Der Melbourner Elektroakustiker Anthony Pateras, dessen 2018er Zusammenarbeit mit Stephen O’Malley namens »Rêve noir« einen schönen Einstieg in seine Arbeit bietet, traf sich im Frühling 2017 mit ErikM aus Marseille (spielte auch mal mit Thurston Moore und Luc Ferrari), um die gemeinsame Erfahrung an den Turntables und sonstigen Maschinen zur »künstlichen« Musikerzeugung zu nutzen und sich gemeinsam aneinander anzunähern, und das funktioniert sehr gut. ErikM als CD-J, Pateras hauptsächlich am Synthesizer und Sampler. Daraus resultieren zwei etwas über 15-minütige Stücke, live und im Studio entstanden, die auf »Albédo« zu finden sind. Nummer 1, »Orbitale«, ist eine spannendere Reise in eine andere, nicht dystopische, aber fremde – vielleicht weniger fremd, als man anfangs glauben mag – Welt. Die besteht aus elektronischen Sounds, die einem beim Zuhören immer mehr bekannt vorkommen und ein heimeliges Gefühl erschaffen. Kein Wunder, Computer, Synths, Internet sind ja für die meisten Menschen längst kein Neuland mehr und bereits Nährboden für nostalgische Elemente. Was der Computer im Allgemeinen und das Internet im Besonderen anfangs für Vorstellungen von Freiheit und Kreativität boten, ist heute wohl kaum mehr ersichtlich, die Realität ist längst auch hier angekommen. Aber es gibt ja noch das Darknet. Und irgendwo da, zwischen all dem und in all dem befinden sich die beiden Künstler mit ihren Soundscapes, die das Gefühl der unendlichen Freiheit auf der Datenautobahn durch die Sphäre des Cyberspace evozieren, eine heimelige, doch gleichzeitig noch immer recht unbekannte, fast lebensfeindliche Sphäre. Da fiepst es lang und angenehm, da rauscht es verstörend, es entstehen Traumlandschaften der 1990er-Jahre wie bei Roller-Coaster-Tycoon, es wirbelt einen wie in der Achterbahn durch die Gegend, auf und ab und hin und her. Auf der zweiten Nummer, »Nyctalope«, klingt das ganze schon viel mehr nach der Welt, die den Menschen von außen beeinflusst, der er sich nicht durch Mausklicks entziehen kann. Man hört Regen, doch es klingt nach Matrix. Man hört Flugzeugpropeller, doch die sind nicht wirklich »echt«. Am Ende verschwimmen beide Welten, die Sounds der beiden entwickeln eine dichte Atmosphäre, der man sich genauso wenig entziehen mag, wie dem Sog des World Wide Web.
ErikM & Anthony Pateras
»Albédo«
CCAM Editions
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