»Alerta, alerta, Queerfeminista«, ruft das Publikum im Konzertsaal des WUK. Wenige Minuten später hüpfen auch schon Kerosin95 und Bandbesetzung in Engelskostümen auf die Bühne. Das heutige Konzert ist nicht nur Party, sondern auch Politik. Das weiß das Publikum, das weiß Kerosin – und das zeigt nicht nur der Kampfruf der Crowd, sondern auch der erste Song des Abends: In »Trans Agenda Dynastie« leitet Kerosin95 das Ende von trans*feindlichen Rhetoriken ein und entwirft eine Utopie, in der Queers den Ton angeben.
Punchlines wie: »Was gibt’s heut zum Mittagessen? Ich glaube Beef!«, kommen bei einem ausverkauften Saal mit 600 Menschen extra gut. Und das Upgrade der Live-Band-Besetzung mit Schlagzeug, Bass, Gitarre, Keyboard und Backvocals verleiht dem Sound zusätzliche Schärfe. Kerosin95 kündigte vor der »Trans Agenda Tour« an, von nun an andere Töne anzuschlagen. Das neue Motto: »Schluss mit höflich, raus die Ellbogen!« Quirlig und quirky ist Kerosin noch immer, aber auch härter, kompromissloser, düsterer. Politische Kontrahent*innen bekommen keine zuckersüß verpackte Kritik mehr, sondern werden mit ungewohnter Schärfe in ihre Schranken gewiesen.
Der innere Wandel spiegelt sich auch musikalisch wider. Textstellen älterer Lieder ändert Kerosin teilweise ab, Melodien haben einen anderen Klang, die Bühnenperformance ist exzentrischer. Dem Song »Außen Hart Innen Flauschig« – Kerosins erstem Release – verleihen Bass und Gitarre mehr Tiefe. Und den Rap-Track »Meine Welt« vom Album »Volume 1« macht die Band zur Jazz-Nummer samt Querflötensolo der Keyboarderin Ines Kolleritsch. Diese Experimentierfreudigkeit mag nicht allen gefallen, ist aber Ausdruck unabdingbarer künstlerischer Weiterentwicklung. Gleich geblieben ist Kerosins Haltung: Solidarität steht an erster Stelle. So ist Kerosin95 zwar Frontperson, holt aber Band und andere Beteiligte immer wieder in den Vordergrund, spricht Dank aus, gibt Credits.
Sichere Zone für FLINTA*-Personen
Auch die für Kerosin95 typische Ansage zu Beginn des Konzerts fehlt nicht. »Damit wir heute Abend alle eine schöne Zeit haben, schlage ich vor, dass wir aufeinander schauen«, spricht Kerosin ins Publikum. »Konzerte sind nicht immer the most fun space for everyone. Wenn es Stress gibt, ruft auf die Bühne, kommuniziert es, schaut nicht weg.« Die ersten zehn Reihen erklärt Kerosin im Sinne kollektiver Raumeinnahme zur FLINTA*-Zone. Und haut hinterher: »Alle Cis-Dudes, die mir g’schissen kommen, kriegen auf die Papp’n.«
Um Raumeinnahme geht es auch in Kerosins Texten. Im Track »Puppy« nimmt Kerosin Cis-Macker und toxische Männlichkeit an die Leine. »Bullshit Bingo 1.0« erzählt davon, wie FLINTA*-Personen nervige Typen von ihrer Party schmeißen und sich so Safer Spaces schaffen. Emotional wird es bei den »Saddies«, wie Kerosin95 sie nennt, den traurigen Songs also, wie »Nie wieder fühlen«, »Shiver« oder »17520H«. Und am Ende serviert Kerosin die tanzbaren Banger: den technoiden Clubtrack »Standort«, das Gute-Laune-Lied »Futter« und den Song »Nie wieder Gastro«, in dem Kerosin mit sexistischen Gästen abrechnet.
Nach der Zugabe lässt sich die Band dann auf der Bühne zum Song »We found love« der Sängerin Rihanna feiern. Dessen Refrain »We found love in a hopeless place« fasst den Modus des Abends gut zusammen: Patriarchy sucks. Aber FLINTA*s finden dennoch Räume, in denen sie sich wohlfühlen, solidarisch zeigen und aufeinander Acht geben. Als die Band sich schließlich verabschiedet und die Lichter im Konzertsaal des WUK wieder angehen, ist die Party noch lange nicht vorbei – sondern das Publikum tanzt einfach zur Aftershow-Playlist weiter.