Illustration © Benedikt Haid
Illustration © Benedikt Haid

Zerstörte Liebe – Antisemitismus in der DDR und Sowjetunion

Der Nachzügler unserer Marx-Geburtstagsreihe beleuchtet das düstere Kapitel linken Antisemitismus anhand des Buches »Stalin hat uns das Herz gebrochen – Antisemitismus in der DDR und die Verfolgung jüdischer Kommunist*innen«.

Linken Antisemitismus als solchen zu erkennen und zu benennen, ist innerhalb der Linken von einigen Ambivalenzen gezeichnet. Auf der einen Seite fällt es vielen schwer, diesen als das, was er ist – nämlich Antisemitismus – zu akzeptieren und mit entsprechender Vehemenz dagegen zu opponieren, auf der anderen Seite werden Teile linker Geschichte damit abgekanzelt, dass diese per se nur eine von Antisemiten sei. Was dabei leicht übersehen wird, sind die Widersprüche, die dieser Geschichte innewohnen, die nicht zuletzt daher rühren, dass Sozialisten und Kommunisten im Grunde immer für eine Welt kämpften, in der jeder nach seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen leben kann. Antisemitismus steht im krassen Widerspruch zu dieser Vorstellung, da er die gesellschaftlichen Verhältnisse von Grund auf aus seinem ideologischen Wahn erklärt und die Lösung im Mord an den Juden findet.

Eingepfercht in starre Ideologie
Von diesem Widerspruch ausgehend, wendet sich das Buch »Stalin hat uns das Herz gebrochen – Antisemitismus in der DDR und die Verfolgung jüdischer Kommunist*innen«, herausgegeben vom Arbeitskreis »Stalin hat uns das Herz gebrochen« der Naturfreundejugend Berlin, der Frage zu, wie Antisemitismus in der Linken ideologisch Fuß fassen und zur angewandten Praxis in den realsozialistischen Staaten werden konnte.

Dabei gliedert sich das Buch in mehrere Teile: Eine historische Einordnung der Situation der Sowjetunion und der Entstehung der DDR, bei der auch bereits die stalinistischen Säuberungen und Terrorwellen sowie antisemitische Züge des Regimes erläutert werden; ein Teil widmet sich den Biographien von drei Personen, die in unterschiedlicher Weise mit dem Antisemitismus ihrer Genossen und dem systematischen Antisemitismus des Staats konfrontiert wurden und gegen diesen kämpften; zwei theoretische Teile, die sich dem Antisemitismus, seinen verschiedenen Ausprägungen und ideologischen Verdrehungen allgemein, sowie der Marxistischen Theorie im Besonderen annehmen. Bei Letzterem ist festzuhalten, dass die Autoren sehr schön nachzeichnen, wie die Marxsche und auch die Leninsche Theorie in die starre Ideologie des Marxismus-Leninismus gepfercht und hierbei immer mehr von antisemitischen Versatzstücken durchdrungen wurden; der letzte Teil des Buches geht der Frage nach, wie Erinnern und Gedenken angesichts der vorangegangenen Erkenntnisse möglich ist.

Zu den Stärken des Buchs zählt in jedem Fall die Fülle an Quellen, die dem Leser geboten werden, und anhand derer die schleichende Entwicklung deutlich wird, warum und wie es in der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten zu antisemitischer Verfolgung kommen konnte, von denen der Prozess gegen Slánský u. a. in Prag nur die Spitze des Eisbergs war. Auch wird die fruchtbare wie furchtbare Verquickung von antisemitisch durchtränkter marxistisch-leninistischer Ideologie und einer nationalsozialistischen Bevölkerung, welche die DDR errichten sollte, aufgezeigt, sowie das wechselhafte Verhältnis der Sowjetunion zu Israel. Eine Ehrenrettung widerfährt dem Genossen Lenin, dessen Text »Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus« zwar nicht entproblematisiert, aber einer historischen und ideengeschichtlichen Einordnung unterzogen wird, die deutlich macht, dass Lenin keine antisemitischen Ressentiments hegte oder schüren wollte, er jedoch auch eine Mitverantwortung dafür trägt, dass sich Antisemitismus in die spätere Ideologie des Marxismus-Leninismus so gut integrieren ließ.

Beim theoretischen Teil, also der Analyse des Antisemitismus, wird sich maßgeblich auf Thomas Haury und Klaus Holz bezogen, wobei auch die traditionelle Kritische Theorie und spätere Vertreter wie Moishe Postone herangezogen werden. Teilweise bleiben hier allerdings etwas unverständliche Leerstellen. So stellen die Autoren explizit die Frage, ob es wohl bereits Antisemitismus in der KPD der frühen 1920er-Jahre gegeben hätte, ohne jedoch eine eindeutige Antwort darauf zu liefern. Dabei gibt es genau zu diesem Thema bereits Arbeiten (z. B. Olaf Kistenmacher: »Arbeit und ›jüdisches Kapital‹«), die den Autoren durchaus bekannt sein könnten, da sie diese an anderer Stelle zitieren.

Bemerkenswerte Biografien
In der Gesamtheit schmälert das jedoch nicht die Qualität des Buchs, das sich nebst dem Erwähnten auch besonders durch die Biographien auszeichnet. Vorgestellt werden Paul Merker, Rudolf Herrnstadt und Salomea Genin. Merker, der aus einer protestantischen Familie stammte, im mexikanischen Exil war und sich als einziges ZK-Mitglied der SED für einen jüdischen Nationalstaat und Entschädigungszahlungen aussprach, wurde wegen seiner politischen Einstellung in den 1950er-Jahren der Prozess gemacht, wobei er später in einem geheimen Prozess wieder freigesprochen wurde. Rudolf Herrnstadt, jüdischer Kommunist, der im Moskauer Exil die Borniertheit der deutschen Genossen kritisierte, wurde durch die Gruppe um Walter Ulbricht letztlich aus der SED ausgeschlossen und politisch mundtot gemacht.

Den Abschluss bildet die Geschichte von Salomea Genin, die als Kind jüdischer Exilanten in Australien aufwuchs und sich dort als Jugendliche einer sozialistischen Organisation anschloss. Sie träumte davon, in der DDR den Sozialismus aufzubauen, und versuchte, dorthin zu emigrieren. Jahrelang wurde sie dabei vom Ministerium für Staatssicherheit hingehalten und für die eigenen politischen Zwecke eingespannt. Als man ihr schließlich ihren Wunsch gewährte, wurde sie mit der antisemitischen Realität konfrontiert und der fadenscheinige Charakter des staatlichen Antifaschismus kam hervor.

Die Biographien beleuchten das Thema Antisemitismus in der DDR alle aus unterschiedlichen Perspektiven und geben Einblick in unterschiedliche Lebensrealitäten, sowohl im Exil, als auch in der DDR. Die Porträtierten verbindet der Kampf gegen den Antisemitismus in den eigenen Reihen. Ein Kampf, dem sich auch die Autoren verschrieben haben. Mit dem Buch haben sie auf jeden Fall einen wichtigen Beitrag geleistet.

Arbeitskreis »Stalin hat uns das Herz gebrochen« der Naturfreundejugend Berlin: »Stalin hat uns das Herz gebrochen – Antisemitismus in der DDR und die Verfolgung jüdischer Kommunist*innen«, ISBN: 978-3-942885-33-1, Edition Assemblage, Münster 2017, 208 Seiten, 14,80 Euro.

Link: https://www.edition-assemblage.de/stalin-hat-uns-das-herz-gebrochen/

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