imagetanz 2018 © Maxime Guyon
imagetanz 2018 © Maxime Guyon

Wollen wir tanzen oder denken?

Von 2. bis 24. März wird beim imagetanz Festival in Wien neuen Positionen aus Choreografie und Performance die Bühne gebürstet. Das Festival-Sujet ziert heuer der Kopf einer Zahnbürste, das Motto lautet »Reflections«.

Wird damit der Beginn einer neuen Cleanliness in der Performancekunst angedeutet, auf die Körperlichkeit von Alltagsgegenständen hingewiesen oder die Bedeutung wiederkehrender Rituale verdeutlicht? Sara Lanner und Veza Fernández gaben skug im Interview Auskunft.

skug: Welche Bedeutung hat das imagetanz Festival Ihrer Meinung nach für österreichische Tanzschaffende, welche Erfahrungen haben Sie bereits im Rahmen dieses Festivals sammeln können?
Sara Lanner: Eine recht große – die Mischung von lokalen und internationalen Künstler*innen ermöglicht sehr vielfältigen Austausch und Inspiration! Das Festivalformat generiert natürlich auch mehr Aufmerksamkeit für zeitgenössischen Tanz und Performance und ermöglicht einem drei intensive Wochen lang, sehr unterschiedliche Performanceformate und künstlerische Zugänge zu erleben. Das habe ich auch bei meinen vergangenen Erfahrungen mit dem Festival erlebt. So konnte ich bereits ein Showing meiner Solo-Arbeit »A Living Example« zeigen und tanzte in einem Stück von Anne Juren mit. Auch bei einer performativen Mappenschau konnte ich einmal Einblicke in Arbeitsprozesse mit dem Publikum teilen.

Veza Fernández: Ich glaube, es ist eine gute Möglichkeit, langsam die Tanzlandschaft zu betreten und gesehen zu werden. Man muss nicht sehr etabliert sein, um eingeladen zu werden. Es kann ein Sprungbrett sein. Es ist schön, dass es jedes Jahr stattfindet und ich besuche das Festival seit Jahren. imagetanz bringt die Wiener Tanzszene generationenübergreifend zusammen. Ich wollte als Makerin immer teilnehmen, es hat aber bis jetzt nie funktioniert. In einer ersten oder zweiten Arbeit einer Künstlerin steckt oft so viel Frische und Magie. Erste Male sind magisch. Dieses Jahr bin ich im Rahmen von »Handle with care« mit einer offenen Probe, einem Studiovisit zum ersten Mal dabei. »Wenn Auge Mund wird« ist nicht meine erste Arbeit, sondern bereits meine zwölfte. Vielleicht ist diese Arbeit aber so wie ein Anfang.

Sara Lanner »Guess What« © Michael Loizenbauer

Das diesjährige Thema des imagetanz Festivals ist »Reflections«. Welche Assoziationen haben Sie zu diesem Begriff allgemein, beziehungsweise welche Rolle spielt dieses Thema in Ihren Arbeiten?
SL: Ich finde das Festivalthema »Reflections« vor allem in Verbindung mit der Zahnbürste als Ankündigungsfoto spannend! Es sieht fast aus wie ein Halbportrait und ich frage mich: »Bin das ich?«, als würde ich in einen surrealen Spiegel schauen oder an etwas erinnert werden, das ich fast schon vergessen hatte. Auch für meine Arbeiten spielt dieses Sich-wieder-Erkennen in anderen oder anderem eine große Rolle und oft spiele ich mit der ambivalenten Spannung zwischen Ähnlichkeit und Andersartigkeit.

VF: Ich assoziiere Theater oder Bühne als Spiegel der Welt. Wollen wir tanzen oder denken? Beides! Was trägt man von einer szenischen und choreographischen Tradition mit und was ist noch gültig und was kann, will, soll man anders machen? Kann man mit einem Tanzstück noch etwas bewirken? Ist es nur eine Reflexion unter Expert*innen? Reflexionen spielen eine große Rolle in meiner Arbeit. Ich glaube in vielen Tanzarbeiten, die gerade produziert werden, gibt es einen großen Wunsch, Utopien zu denken. Was kann Choreographie alles bewirken – wir sind halt doch leider in unseren Referenzen und Traditionen gefangen. So jemand wie Pina Bausch konnte in das Unbekannte vordringen, machte Stücke, ohne zu benennen und zu legitimieren, was sie macht. So kann Neues passieren! Jetzt legitimieren, reflektieren wir, beziehen uns auch auf Referenzen. Ich würde mir eine andere Art des Reflektierens zwischen Benennen und Nichtbenennen wünschen.

Sara Lanner »Guess What« © Ani Antonova

Sara Lanner, wie würden Sie Ihr aktuelles Stück »Guess What« beschreiben, gibt es Verbindungen zu älteren Stücken?
SL: »Guess What« geht sehr stark von meiner vorherigen Arbeit »A Living Example« aus. Darin hinterfrage ich meine Individualität und beobachte, wie die eigene Identität auch ambivalent oder widersprüchlich sein kann. Ich arbeitete vorwiegend mit Sprache und repetitiven Sätzen: »I am a living example for…«. In »Guess What« interessiert mich nun eine körperliche Darstellung der Zustände und Bewegungsqualitäten, die wir darin erleben, und wie wir ständig von einem Zustand in den nächsten übergehen – seien diese auch widersprüchlich oder »fremd«.

Gerade arbeite ich mit dem gedanklichen Bild eines Pools. Darin sind alle Erinnerungen, Erfahrungen und Eindrücke sowie Projektionen, Fantasien und Wissen gesammelt. Auch die Erinnerungen und Entstehungsgeschichten meiner vorherigen Arbeiten und deren Figuren, wie zum Beispiel das oben erwähnte »Living Example«, sind darin vorhanden. Durch das Aktivieren bestimmter »Trigger« kann die reflektierende Oberfläche berührt, verquirlt oder durchbrochen werden und es tauchen einzelne Erinnerungsfragmente oder erst entstehende Figuren auf, die ganz spezifische körperliche Zustände auslösen. In Bezug zum Thema »Reflections« könnte man diese Trigger auch als – teils unerwartete – Spiegelbilder verstehen. Diese können gewisse Orte im Raum sein, die Objekte und Textilien, mit denen ich arbeite, oder Sound- und Sprachfragmente. Auch das Publikum und dessen Körper können zu solchen werden. Ein anderer, biografischer Ausgangspunkt liegt vermutlich darin, dass ich selbst mit zwei Sprachen und in enger Verbindung mit deren beiden Kulturen aufgewachsen bin. Das hat mein Verständnis von (nationaler) Identität maßgeblich geprägt. Für mich ist dies niemals ein abgeschlossener Prozess, sondern eine Frage, die ständig neu verhandelt werden muss.

Veza Fernández © Kathrin Göttfried

Veza Fernández, wie würden Sie Ihr aktuelles Stück, welches im Rahmen von »Handle with care« präsentiert wird, beschreiben, gibt es Verbindungen zu älteren Stücken von Ihnen?
VF: Schwer zu beschreiben, denn gerade bin ich mittendrin. Das Gefühl des Gemeinsamen sucht mehr als eine Form. Ich arbeite mit elf Frauen und nicht genderidentifizierten Personen. Wir suchen nach der Tänzerin in uns und werden zu einer Band, einem Chor, einem Ensemble, einer Schlange etc. Diese Arbeit verbindet sich mit meinen anderen Arbeiten, denn ich suche eine Verbindung zwischen dem Poetischen, dem Choreographischen und dem Theatralen. Ich thematisiere bestimmte Arbeitskonstellationen.

Welche Aspekte finden Sie zurzeit bei der Beschäftigung mit Tanz und Performance spannend? Sara Lanner, Sie haben ja vor kurzem beim TQW Labor zum Thema »Groteske Körper« gemeinsam mit anderen Künstler*innen recherchiert. Was waren spannende Ergebnisse und Erkenntnisse dieser kollektiven Research-Zeit?
SL: In meiner Beschäftigung mit Tanz und Performance interessiert mich die Verbindung meiner künstlerischen Praxis mit alltäglichen, gesellschaftlichen Gegebenheiten. Das ist mir auch wichtig, um die Bedeutung von Kunst in der Gesellschaft zu betonen. Das konnte ich für mich auch in diesem Labor am TQW wiederfinden. Wir haben viel darüber gesprochen und ausprobiert, was man alles zu seiner Arbeitspraxis machen kann und auch wie. In Bezug zum Thema »Groteske Körper« stellt sich für mich auch die Frage nach dem »Ort des Sprechens« – wer spricht oder performt wo für wen oder durch wen. Einmal, während meine Kolleg*innen eine Bewegungsimprovisation machten, habe ich begonnen mit meiner Zunge und Lebensmittelfarbe »Übersetzungen« zu malen, die von ihren Bewegungen inspiriert waren. Auch die Frage, welchen Rahmen man sich schaffen kann, um eine bestimmte Art des Denkens zu ermöglichen, ist für mich wichtig. Zum Beispiel indem man nicht nur in klassischen Tanzstudios arbeitet, sondern auch einmal ein Nachtlokal, den Wald oder die U-Bahn zu seinem Arbeitsplatz erklären kann.

Veza Fernández © Kathrin Göttfried

Welche weiteren Projekte stehen heuer auf dem Programm?
SL: Nach einem wohlverdienten Urlaub folgt eine Residency im Nada Lokal mit meinen Kolleginnen Jasmin Hoffer und Olivia Schellander zum Thema »Oralität« und eine Zusammenarbeit mit der Künstlerin Fanni Futterknecht. Außerdem arbeite ich an einer performativen Installation in der meine vergangene Performance mit einem Zungenfeuchtpräparat (in der pathologisch anatomischen Sammlung im Narrenturm) dokumentiert und weiterentwickelt wird.

VF: Ich arbeite zusammen mit Christina Lederhaas, meiner Kollaboratorin und besten Freundin, an Ausdruckstänzen für und mit den Besucher*innen der Stadtbibliothek Wien im Rahmen des Projektes »Into the City«, wo eine Unmenge an Künstler*innen sich mit diesem unglaublichen Raum der Begegnung beschäftigen. Zusammen mit Christina werde ich Tanz- und Schrei-Workshops leiten. Es geht um prekäre Räume, um die emanzipatorische Rolle der Tänzerin und des Ausdruckes in der jetzigen Zeit.

Links:
http://brut-wien.at
https://www.saralanner.at
http://www.veza.at

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