CEL (Felix Kubin & Hibert Zemler) © Pedro Maia
CEL (Felix Kubin & Hibert Zemler) © Pedro Maia

Zurück in die Zukunft

In der 11. Ausgabe präsentiert sich das Unsafe+Sounds Festival von 2. bis 7. September 2025 konzentrierter und komprimierter als in den vergangenen Jahren, ohne jedoch an Substanz einzubüßen.

Im Einleitungstext zum diesjährigen Unsafe+Sounds Festival proklamiert die langjährige Kuratorin Shilla Strelka diesmal eine »Time Dream Rhythm Machine«, die uns durch die Hinwendung zu indigenen, Black, multispecies und antikapitalistischen Positionen zu einem radikalen Futurismus verhelfen soll, der sich der zunehmenden Ökonomisierung der Zeit in den Weg stellt. »Reclaiming agency over our timelines« – was sich in der Theorie gut anhört, klingt in diesem Fall auch als musikalisches Festivalprogramm ausgezeichnet. Den Eröffnungsabend starten Zosia Holubowska feat. Muciño mit ihrem Projekt »Lovers/Lichens«, dessen unheimliche Soundscapes das Publikum in die bizarre Welt der Flechten eintauchen lassen. Anschließend geben unter anderem die düster-elektronischen Post-Punk-Songs von Rosa Anschütz einen Ausblick auf ihr Ende September erscheinendes Album »Sabbatical«. 

Am zweiten Festivaltag bilden die mikrotonalen Soundskulpturen von Ludwig Wandinger sowie Gajek vom belgischen Label Stroom.tv die Höhepunkte auf der Jagd nach den im Programm versprochenen luziden Geistern. Der Donnerstag steht mit Coby Sev & Continue und MA.Moyo ganz im Zeichen von Spoken Word aus Metropolis London, das Intro dazu liefern die Lokalmatadore Lukas König und Kasho Chualan. Unter dem Motto »Lightspeed Back Hereafter« wird das Wochenende mit Hi-Energy Krautrock eingeläutet, dafür sorgen Wettbüro, CEL (Felix Kubin & Hubert Zemler) und die Wiener Band Autor. Wer zu spät kommt, verpasst mit der performativen Lesung von Sophia Eisenhut ein Stück Bachmann-Preis-Flair und ist selbst schuld. Später übersiedelt der Tross dann ins Flucc, wo die postkolonialen Dancefloor-Ränder bis in die Puppen gefeiert werden. Als besonders vielversprechend sticht an diesem Abend der Batida-DJ Vanyfox hervor, weitere Überraschungen sind aber nicht ausgeschlossen.

Coby Sev © Ksenia Burnasheva

Das Wochenende steht dann ganz im Zeichen des 30. Geburtstags von Edition Mego und damit fast schon eines Festivals im Festival, dessen Programm dem Vernehmen nach bereits Ende Mai an der Volksbühne Berlin für Begeisterung gesorgt hat. Das Feuerwerk mit vielen Ecken und Kanten bietet an zwei Tagen unter anderem die experimentellen Techno-Entwürfe von Nik Colk Void, die einem breiteren Publikum etwa über ihre Zusammenarbeit mit Chris Carter und Cosey Fanni Tutti bekannt sein dürfte; die Noise-Kaskaden von Klara Lewis; der pechschwarze Ambient-Krach von Christina Nemec alias Chra; den verzückend-charmanten Experimental-Dub von Ilpo Väisänen sowie den Synth-Wave-infizierten DIY-Gesang von Finlay Shakespeare. Da zu einem derart vernünftigen Festival auch ein unvernünftiger Dancefloor gehört, gibt es am Samstag daran anschließend ein Rave, bei dem neben Nkisis pan-afrikanischen Rhythmus-Experimenten mit Trance-Schlagseite das Duo aua&angst schon aufgrund des Namens Interesse weckt (vorausgesetzt, man ist dann immer noch wach).

Nik Colk Void © MaximeImbert

Als diskursive Klammer konzentriert sich Unsafe+Sounds unter dem Schlagwort »chronopolitics« auf jene Timelines, die uns unsere tägliche Dosis Doomscrolling bescheren. Dafür haben Strelka und ihr Team mit der Medientheoretikerin und -praktikerin Martyna Marciniak, der experimentellen Filmemacherin Sara Bezovšek und dem DJ, Autor und Labelbetreiber Elijah jede Menge Expertise eingeladen. Als zusätzlichen Gesprächsinput werden Filmarbeiten der 2002 von Anjalika Sagar und Kodwo Eshun gegründeten Otolith Group sowie vom Black Quantum Futurism-Kollektiv gezeigt. Alles in allem tut dem Festival die Reduktion von zehn auf sechs Festivaltage gut, mit einem inhaltlich genaueren Fokus, der so auch für das Publikum einfacher fassbar ist. Unsafe+Sounds hat damit alles, was man sich von einem derartigen Format wünscht – und Wien hat auch heuer wieder ein internationales Festival für elektronische Musik, das nicht nur an der Oberfläche kratzt.

Link: https://unsafeandsounds.com 

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Text
Chris Hessle

Veröffentlichung
27.08.2025

Schlagwörter



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