Das Unsafe+Sounds Festival findet 2022 zum achten Mal in Wien statt. Zwischen 23. September und 1. Oktober will man künstlerische Grauzonen verteidigen, neue schaffen und statt Buzzwords im Festivalzirkus »radikale Ergebnisse« ermöglichen. Das scheint über den Dancefloor zu führen – »tainted futures« in Döbling, »agency of immediacy« am Donaukanal.
Die Raversonnenbrillen bleiben zur Eröffnung im geschulterten Bauchtascherl. Stattdessen greift die Wiener Avantgarde zu Google Maps. Zum Glück findet man zur leiwanden Zacherlfabrik im 19. Wiener Gemeindebezirk auch ohne Cayenne unter der Kühlerhaube. Rausch und Rhythmusrebellion finden sich dort ohnehin in den Sounds von Stine Janvin, SØS Gunver Ryberg und Rent. Wer mit den Namen nichts anzufangen weiß, kommt allein wegen der Location.
Zur Sperrstunde machen Uber-Taxis Überstunden. Geübte Grenzgänger gehen die zweieinhalb Kilometer zur Spittelau zu Fuß. Im Werk verdrücken ein paar Insta-Kids heimlich Ecstasytränchen. Statt Ufo361 erscheint UFO95 – von den Ö3-Charts landet man mit dem französischen Producer im Berghain. Techno glitzert in der Eröffnungsnacht wie Lokalkolorit: DJ Ebhardy schiebt an, Kim Leclerc zählt die Pferdestärken, Wiener Techno-Hebamme Elin lüftet den Plattenkoffer. Und weil manch selbst ernannte »Realkeeper« noch immer davon schwafeln, keine weiblichen Techno-DJs in Wien zu finden, die nicht Electric Indigo heißen: Flower Crime steckt den Macho-Mackern zum Sunset eine 909 in den Verdauungstrakt.
Die Oargen ziehen weiter, der Rest kommt nach fünf Stunden Schlaf, drei Aspirin und einem Reperaturseidl wieder. Schließlich bleibt Das Werk am Donaukanal ebenso Festivalzentrale wie die Kickdrum ihr Puls. Zum gehobenen Viervierteltakt von Sentimental Rave aus Frankreich oder Vich Mind verteilen Kieferorthopäden ihre Visitenkarten. Ashida-Park-Mitgründer Amblio knackt dennoch das Trance-Rätsel. Davor: Ein Debüt zwischen ADHS-Pop-Kennerin Anthea und Ritalin-Junkie Kenji Araki. Daneben: Blümchen-Bänger von Astrid Gnosis für Betonmischanlagen.
Weil Krach und Klubnächte schon lange nicht mehr alles sind, plauscht man beim Unsafe+Sounds auch davon. Wer über Türpolitiken vor Clubs, über die Anfänge des Zischbumpengs in Wien sowie Koks, Kapitalismus und Kategorien am Dancefloor aus nicht-westlicher Perspektive erfahren will, verabschiedet sich am 28., 29. und 30. September früher aus dem Home-Office – und jettet mit den Wiener Linien zum Zacherl-Termin nach Döbling. Gscheite Dinge erzählen zum Beispiel Kristina Pia Hofer, Wolfgang Sterneck und die Macher*innen von Musikräumen wie Einbaumöbel, p.m.k und Kapu.
Ehe sich zum Abschlusswochenende das norwegische Ekstase-Kollektiv um Ute Records in den Flieger quetscht, zücken die Fleißigen ihre Textmarker. Nicht um daran zu schnüffeln, sondern um die Unsafe+Sounds-Kooperation mit Ventil Records anzustreichen. Pia Palme und Sonja Leipold fragen nach Neuer Musik. Electric Indigo hat sie schon gefunden. Und Rojin Sharafi packt zum Rausschmeißer das Hackbrett aus.
Im Werk wird’s wieder länger. Die Visuals kommen mit Triggerwarnung, das Live-Set von Cam Deas und Jung an Tagen mit Grenzerfahrungsgarantie. Danach: Techno, Techno oder Techno, abwechselnd aus der Rekordbox durch die Pioneer-Ufos geschleift von Ewa Justka aus Polen, Ezy aus Dänemark, High Future aus Südkorea oder Alpha Tracks aus Wien.
Bei so viel »Reiten auf den Gegenwartsspitzen« kommt das Down mit Ansage. Wer sein Festivalbändchen nicht verloren hat, cruist deshalb mit dem Partybus vom Werk zur Zacherlfabrik. Robert Schwarz, Omformer, Ingrid und Tina 303 kollektivieren das betreute Runterkommen. Zwei Talks zehren am samstäglichen Serotoninspiegel. Am Ende landet man schon wieder im Werk. Bevor Prison Religion den letzten Widerstand niederprügeln, zündelt Safa am Laptop. Und irgendwann, wenn Ehrenschwesta und Distortina die Subwoofer durchgepustet haben, muss man doch heim.
Alle Informationen zum Unsafe+Sounds Festival sowie das vollständige Line-up findet ihr hier: https://unsafeandsounds.com/