Fotos © Simon Parfrement
Fotos © Simon Parfrement

»You can’t be lazy with expression!«

Sleaford Mods ist ein hartgesottenes Duo aus Nottingham (GB). Jason Williamson nimmt sich kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, beschissene Zustände als solche wahrzunehmen und zu kommentieren.
Sein Partner Andrew Fearn befeuert die wütenden und klassenbewussten Tiraden mit trockenen Beats und Loops.

Ding-Dong! The witch is dead: »Diesem Typen gehört deine Speisekammer. Er kontrolliert deine armseligen Verbindungen zum und im kapitalistischen System und er vereitelt deine Möglichkeiten darin einzugreifen. Und hier ist der Bastard auf der Beerdigung einer Mörderin. Einer Mörderin, die sich einen Scheiß um so genannte Versager, einen Scheiß um dich gekümmert hat! Organisiert und widersetzt Euch – attackiert!« So lautet der zornige Kommentar auf der Facebook-Seite von Sleaford Mods zu einem Bild, das den zu Tränen gerührten britischen Premierminister David Cameron während der Trauerfeier zur Beerdigung von Margret Thatcher zeigt. Wenige Tage zuvor die trockene Bemerkung von Sleaford Mods zu ihrem Tod: »She deserves no respect. Nothing.« Jason Williamson, geboren und aufgewachsen in Grantham, im selben Kaff wie Thatcher, hat eine präzise Vorstellung davon, wo er sich im neoliberalen »Klassenkampf von oben« befindet – nämlich unten. Thatcher ist tot, aber seither hat Williamson unter den Bedingungen von Tony Blairs »New Labour« ausreichend schlechte Erfahrungen gemacht und verliert zu gegebenem Anlass auch über David Cameron eindeutige Worte, wie etwa: »Bastard«.
Und Williamson weiß, wovon er spricht, wenn er sich fluchend über britische Verhältnisse äußert: »Die ganze Drogenkultur in Großbritannien seit den 1980ern hat viel zur Entpolitisierung von Popkultur beigetragen, bis hin zu Liam und Noel, die koksend allen erzählten, dass sie niemals ein Buch gelesen hätten. Dämlich! Ich hab‘ das selbst lang genug mitgemacht: Drogen, wechselnde Scheißjobs und die Unfähigkeit, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.«

Hard-Boiled-Poetry & Working-Class- Rants
Doch seit kurzem ist Williamson Familienvater, und auch aus dieser Position heraus artikulieren sich seine Wut und Unzufriedenheit, ohne dass er sich zu sozialdemokratischen Sentimentalitäten oder platten Parolen hinreißen ließe. Es wird ordentlich ausgeteilt aber präzise und erfahrungsgesättigt. Unter anderem kriegen Sachbearbeiter in Job-Agenturen, Drogendealer aus der Nachbarschaft, Vorgesetzte oder das persönlich bekannte Arschloch von nebenan ihr Fett ab. Williamson: »Die Formulierungen in den Texten müssen exakt sein und treffend, ansonsten komme ich rüber wie ein Idiot. Die meisten Texte basieren auf persönlichen Erlebnissen, und ich habe kein Interesse an Diplomatie gegenüber denjenigen, die sich in meiner Gegenwart oder mir gegenüber wie Arschlöcher verhalten (haben). Und Texte zu schreiben wie Bobby Gillespie, basierend auf Propaganda und Slogans, das ist faul und beleidigt die Intelligenz.«
Williamsons Texte gleichen eher Reportagen und Kommentaren vom unteren Ende der sozialen Leiter – jenem Ort, den »Leistungsträger« (Sloterdijk) dies- und jenseits des Ärmelkanals als Hängematte beschreiben. »Cunts & Wankers « in Williamsons Terminologie, die den Fahrstuhl nach oben schon genommen haben (oder nie dafür anstehen mussten) und dessen Stromzufuhr kontrollieren:

»The cunt with the gut and the Buzz Lightyear haircut calling all the workers plebs, you better think about your future, you better think about your neck, you better think about the shit hairdo you got mate, I work my dreams off for two bits of ravioli and a warm bottle of Smirnoff under a manager that doesn’t have a clue, do you want me to tell you what I think about you cunt?« (aus »Fizzy«).

Andrew Fearn unterlegt Jason Williamsons Hard-Boiled-Poetry & Working-Class-Rants mit reduzierter elektronischer Musik aus trockenen Beats und Loops (hin und wieder basierend auf Samples von Northern-Soul- Hits), und so entsteht eine eigentümliche Mischung, die mit Hip-Hop/Rap einerseits und (Post-)Punk auf der anderen Seite wenig gemein hat. Auch das »Mods« in Sleaford Mods führt in die Irre, zumindest musikalisch. Die Musik ist so originell wie sparsam arrangiert: »Es klingt simpel, aber es ist oftmals ziemlich viel Arbeit, bis die Tracks sitzen, und klar, die Musik ist wichtig, aber die Texte stehen im Vordergrund«, so Williamson.

Keine Publikumsbeschimpfung – Live On Stage
Im Vordergrund steht Jason Williamson auch auf der Bühne, während sich Andrew Fearn kopfnickend und hin und wieder ein Bier trinkend am Laptop im Hintergrund hält. Sein Partner steht am Bühnenrand, Gift und Galle spuckend: aggressiv und geistesgegenwärtig. Die Energie und der Zorn sind greifbar, der Raum erfüllt von der Präsenz Williamsons. Anlass für diesen Bericht war der Auftritt des Duos beim diesjährigen Kraak-Festival in Belgien, wo Sleaford Mods der versammelten Szene Beine machte: Die Schlange nach dem Auftritt, um sich ein Exemplar der LP »Austerity Dogs« zu sichern, die zwölf Tracks von fünf zuvor veröffentlichten CDs versammelt, war lang. Die erste Auflage ist mittlerweile vergriffen. Natürlich bedeutet ausverkauft in diesem Kontext, dass nicht mehr als 1.000 Exemplare weg sind. Noch sind Sleaford Mods ein Underground-Phänomen, noch … Aber das Duo könnte John Cooper Clarke und Mike Skinner locker links überholen, auch wenn Jason Williamson solche Perspektiven eher skeptisch beurteilt: »Das wird wohl nichts, unsere Musik ist zu kantig und hart für so einen Scheiß.« Und außerdem: »You end up looking like a cunt and calling your music sexy – fuck off.« Noch besteht da ja keine Gefahr.
Im August 2013 kommt Sleaford Mods für drei Gigs nach Norddeutschland, weitere Auftritte in Frankreich, Belgien, Deutschland, den Niederlanden und – vielleicht? – Österreich sind für den Herbst geplant. Williamsons Performance live auf der Bühne ist jede Reise wert. Sleaford Mods: get in touch!


Auswahldiskographie:
»Divide and Exit«
(LP,CD,Harbinger Sound 2014)
»Austerity Dogs« (LP, Harbinger Sound 2013)
»Wank« (CD, Deadly Beefburger 2012)

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