Kevin Morby © Chantal Anderson
Kevin Morby © Chantal Anderson

Bilder einer Ausstellung

Der aus Kansas City stammende Musiker Kevin Morby ist aufgrund einer Erkrankung seines Vaters nach Memphis, Tennessee, gereist und verbringt dort seine Tage damit, sich an historisch aufgeladenen Orten herumzutreiben, alten Idolen zu huldigen und in Erinnerungen zu schwelgen.

Kevin Morbys bisher veröffentlichte LPs hatten, bis auf »Oh My God« (2019), immer einen direkten Ortsbezug. In »Harlem River« (2013) ging es um New York, in »Still Life« (2014) und »Singing Saw« (2016) um Los Angeles, in »City Music« (2017) um eine Sammlung von Orten in den USA und in »Sundowner« (2020) um das Leben in einer Kleinstadt in Kansas. Natürlich behandelt seine Musik nicht nur die Orte, sondern auch die Dinge, die an diesen verschiedenen Orten passiert sind. So dreht sich »Sundowner« um seine Kindheit und das Wiederbesuchen von Vertrautem, die monotone Einöde und die Melancholie des Mittleren Westen. In »Harlem River« behandelt er diverse, teils fiktive, teils echte, tragische Geschichten von Menschen, die in New York lebten. Als einziges tanzt »Oh My God« aus der Reihe – hier besingt er seinen persönlichen Zugang zu Religion und denkt laut über religiöse Metaphern im Alltag nach. Man kann also sagen, die Dinge, die Kevin Morby wichtig sind, werden meist anhand einer örtlichen Achse thematisch verarbeitet. Auch das Thema Tod ist charakteristisch für sein Schaffen. Mit dem neuen Album »This is a Photograph« kommt eine neue Achse dazu: Zeit (aber auch ein neuer Ort).

A window to the past

Die Idee ist keine neue: »This is a photograph, a window to the past«, singt Kevin Morby nicht nur einmal auf dem neuen Album, Fotos sind wie Fenster zur Vergangenheit. So spielen alte Erinnerungen und Begebenheiten eine große Rolle auf dieser Platte. Nicht zufällig begann die Promo-Tour mit einer wandernden Fotoausstellung mit teils eigenen Bildern, teils Familienbildern, zu sehen in dem Musikvideo zum namengebenden Song des Albums »This Is a Photograph«. Die neuen Bilder entstanden, als er aufgrund der Krankheit seines Vaters, mitten am Höhepunkt der zweiten Corona-Welle, in das Hotel »The Peabody« in Memphis, Tennessee zog. Seine Tage verbrachte er damit, durch die musikhistorisch aufgeladene Stadt Memphis zu streifen und die Orte zu besuchen, an denen seine Idole wichtige Momente ihres Lebens verbrachten. So zum Beispiel an die Stelle des Mississippi Rivers, an dem der unglaublich begabte Jeff Buckley 1997 ertrank, den Memphis Zoo, wo er noch einen Tag zuvor einen Job als Schmetterlingswärter annehmen wollte, die Nachbarschaft, in welcher der Punk-Musiker Jay Reatard sich das Leben nahm, oder das ehemalige Anwesen von Elvis Presley, »Graceland«.

Zwischen all diesen Einflüssen und Ideen finden sich dann noch die ganz persönlichen Geschichten und Gefühle des Kevin Morby. So beschreibt er im Opener »This Is a Photograph«, neben bereits beschriebenen Fotobedeutungen, »windows to the past«, auch die Relevanz der persönlichen Perspektive auf diese Fotografien. Er betont die Parallelen seines Lebens mit dem seines Vaters, der auf den alten Familienfotos gleich alt ist wie er jetzt, und wo Morby selbst als neugeborenes Baby zu sehen ist. Weitere Fotos zeigen auf verschiedene Art und Weise, was es wert ist, am Leben zu sein. Am Ende des Songs schreit Kevin sein Resümee »This is what I’ll miss about being alive«.

Don’t go swimming

In den Songs »Disappearing« und »A Coat of Butterflies« geht es um Jeff Buckley und dessen letzten Tage. Jeff Buckley war ein Singer-Songwriter und Ausnahmetalent, der womöglich der neue Bob Dylan hätte werden können. 1996 tourte Buckley unter Pseudonymen durch kleine Cafés im Norden der USA. Er tat dies, um die Intimität seiner Musik im Live-Setting wiederzuerlangen, nachdem er zuvor zu großer Popularität gelangt war. In einem Statement gab er kurz darauf bekannt: »I loved it and then I missed it when it disappeared. All I am doing is reclaiming it.« Als er unmittelbar vor den geplanten Aufnahmen für sein neues Album mit einem Freund spontan (völlig bekleidet und nicht unter Drogeneinfluss) schwimmen ging, ertrank er aufgrund der Sogwirkung eines vorbeifahrenden Bootes – angeblich lief währenddessen im mitgebrachten Radio »Whole Lotta Love« von Led Zeppelin. Diesen Moment besingt Morby mit den Worten: »If you go down to Memphis / Please don’t go swimming in the Mississippi River / If you must, if you do / Take off your jacket and take of your boots / Just don’t wash up on Beale«. Danach hört man wohl ein Field Recording des eben genannten Flusses.

Kevin Morby © Chantal Anderson

Der nächste Song, »A Coat of Butterflies« beginnt mit den Worten: »There’s a lighthouse on the water / Throwing light back at the shore / I heard you died trying to swim towards it / Now you’re living on the river’s floor / I heard the mighty Mississippi / Took you out with just one punch / I heard you heard the voice of a sweetheart / But the sweetheart was out getting drunk«. Letzteres ist eine Anspielung an das nie fertiggestellte letzte Album von Buckley »My Sweetheart the Drunk«. Außerdem besingt er den bereits genannten Versuch, Schmetterlingswärter zu werden, sowie das Anmieten eines winzigen Hauses, in dem Buckley neues Material aufnehmen wollte – einer sogenannten »Shotgun Shag« – und die darin hängende Tapete. Er bezieht sich weiters auf seinen wohl bekanntesten Song »Hallelujah« und erklärt, warum seine Version besser ist als die von John Lennon. Im letzten Teil des Songs meint Morby noch, Jeff Buckley würde ihm persönlich aus dem Foto heraus in die Augen blicken. Den Song beendet er mit den Worten: »Wade into the water / Close your eyes, boy, and sing / Wanna whole lotta love«.

Make a bad time last

Im neunten Song »Five Easy Pieces« geht es um den gleichnamigen Film von Bob Rafelson aus dem Jahr 1970 mit unter anderem Jack Nicholson. Die Handlung des Films ist ähnlich zu Morbys Situation: Der Protagonist Bobby Dupea erfährt, dass sein Vater im Sterben liegt, und fährt von Kalifornien nach Washington, um ihn noch einmal zu sehen. Er arbeitet als Gelegenheitsarbeiter auf einem Ölfeld und ist mit einer einfachen Frau namens Rayette zusammen. Bobby selbst stammt aus einer wohlhabenden Familie und ist eigentlich ein talentierter, aber gescheiterter Pianist. Als die beiden am Weg nach Washington sind, lässt Bobby seine Freundin in einem Motel sitzen und fährt allein weiter, da er sie unmöglich seiner intellektuellen Familie vorstellen kann. Im späteren Verlauf des Films lässt er sie ein weiteres Mal sitzen. Morby besingt dies mit den Zeilen: »All of my time has been wasted on you, baby / Best years of my live I spent dying next to you / Wish I could pretend I wouldn’t do it all again / ’Cause I would if I could, if you asked me to / So just ask me to«. Der Film wird von der Kritik als eine Außenseiter-Charakterstudie bezeichnet, die hinschaut, wo es weh tut. Auch Morby stellt sich in seinem Song die Frage: »How do you make a bad time last?« Wohl wieder in Anspielung auf das Fotothema des Albums antwortet er: »Get a camera, put it in a photograph«. Die letzte Line lautet: »Oh Bobby. baby, I hope you’re well / I’ll see you in hell«, was den eindeutigen Vergleich mit seiner eigenen Person wohl endgültig bestätigt.

Bittersweet Tennessee

»Goodbye to Good Times« vollendet das Album und fasst die Themen zusammen: »Seems the good times have finally come to pass / Make way for bad times, soon to cross our paths«. Morby zählt kleine Momente aus der Vergangenheit auf, auf die es sich zurückzublicken lohnt: Etwa als sein Vater ein Autogramm von Baseball-Legende Mickey Mantle bekam, als seine Mutter im Alter von 19 Jahren bei einem Tina-Turner-Konzert tanzte oder als seine kleine Schwester leuchtende Ballons in den Nachthimmel hinaufschickte. Der junge Kevin Morby hatte sich stets gewünscht, in einem Song zu leben – nun fragt er: »How about this one?« und atmet tief durch. Er sinniert über den zu früh verstorbenen Otis Redding sowie Diane Lane und erinnert uns: »I miss the good times, mama, they’ve gone out of style / And I don’t remember how it feels to dance«. Auch nennt er immer wieder das Lied »Rock Me, Baby«, ein Blues Klassiker, zu dem Morby sicher gerne tanzt. Die letzten Lines des Albums bringen es auf den Punkt: »Well this is a photograph, a window to the past / Of a family growing old inside the boxing ring of time / In bittersweet Tennessee«.

Gerade der letzte Track, sowie das ganze Album, vermitteln, dass es oft schöner ist, sich an Dinge, Idole der Vergangenheit und Ereignisse zurückzuerinnern, als sie gerade in Echtzeit zu erleben – und dass das besonders gut funktioniert, wenn das Leben gerade nicht einfach ist. Deswegen sieht man sich auch so gerne alte Fotos an. Entweder man erfreut sich an ihnen oder man erfreut sich daran, dass sie schon vorbei sind. In diesem Sinne ist die LP »This Is a Photograph« tatsächlich wie ein Foto. Sie trägt die Hörenden durch die schönen Momente, wie das Dasein der eigenen Kinder oder das Tanzen auf einem Konzert, das einem wirklich Spaß macht, aber es stellt auch ganz unverblümt die Tragik des Lebens dar, am Beispiel des magischen Jeff Buckley – und das Ganze, ohne alles selbst erlebt zu haben. »This Is a Photograph« ist ein Abbild des ganz normalen Lebens, das ganz schön schwierig und ganz schön leicht sein kann. Man weiß nur im Moment oft nicht zu schätzen, was man gerade hat.

Kevin Morby: »This Is a Photograph« (Dead Oceans)

Link: http://www.kevinmorby.com/

Home / Musik / Artikel

Text
Adrian Malliga

Veröffentlichung
16.05.2022

Schlagwörter

favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an den Empfänger: Verein zur Förderung von Subkultur, Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria. Vielen Dank!

Ähnliche Beiträge

Nach oben scrollen