Juliet Fraser & Mark Knoop © Dimitri Djuric
Juliet Fraser & Mark Knoop © Dimitri Djuric

Furiose Stimmen wider patriarchale Gewalt und Krieg

Das aspekte Festival für Musik unserer Zeit wird von 6. bis 10. März 2024 in Salzburg für denkwürdige Konzerte sorgen. Ein Interview mit Intendant Ludwig Nussbichler über das Motto »Stimmen« und zentrale Werke wie Hossam Mahmouds »Stabat Mater Furiosa« oder Oyvind Torvunds »Plans for Future Operas«.

Die Ausdrucksstärke der menschlichen Stimme ist Leitthema der aspekte 2024. Dass männerdominierte parasitäre Eliten vermehrt das Feld konstruktiver Verträge verlassen und politische Gewalt allgegenwärtiger wird, ist in die Programmierung eingeflossen. Beispielsweise mit »Woher schwarzer Tross …« von Karmella Tsepkolenko/Serhij Zhadan für das Ensemble REIHE Zykan+ & Adrian Eröd, oder Hossam Mahmouds Oper »Stabat Mater Furiosa« mit Sopranistin Jenifer Lary. Ein E-Mail-Interview mit dem künstlerischen Leiter Ludwig Nussbichler gewährt Einblick in den bevorstehenden Konzertreigen.

skug: Stimmen stehen im Mittelpunkt des diesjährigen aspekte Festivals. Die bedrohliche aktuelle Weltlage kann sicherlich auch instrumental gut nachempfunden werden, doch sind vokale Aussagen eher welterklärend. Was hat letztlich den Ausschlag gegeben, das Motto »Stimmen« zu wählen? 

Ludwig Nussbichler: Der Ausgangspunkt für die Programmlinien des diesjährigen Festivals war die Oper »Stabat Mater Furiosa« von Hossam Mahmoud und damit verbunden die Wahl des Titels »stimmen« (klein geschrieben), im Sinne von Stimmen, hier insbesondere Frauenstimmen, solistisch und im Chor, aber auch in seiner Mehrdeutigkeit im Sinne von »Stimmung«, »Mood« und nicht zuletzt Mikrotonalität. Für mich persönlich ist die menschliche Stimme das Instrument mit der größten Expressivität, sie berührt zutiefst und kann Hörer*innen unmittelbar Stimmungen emotional erlebbar machen, auch ohne verständlichen semantischen Kontext.

Man spricht vom Stimmen der Instrumente, doch können auch Stimmen als Instrument eingesetzt werden, kann Sprache sinnentleert werden. Die »Ursonate« von Kurt Schwitters, die Starenschwärme in der Umgebung seiner norwegischen Hütte nachzwischerten, ist ein ganz besonderer Glücksfall. In welchen aspekte-Stücken entsprechen die Stimmen am ehesten der Tatsache, eher nur Laute zu sein, als Bedeutung generieren zu wollen? Inwiefern kommt dieser Art des Komponierens Pierluigi Billone in »FACE Dia.De« für zwei Stimmen und acht Instrumente nahe?

Genauso ist es, sowohl bei »FACE Dia.De« als auch in »Aria« von Beat Furrer, in »Woher schwarzer Tross …« von Karmella Tsepkolenko und Serhij Zhadan, in der Vokalkunst von Frauke Aulbert und »Plans for Future Operas« mit Juliet Fraser. Im Grunde genommen wird die Stimme wohl in jedem aktuellen Werk instrumental eingesetzt, ob mit oder ohne Text. Das Werk von Billone, der auch in einer Lecture über die Vokalität in seinem Werk sprechen wird, assoziiere ich ganz besonders mit einer elementaren-existenziellen Hörerfahrung, so wie wir sie alle im Mutterleib erlebt haben: Der Herzschlag der Mutter als Puls, der uns die erste Erfahrung von Zeit und Kontinuität verschafft, und neben der Vielfalt von Geräuschen und auch Musik die Stimme der Mutter, deren »Stimmung« uns wie schon erwähnt unmittelbar mitteilt, auch wenn die Laute noch nicht als Sprache verstanden werden. 

Ensemble REIHE Zykan + © zVg

Der Dadaismus war eine Antwort auf die Tragödie des ersten Weltkrieges. Ein künstlerischer Widerstand gegen den Militarismus und doch ist es leider so, dass nur eine ausreichende Bewaffnung als Verteidigung gegen Auslöschung durch imperiale Mächte schützt. Da mir der Ukraine-Krieg (bereiste ich und habe einen Bildband herausgegeben) sehr nahe geht: Ich möchte mehr wissen über die Vertonung von Karmella Tsepkolenko/Serhij Zhadans »Woher schwarzer Tross …«.

»Woher schwarzer Tross …« wurde als Auftragswerk für REIHE Zykan+ im Frühjahr 2022 komponiert und im November 2022 beim Konzert »Musik für eine ukrainische Zukunft« im Radiokulturhaus Wien uraufgeführt. Der Text von Serhij Zhadan wird mit teils sehr drastischen, durchaus plakativ anmutenden lautmalerischen Mitteln umgesetzt und geht hart an die gesanglichen Grenzen des Ensembles, insbesondere der Frauenstimmen. Und dies in allen Facetten: als Sprechende, Singende und Kriegslärm Erzeugende. Die Tatsache, dass eine Komponistin mit Tönen gegen die Auslöschung ihrer Existenz und der ihres Volkes und ihrer Kultur durch ein mörderisches, menschenverachtendes Regime anschreibt, muss nicht kommentiert werden. Auch hier – wie in »Stabat Mater Furiosa« – eine Frau, die ihre Stimme gegen die kriegswütende, zerstörerische Geisteshaltung eines Mannes erhebt.

Das Ensemble REIHE Zykan+ wird auch Otto M. Zykans »Das Unterösterreichische Liederbuch – 21 Gesänge über Hohen, Tiefen und Abgründe der österreichischen Seele« (in einer Bearbeitung von Michael Mautner) aufführen. Was unterscheidet Zykans Psychogramm vom Werk eines Erwin Ringel oder Egon Friedell, die sich ebenfalls nachhaltig mit der österreichischen Seele befassten?

»Das Unterösterreichische Liederbuch« ist keine Erfindung von Zykan, sondern des in Wien lebenden österreichischen Komponisten Michael Mautner. Er hat zum Teil unvollständig notierte Lieder von Zykan transkribiert, stark bearbeitet und mit eigenen Ideen zu dem Liederbuch vereinigt, ein Gemeinschaftswerk also. Was Ringel anbelangt, so fehlt mir das Wissen darüber, aber zu Friedell kann ich nur zustimmen. Seine Sicht der Dinge, nicht nur der österreichischen, ist brillant, satirisch und nachhaltig. Er hat als radikaler Katholik und Jude tiefe Einsichten in das Gemüt unserer Landsleute und weiß das großartig in Worte zu fassen, wobei er dem »Widerspruch in sich« viel Raum gibt und so Paradoxien einer hybriden Nation Stimme verleiht. Aber besser als Qualtinger kann man es ohnehin nicht sagen: »Österreich ist ein Labyrinth, und jeder kennt sich aus.«

Jenifer Lary © Shirley Suarez

»Die Symphonie der Klagelieder« von Henryk Mikolai Górecki schaffte es sogar weit vor in den britischen Charts. Es gibt ein großes Bedürfnis nach schwermütiger Musik, die doch auch Hoffnung und Trost ausstrahlt. Beth Gibbons von der TripHop-Band Portishead hat extra Polnisch gelernt und eine großartige Neufassung eingesungen. Nun kommt mit Jenifer Lary eine sicherlich auch für Neue Musik ausgebildete Sopranistin nach Salzburg und wird in Hossam Mahmouds Oper »Stabat Mater Furiosa« ihre Klage gegen den Krieg, gegen die abscheuliche Gewalt von Männern erheben. Was erwartet die Besucher*innen bei der Uraufführung am 7. März?

Es handelt sich hier um ein halbszenisches Musiktheater mit einer Hauptdarstellerin, der Sopranistin Jenifer Lary, einem Vokalensemble und einem Instrumentalensemble. Die Musik ist daher durchkomponiert und kann – abgesehen von der stilistischen Ferne – kaum mit dem genannten Stück verglichen werden. Die Musik von Hossam Mahmoud ist aber aus meiner Sicht vielleicht gerade durch die fremd und neu anmutende Klangsprache sehr fasslich und verspricht eine berührende Expressivität. Siméons Text ist ein Monolog, eine Verschmelzung von Poesie und Dramatik und gleicht einer lyrischen, zeitlosen Anklageschrift gegen den Krieg, den Hass und die Gewalt. »Stabat Mater Furiosa« ist der wütende, glühend-zornige, schmerzhafte und dennoch zerbrechliche und sinnliche Schrei einer Frau, die »Nein« zu einem Mann, Vater, Sohn, Bruder sagt, zu einem Milizionär, einem Kämpfer oder Soldaten. Vielleicht ist es am besten, den Komponisten selbst zu Wort kommen zu lassen: »Bei einer Oper braucht man vor allem eine Handlung! Man muss in die Tiefe des Gedichtes eintauchen, um die Klänge zu hören und niederschreiben zu können. So einem Gedicht bin ich noch nie zuvor begegnet. Ich war schockiert, als ich mit dem Lesen begann. Die Texte sind direkt, treffend nackt ohne Schleier. Deswegen musste die Musik eine andere Aufgabe übernehmen als bisher üblich.« In den britischen Charts wird die Musik zu »Stabat Mater Furiosa« wohl kaum landen, aber auf Ö1 wird sie zu hören sein.

œnm © Andreas Hechenberger und Markus Sepperer

Juliet Fraser, die auch mit œnm (Österreichisches Ensemble für Neue Musik) für ein Konzert zusammenkommt, wird in Oyvind Torvunds auch als Rock-Gitarrist praktizierender norwegischen Komponist »Plans for Future Operas« singen, mit Mark Knoop an den Tasteninstrumenten. Die Programmvorschau verspricht für 6. März von 21:00 bis 22:00 Uhr die Umsetzung »einer utopischen Idee einer faszinierenden neuen Opernwelt«. Spannend! Eine verheißungsvolle Zukunft versprechende Audiovision?

Das Projekt »Plans for Future Operas« ist sozusagen als Kontrast zu der davor aufgeführten Oper von Hossam Mahmoud programmiert. Juliet Fraser und Mark Knoop interpretieren neu erdachte Opern-Miniaturen mit Video-Projektion, meist nur mit jeweils zwei bis drei Worten. An der Oberfläche ist viel Humor und Witz zu erwarten, allerdings sehr intelligent und anregend komponiert. Hier kommt die große Bandbreite der stimmtechnischen Kompetenz von Juliet Fraser voll zur Geltung – ein sehr spezielles, geistreiches Event, das 2022 bei der Münchner Biennale uraufgeführt wurde.

Grandiose Kompositionen von Pauline Oliveros, Christian Wolf, Robert Moran, Rupert Huber und Agné Mazuliene wird das Litauische Ensemble Network of Vocal Arts – Vokalinio meno tinklas – am 9. März in der Kollegienkirche präsentieren. Wie kam es zu dieser fruchtbaren Zusammenarbeit, die unter anderem Schamanengesänge eingemeindet? 

Rupert und Doris Huber haben sich für dieses Konzert mit dem Ensemble verständigt, die Werke in einem intensiven Workshop mit den Sänger*innen zu erarbeiten, wobei unter anderem eine Ensemble-Improvisation entstand: »Misko Dvasios« (»Waldgeister«) besteht aus strikt selbstverantwortlichen, vokalen Beiträgen der einzelnen Ensemblemitglieder. Die Tatsache, dass sie eine Gemeinschaft bilden, erfordert entsprechende Rücksichtnahme aufeinander und Anpassung der musikalischen Funde an etwas, was man eventuell Gruppenresonanz bezeichnen könnte. Dem Wesen des Stimmklangs auf der Spur, ein tiefgreifendes Musikerlebnis in der Kollegienkirche, die für die Werke die erforderliche Raumakustik und ein spirituelles Ambiente bereitstellt. 

Link: https://aspekte-salzburg.com/aspekte-2024/ 

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