wie sich diese Amnesie, diese nicht durchgeführte Aufarbeitung, auf die konkrete politische Situation auswirkt?

Ein Paradebeispiel ist die wahrscheinliche Ernennung eines ehemaligen STB – das ist unsere Stasi. Ein gewisser Joszef Banas soll jetzt der neue Beauftragte für Kultur und Medien unter dem gewählten Präsidenten Peter Pellegrini werden. Banas hatte unter drei Decknamen Menschen bespitzelt, vor allem aus der Kulturszene [Anm.: u. a. auch Paul Lendvai, den ehem. Leiter der Osteuropa-Redaktion des ORF]. Und ihm ist nichts passiert. Er hat eine erfolgreiche Nachwendekarriere. Heute bespielt er Desinformationskanäle in sozialen Netzwerken. Er ist ein großer Star dieser pro-russischen Szene. Hier werden oft Täter und Opfer vertauscht. Banas selbst sieht sich als Opfer liberaler Medien, die ihn kritisieren, und bezweifelt wissenschaftliche, historische Arbeit von allen, die über seine Akten geforscht haben. Und wird jetzt auch eine, glaube ich, ziemlich wichtige Position im Staat bekommen können. Es ist noch nicht definitiv bestätigt. [Anm.: Joszef Banas hat Anfang August 2024 ein Angebot Pellegrinis abgelehnt.] Und solche Beispiele gibt es zahlreiche. Das ist etwas, was in vielen westlichen Ländern, auch in Ostdeutschland, nicht mehr möglich ist. Wenn man das mit Sascha Anderson, einem DDR-Autor, der Stasi-Mitarbeiter war, vergleicht: Der ist seit 30 Jahren persona non grata. Bei uns kann man im vollen Glanz weiter Karriere machen.

Also die fehlende Aufarbeitung dient auch dazu, personelle Kontinuität sicherzustellen?

Absolut, genau. Aber es hat auch mit strukturellen Problemen zu tun. Mit dem, was Kinder in den Schulen lernen, mit Geschichtsschreibung. Es gibt Historikerstreits ohne Ende. Zum Beispiel zum Thema »alte Slowaken«. Robert Fico kam mit diesem erfundenen Begriff »alte Slowaken aus dem 9. und 10. Jahrhundert«. Dafür gibt es keine historischen Beweise. Man kann von »alten Slaven« sprechen und von dem großmährischen Reich. Aber hier wird erfundene Geschichte verbreitet. Es ist eine Art geschichtlicher Propaganda, wo die Vergangenheit zur Ideologie wird.

Wie siehst du dieser Situation gegenüber die Aufgaben und Chancen von Literatur?

Das ist eine der wichtigen Aufgaben der Literatur, sich mit der Geschichte der Community, des Staates, des Volkes, der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Das machen auch viele Kolleg*innen hier. Es ist dringend notwendig, weil wir sehen, die Geschichte kann in diesem Teil der Welt zu einem Schlachtfeld werden. Beim Krieg in der Ukraine geht es auch um falsche Narrative, um diese große Lüge: »Es gibt keine Ukraine.« Ähnlich Orbáns Ungarn: Hier dreht sich viel um den Mythos Trianon. [Anm.: Der Vertrag von Trianon legte 1920, analog zum Vertrag von Saint-Germain, die Grenzen des Nationalstaats Ungarns fest.] Es wird behauptet, Ungarn sei das größte Opfer der modernen europäischen Geschichte und alles müsse neu geschrieben werden. Es ist gar nicht klar wie. Wörtlich? Mit Gewalt? Nur mit Grenzverschiebung? Oder reicht irgendwie Kulturarbeit? Das sind sehr gefährliche Tendenzen. Gewalt beginnt immer in der Sprache.

Du hast gerade den Begriff Schlachtfeld verwendet. Inwieweit werden diese Kämpfe auch innerhalb der literarischen Szene der Slowakei ausgetragen? Also von Schriftstellerinnen, die sich an dieser nationalen Mythologie beteiligen?

Wenn wir über die Spaltung der Slowakei sprechen, bedeutet das nicht nur: wir und die anderen. Nicht die Fico-Wähler*innen und die liberalen Wähler*innen. Nicht Stadt und Land. Tatsächlich sind die unterschiedlichen Gesellschaften in der Slowakei auch intern tief gespalten. Auch die kulturelle Szene. Es ist auch gut so, dass es keine einheitliche Struktur gibt, sondern alles sehr bunt und vielfältig ist. Aber es gibt auch tiefe antidemokratische Tendenzen, das muss man zugeben. Fehlende Aufarbeitung, das betrifft gerade die Kulturschaffenden. Wir hatten eine sehr große und erfolgreiche Petition für den Aufruf zum Rücktritt der Kulturministerin Martina Šimkovičová. Es gab sofort eine Gegenpetition, unterzeichnet von, ich glaube, tausend Bürger*innen. Davon waren ca. vierhundert aus einem rechten literarischen Verein, der nationalistisch agiert und sich Repräsentant einer völkischen, »wahren« Literatur versteht, die der Regierung sehr nahe steht. Wir hatten immer viele, die kollaborieren. Aber es hat sich dramatisch entwickelt. Es gibt aktuell viele Kolleg*innen, die intensiv mitmachen, auch bei Verbreitung von pro-russischer Propaganda. Sie publizieren auf unterschiedlichen Fake-News-Kanälen. Ich habe auf diese Weise Freund*innen verloren. Ich kann mit denen gar nicht mehr reden, weil ich vermute, sie wünschen sich eine autoritäre Herrschaft in der Slowakei. Leider ist das nicht nur ein lokales Problem, sondern tatsächlich ein globales. Auch ältere Demokratien kämpfen darum, wie wehrhaft sie eigentlich sind. Wie wehrhaft ist unsere Demokratie? Das beschäftigt uns hier gerade sehr intensiv.

Von Regierungsseite gibt es gerade starke Änderungen bezüglich der Finanzierungsmöglichkeiten für unabhängige Kulturarbeit auf nationalstaatliche Ebene. Mir ist noch unklar, wie weitreichend diese Änderungen sind. Es werden ja nicht alle Finanzierungsmöglichkeiten auf nationalstaatlicher Ebene sein, sondern auch über Städte laufen …

Das System der Slowakei ist ein bisschen anders als in Österreich. Bei uns gibt es viele kulturelle Institutionen, hauptsächlich große Theater, große Bibliotheken, große Galerien, die von der Slowakischen Republik direkt betreut werden. Es gibt zum Beispiel die drei größten Bibliotheken, das Nationaltheater und Ähnliches, die direkt vom Kulturministerium verwaltet werden. Aber neben diesen großen Häusern gibt es eine sehr lebendige, bunte, sozusagen ungesteuerte Szene. Die als NGOs, kleine Vereine, unabhängige Gesellschaften oder sogar Privatfirmen und Ähnliches organisiert sind. Jahrzehntelang hat man überlegt, wie könnte man diese nicht-staatliche Kultur demokratisch transparent mit öffentlichen Mitteln fördern und stärken. Weil man gesehen hat: Das hilft der Zivilgesellschaft, macht die Gesellschaft bunter, und bringt tolle Inhalte. Vor allem in den Regionen gibt es dann deutlich mehr Angebot. Und nach jahrzehntelangen Debatten hat man den Fond na podporu umenia (FPU) gegründet, den Kulturförderungsfond. Seit sechs, sieben Jahren vergibt er jährlich 20 Millionen Euro. Was auch jetzt keine besondere Summe ist, aber auch nicht wenig. Man kann sich bewerben mit Projekten. Es kann eine literarische Übersetzung sein, es kann ein Romanprojekt sein, es kann ein Theaterstück sein, eine neue Inszenierung oder eine Ausstellung. Oft geht es um ein paar tausend Euro. Es waren keine große Fördersummen. Aber es war eine Erfolgsgeschichte der Kulturszene der letzten Jahre und wurde oft in Nachbarländern als ein Best-Practice-Beispiel präsentiert für eine transparente Kulturförderung im 21. Jahrhundert. Und das ist leider der neuen Regierung ein Dorn im Auge. Es wird nicht politisch entschieden. Es gibt keine Message-Kontrolle von der Seite der Dreierkoalition. Sondern es wird von den professionellen Jurys entschieden. Diese setzten sich nach den jeweiligen Kunstarten zusammen, also Literatur, visuelle Kunst, Theater. Stattdessen kommt deutlich stärkere politische Einflussnahme über die ganzen Entscheidungsprozesse. Die Jurys werden nicht mehr abstimmen und entscheiden, sondern nur beraten. Und das ist ein grundsätzlicher Unterschied. Das ist Rückschritt von einem Jahrzehnt. Es droht ernsthaft, dass diese inoffizielle Kultur im Stich gelassen wird. Und das wäre ein großer Fehler für die demokratische Slowakei.

Eine kurze Abschlussfrage. Gibt es etwas, wo du dir denkst: Das haben wir jetzt nicht behandelt? Da hätte ich gerne, dass das mehr Leute wissen würden – über die aktuelle Situation in der Slowakei, über die mediale Berichterstattung, über Literaturen?

Es ist gut, dass wir uns jetzt gegenseitig deutlich mehr informieren, darüber, was in Österreich und was in der Slowakei passiert. Trotz allen Unterschieden sieht man sehr ähnliche Tendenzen. Schon während der Pandemie gab es ähnliche Reaktionen auf Maßnahmen, ähnliche Demonstrationen, ähnliche Narrative. Es gibt auch viele Strategien der Neuen Rechten, die tatsächlich ähnlich agieren und neue Koalitionen suchen, gerade zwischen Ost- und West-Europa. Das heißt, diese Gefahr wird jetzt international, nicht nur national. Und wir müssen uns, glaube ich, gegenseitig besser kennenlernen, vielleicht mehr übersetzen. Und deswegen freue ich mich, wenn es Interesse aus Wien an Bratislava gibt. Ich glaube, das sollten wir intensivieren.

Von Michal Hvorecky erschien im Deutschen zuletzt der Roman »Tahiti Utopia« bei Klett-Cotta. Hier könnt ihr für die Hvorecky mitbegründete Plattform »Otvorená kultúra« (Offene Kultur) spenden.

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