»haunted Landscape/s« ist das neue Projekt von Performance-Künstlerin Clauda Bosse © Markus Gradwohl
»haunted Landscape/s« ist das neue Projekt von Performance-Künstlerin Clauda Bosse © Markus Gradwohl

Landschaftliche Unheime

»haunted landscape/s« ist eine mehrformatige Performance-Serie von Claudia Bosse auf und mit verschiedenen verwundeten Landschaften, die Weltpremiere im Mai 2024 ist eine Beschwörung auf dem Baufeld Aspern.

Der blaue Planet, eine (noch eher) grüne, pflanzendurchsetzte Welt, verbunden durch ein vernetztes Reich an Pilzen und belebt durch unzählige, aber zunehmend verschwindende, irdische Wesen, wird vor allem von einer umweltverändernden Spezies massiv deformiert: Der Mensch und seine Maschinen hinterlassen Generation für Generation verwundete Landschaften und sichtbare Spuren seiner Zu- und Übergriffe. Er überbaut, er untergräbt, er verändert und lässt durch seine Heimsuchungen verwundete Landschaften zurück. Eine neue Performance-Reihe von Claudia Bosse, eine Produktion ihres theatercombinats, spürt dem Ortsgeist, dem genius loci, dieser haunted landscapes – beginnend in der Seestadt Aspern – nach. skug hat sie zu einem Interview in ihrem unterirdischen Versuchslabor für experimentelles Theater, im Souterrain-Atelier in der Mommsengasse getroffen.

skug: Die toxische Menschlichkeit, unter anderem manifestiert in Form des durch massiven Extraktivismus gekennzeichneten Neoliberalismus, hinterlässt weltweit unauslöschbare Schichten unter, in und auf der Erdoberfläche. Was interessiert oder fasziniert dich an diesen zerstörten, verletzten, verwundeten, vom Menschen »heimgesuchten« Landschaften – im Englischen auch als haunted landscapes bezeichnet?

Claudia Bosse: Es gab schon immer eine – auch biografisch bedingte – Hinwendung zu diesen »heimgesuchten« Landschaften. Unsere Umgebungen ändern sich ständig und ich finde es wichtig, das Wissen, das in Landschaften vorhanden ist, aufzusuchen und sich mit den Schichten und Geschichten auseinanderzusetzen. Jeder Ort trägt viele verschiedene Landschaften in sich und die Veränderungen bleiben über die Zeit hinweg ja noch spürbar und in Spuren sichtbar. Erinnerungen sind am Leben und nicht nur begraben … Wissen wird in Materie eingeschrieben, jeder Schritt und jeder Vorgang hat Konsequenzen und zeichnet sich ein in ein Gesamtgefüge, das wir wiederum permanent verändern. Daher sollten wir tunlichst bemüht sein, die ökologischen Gleichgewichte aufrecht zu halten. (Anm.: ein Begriff aus der Umweltforschung, das »Shifting Baseline Syndrom«, bezeichnet kollektive Wahrnehmungsverschiebungen durch Neugestaltungen oder Zerstörungen und eine dadurch eingeschränkte Wahrnehmung von Wandel.) Die neue Serie »haunted landscape/s« hat sich daraus entwickelt, dass sich meine Arbeiten in den letzten Jahren noch mehr in die Landschaft »hinausbewegt« haben. Spuren und Sedimente von Gewesenem haben mich immer schon interessiert, sowie die Suche oder besser die Versuche, Neues darin zu entwerfen. Die Geschichte des Ortes sollte allerdings nicht einfach ausgelöscht werden. Vielmehr kollaboriere ich mit meinen Arbeiten mit ihr, um Mögliches zu erfinden. Die Publikation »Arts of Living on a Damaged Planet«, herausgegeben von Anna Tsing, Heather Swanson, Elaine Gan und Nils Eubandt, enthält einen einleitenden Artikel mit dem Titel »Haunted landscapes of the Anthroposcene«, der mich mit seinen Fragestellungen sehr inspirierte.

© Markus Gradwohl

Du hast die biografisch bedingte Hinwendung erwähnt. Kannst du kurz die haunted landscape beschreiben, in der du aufgewachsen bist?

Salzgitter-Bad ist gezeichnet durch den Erz- und Salzabbau. Es hat auch eine finstere Geschichte im Nationalsozialismus. (Anm.: Es gab ein Konzentrationslager, in dem im Schnitt um die 500 Frauen inhaftiert waren, die in der Rüstungsindustrie zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden.) Während des Zweiten Weltkrieges wurden Waffen produziert, da es ein Erzvorkommen mit hohem Schlackenanteil gab. Auch hatte sich 1938 in der Nähe das Volkswagen-Werk angesiedelt. Nach dem Mauerbau war es ein Zonenrandgebiet zur DDR. Jetzt im Moment erlebt es eine große Abwanderungsphase. Viele der Schächte werden zu Atommülllagern ausgebaut. Paradigmatisch spiegelt sich hier in dieser Vor-Harz-Landschaft die Geschichte Deutschlands. Man liest ja immer wieder von diesem Baumsterben im Harzwald, wo die Bäume umfallen wie riesige Mikado-Stäbe. Letzten Sommer habe ich den Harz besucht und bin durchgefahren. Man stellt fest, dass die Mischwälder intakt sind, aber die aufgeforsteten, monokulturellen Wälder – es gab nach dem Zweiten Weltkrieg riesige Abholzungen, diese sogenannten Reparationshiebe waren Reparationszahlungen an die Engländer, die an Holzarmut litten – wurden von Stürmen umgehauen. Dieses Waldsterben ist also sozusagen eine Kriegsfolge. Auf dem 50-Pfenning-Stück wurden diese späteren Nachpflanzungen durch eine pflanzende Frau symbolisiert – es handelt sich bei der Jungpflanze auf der Münze um eine Eiche. Aber diese Plantagenwälder, die im Sinne eines Neuaufbaus von Deutschland als schnelle, flachwurzelige Erträge gepflanzt wurden, sind einfach nicht langanhaltend und nachhaltig.

Die kriegerischen Inhalte der griechischen Mythologie suchen auch dein Stück in der Seestadt in Wien heim. Diesmal spielt Demeter in der Beschwörungs-Performance »haunted landscape/s« eine erdende Rolle.

Letztes Jahr wurde ich zum Unterrichten nach Elefsina, das ist in Griechenland, in der Nähe von Athen, eingeladen. Dieser Ort war 2023 Europäische Kulturhauptstadt und auch dort gibt es ganz merkwürdige geschichtliche Überlagerungen. Auf der einen Seite ist es eine Industriestätte, es gibt dort die Titan-Zementwerke und auf der anderen Seite auch einen der größten Schiffsfriedhöfe Europas. Alte Öltanker verrotten im Meer in der Nähe des Ortes, an dem der Tragödiendichter Aischylos geboren wurde. 480 v. Chr. gab es dort die Seeschlacht von Salamis zwischen den Persern und den Griechen, die Aischylos in seinem Stück »Die Perser« bearbeitet. Es ist ein antiker Ort, und dort befindet sich auch eine antike Stätte, wo Persephone wieder aus dem Hades aufstieg, nachdem Demeter, die Göttin des Ackerbaus, den Raub ihrer Tochter durch die Verödung der Erde rächte. Diese mythologischen und historischen Überlagerungen mit ihren zeitgeschichtlichen Einschreibungen in Elefsina, das Eleusis der Mysterien, das sich mit einer aktuellen Industriegeschichte verknüpft, helfen mir im weitesten Sinne beim Begreifen unseres Umgangs mit Umgebungen. Ich verlagere den Mythos an einen von einem From-Scratch-Urbanismus geprägten, unheimlichen Ort wie die Seestadt Aspern. Denn diese schöne Seestadt Aspern mit all ihren wundervollerweise nach Frauen benannten Plätzen und Straßen befindet sich auf einem ehemaligen Napoleonisch-österreichischen Schlachtfeld, auf dem vor über zweihundert Jahren über 7.000 Leichen – Menschen wie auch ihre Pferde – verwesten.

© Markus Gradwohl

Traumatische Transformationen von Landschaften verursachen Verwundungen, die unterschiedlich schnell oder nie wieder verheilen. Aber hilft uns das ewige Rekurrieren auf Geschichten von kriegerischen Gesellschaften, wenn diese auch unsere Sprache und damit unsere Sprechakte prägen? Oder anders gefragt: Wie kommen wir da überlebend raus?

Jede Landschaft ist gestaltet und überformt von unterschiedlichsten Faktoren. Denn wir haben uns bereits überall eingeschrieben. Wofür benötigen wir die Illusion eines Ursprungs? Es lässt sich nicht immer alles in Worte übersetzen. Über Worte prägen wir unsere Vorstellungen, aber es gibt auch Wissen über Zeitlichkeiten, das wir erfahren und aufrufen können, wenn wir uns lange genug an einem Ort aufhalten oder uns lange genug mit einer Sache beschäftigen. In der Seestadt Aspern schätze ich diese fantastische Weite der Landschaft, diese riesigen Baufelder mit den Kränen, die entfernt wahrnehmbaren Berge des Wiener Beckens. Diese seltsame Kulturlandschaft des Noch-Nicht-Bebauten, die früher einmal eine Auenlandschaft, ein Schlachtfeld oder auch der größte europäische Flughafen war. Wir müssen mit gewissen Anwesenheiten umgehen lernen, auch wenn sie wie die unzähligen Soldaten übereinander fünfzig Zentimeter unter der Erde vor vielen Jahren eingescharrt wurden. Geister haben einen Ort, sind in ihrer Spezifik einem Ort angelagert. Die Bezeugung einer Landschaft geht weit über viele Menschenleben hinaus. Ich möchte neue Anwesenheiten, gegenwärtige Mythologien in diese Landschaft setzen. 

Dich beschäftigen thematisch Vulkane als sehr mächtige – auch atmosphärisch – gestaltende Faktoren der Erdoberfläche.

Neben unserem Eingreifen in die Zusammenhänge, in die Materie der Atmosphäre. Es gibt aber auch das Werden unseres Planeten. Er bestand ursprünglich einmal aus einem Kontinent und wird in rund 250 Millionen Jahren wieder zu einem Kontinent werden, wenn sich die einzelnen Kontinentalplatten wieder zusammenschieben. Auch das, was wir als dauerhaft annehmen, ist in Bewegung. Resultate dieser Bewegungen im Erdinneren sind Ausstülpungen in Form von Vulkanen. Diese verändern Landschaften, aber auch ganz global das Klima. Gemeinsam mit Günther Auer und dem Künstler Irwan Ahmett – der auch als Performer Teil von »haunted landscape/s« sein wird – konnte ich den Vulkan Krakatau in Indonesien besuchen. Dieser Vulkan hat im Jahr 1883 durch seinen Ausbruch das planetarische System und das Klima für mehrere Jahre stark verändert.

© Markus Gradwohl

Kommen wir zu den Textvorlagen. Wir haben schon über den mythologischen Protest von Demeter gesprochen, die die Erde veröden lässt. Der Text von Heiner Müller, den ich in Form einer Bearbeitung durch slowenische Musikgruppe Laibach das erste Mal für mich entdeckt habe, erschreckt mich ob seiner unglaublichen Sogwirkung. Welche Texte wirst du noch für »haunted landscape/s« verwenden?

Einerseits habe ich auf unseren Recherche-Reisen viel fotografiert und aufgezeichnet und dieses Material wird auch zum Teil in die aktuelle Arbeit einfließen als Objekte und Projektionen, anderseits habe ich auch versucht, meine Beobachtungen, Verhältnisse und Fragen zur Landschaft aufzuschreiben. Das Dramaturgieteam besteht aus Adam Czirak und Krassimira Kruschkova. Als ich mit Krassimira Kruschkova über die ausgewählten Texte diskutierte, hat sie »Herakles 2 oder die Hydra« von Heiner Müller als weitere Textgrundlage vorgeschlagen, die eine großartige Ergänzung zu meinen Texten darstellt. Der kurze Text beschreibt einen Körper, der sich in der Schlacht oder im Krieg oder im Konflikt mit der Umgebung befindet und erfasst unglaublich gut die starke körperliche Veränderung.

Günther Auer wird Live-Sounds generieren, der indonesische Künstler Irwan Ahmett ist auch involviert. Wer ist sonst noch bei der Seestadt-Premiere von »haunted landscape/s« mit dabei?

Einerseits gibt es die drei Tänzerinnen Anna Biczok, Lena Schattenberg und Carla Rihl. Irvan Ahmett und ich werden ebenfalls performen. Günther Auer wird im und mit dem Feld komponieren. Von den zwei Bewegungschören ist ein Bewegungschor eine Kooperation mit der Einrichtung Jugend am Werk Am Seebogen und ihren höchst diversen Kund*innen und Betreuer*innen. Der zweite Bewegungschor setzt sich aus Frauen im Alter zwischen Anfang 20 und Ende 70 des Langzeitprojekts der Public Performance School zusammen. Julia Zastava wird sich um die Bekleidung kümmern. Insgesamt sind über 30 Menschen an diesem Projekt beteiligt, das momentan aus einem großen Puzzle mit sehr vielen Teilen besteht, und andere wie Larry Mey, Magdalena Knor und Dila Kirmizitoprak sowie Kooperationen mitermöglichen erst diese Aufführung in dieser Dimension, die versucht, sich den Herausforderungen unserer Zeit ästhetisch, aber auch politisch zu stellen.

Zu sehen ist »haunted landscape/s« von Claudia Bosse im Mai 2024 in den Seestadt Studios, Am-Ostrom-Park 11, 1220 Wien, Termine & Tickets hier.

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