Keine Frage, die Wiener Band Culk ist aktuell mörderisch angesagt. Begonnen hat die Erfolgsgeschichte von Culk bereits 2018 mit der Debüt-Single »Begierde/Scham«, die eine ambivalente erotische Beziehung thematisiert. In der altehrwürdigen »Presse« wurde das Stück zum »Song der Woche« gekürt, was für ein musikalisches Coming-out nicht nichts ist. 2019 folgte der erste selbstbetitelte Longplayer, der medial wohlwollend aufgenommen wurde. Richtig durch die Decke geht der Erfolg des jungen Quartetts um die geheimnisvolle Sängerin, Texterin und Kunststudentin Sophie Löw aber erst jetzt. Älteren Semestern, die sich noch für avancierte Popmusik interessieren und ihr Studium schon lange hinter sich gebracht haben (oder auch nicht), wird der Sound von Culk ziemlich bekannt vorkommen. Es sind die Geister von Joy Division, The Cure, The Smiths (das grandiose Gitarrenspiel von Johnny Marr schimmert immer wieder durch), Siouxie & The Banshees, New Order und artverwandten Trauerweiden aus den 1980ern bzw. jüngere Rolemodels wie Interpol und Editors, die bei Culk Patin und Pate stehen. Was jetzt mal per se nichts Schlechtes ist, immerhin ist der Weg der Popkultur gepflastert von unzähligen Revivals. Das Entscheidende ist, ob eine Band dem bereits Bestehenden etwas Markantes hinzufügen kann, und das ist im Fall von Culk durchaus gegeben. Neben der ausgezeichneten, teils mit ordentlich Wumms aufspielenden Band ist es der mitunter Gänsehaut erregende Gesang von Multiinstrumentalistin Sophie Löw (der phasenweise an Stella Sommer und ihre Band Die Heiterkeit mit ihrer Befindlichkeitslyrik anknüpft) und den knapp gehaltenen Lyrics, die in ihrer Uneindeutigkeit ein Kino im Kopf anwerfen können. Der Noise- und Shoegaze-Anteil wurde gegenüber dem ersten Album etwas zurückgenommen, was »Zerstreuen über euch« zu einem total catchy Album macht. Nicht alltäglich ist auch, dass die Lyrics explizit aus einer weiblichen Perspektive erzählen, etwa in »Nacht«: »Straßen und Seitengassen / Fremde Blicke neue Wege testen / Zieh die kurze Hose lang / Schau mich nicht an / Alles was ich dir gerade zeigen kann / Ich mache böse Miene zum bösen Spiel« thematisiert die immer präsente Angst von Frauen am Heimweg vom Nachtleben. Oder in »Dichterin«: »Du verdrängst mich / Und du verkennst mich / Ich verrenne mich an dunkle Orte / Du kennst keine Worte für mich / Und die du für mich hast / Führen mich weit weg von Einfluss und Macht«. Das sind nur zwei Beispiele für eine explizit feministische Perspektive, die sich – wenn auch ambivalent – durch das gesamte Album ziehen. Damit ist »Zerstreuen über euch« mit seinem ausgezeichneten Songwriting auch ein zutiefst politischer Songzyklus, der unter der Oberfläche immer auch die aktuellen gesellschaftlichen Machtverhältnisse mit verhandelt. Trotz seiner relativ kurzen Spieldauer ist das Album die richtige Platte zur richtigen Zeit, was sich auch am Erfolg der inzwischen auch international tourenden (soweit das unter Covid-Umständen möglich ist) Band manifestiert. Bekommen Wanda und Bilderbuch als Platzhirsche da Gesellschaft im (noch) Duo der größten Austrobands? Die Zeichen weisen in diese Richtung, zu wünschen ist es Culk allemal!
Culk
»Zerstreuen über euch«
Siluh Records
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