skug: Viele Bands der letzten Jahre haben vor allem über ihr privates Glück und Unglück gesungen. Ihr singt über die »Revolte« und dass »die Stadt zerfällt«. Ist die Zeit der Nabelschau in der Musik vorbei?
Paul Pötsch: Ich hoffe doch! Ich hatte in den letzten Jahren schon sehr den Eindruck, dass man sich in so eine Privatheit flüchtet. Für mich hat Popkultur aber die Aufgabe, etwas anderes zu zeigen als nur das kleine, private Glück. Ich höre mir gern Musik an, die mich in eine andere Welt einlädt und die nicht nur das widerspiegelt, was ich eh schon kenne.
Heißt das, dass Popmusik noch etwas bei den Menschen verändern kann?
Das ist meine feste Ûberzeugung. Es war ja bisher immer so, dass auf gewisse gesellschaftliche Krisen eine gewisse Form von Jugendbewegung folgte und es dazu auch einen entsprechenden Soundtrack gab. Ich kann mit Musik Dinge sehr frei ansprechen und auch sehr gut Leute erreichen.
Ihr singt viel über die Langeweile in der Großstadt, über zu wenige Freiräume und zu wenig Solidarität dort. Warum ist die Großstadt ein so wichtiges Thema für euch?
Weil wir alle in einer Großstadt leben. Ich denke aber, dass das nicht allein großstädtische Probleme sind, diese Probleme kann man allgemein auf Städte übertragen. Und man erlebt das ja auch, wenn man in andere Städte geht, man erlebt das in Berlin, in München oder in Leipzig, und man erlebt das, wenn man Freunde aus London oder aus Paris berichten hört: Städte verändern sich gerade sehr, aus Freiräumen werden zusehends andere Räume. Ich selbst komme vom Dorf und hatte deswegen so eine Art positive Projektion, was eine Großstadt anbelangt. Für mich war eine Großstadt ein Ort, an dem man sich verwirklichen kann oder man andere Möglichkeiten hat. Ich glaube, dass dieses »klassische« Bild einer Stadt gerade am Wanken ist.
Welche Erwartungen werden da enttäuscht?
In vielen Städten – und in Hamburg bekommen wir das am direktesten mit – gibt es das Problem, dass »Unorte« verschwinden, Clubs zumachen und Innenstädte immer unbezahlbarer werden. Orte, die eigentlich einmal einen schmuddeligen, schmutzigen oder gefährlichen Charakter hatten, werden nun für eine ganz andere Klientel attraktiv. Dadurch verlieren diese speziellen Stadtgebiete ihren Charakter und werden langweilig. Das Ganze wird von einer Stadtpolitik getragen, in der ganz bewusst Entscheidungen gefällt werden, wonach bestimmte Orte schließen müssen. Meinem Eindruck nach werden Städte immer weniger von den Bewohnern der Stadt selbst mitgestaltet, sondern, ganz plump gesagt, von oben herab.
In der Nummer »Wo ist die Euphorie« singst du genau davon, du singst »die Stadt zerfällt«, dann aber weiter »und du, du sagst kein Wort, du willst nur an einen anderen Ort«. Unternehmen die Menschen zu wenig gegen diese Entwicklungen?
Ich stelle mich nicht hin und klage meine eigene Generation an. Das fände ich sehr vermessen, zumal sich hier und da ja durchaus Protest zeigt. Es geht in diesen Texten nicht nur darum, dass man sich hinstellt und sagt: Die Welt um mich herum ist in Lethargie verfallen. Es geht um eine Selbstbeobachtung, in der man sich fragt: Bin ich der, der ich mal sein wollte? Führe ich das Leben, das ich als Teenager führen wollte? Oder bin ich nicht selbst schon konform geworden und muss mich daraus befreien? Es geht also auch um eine Art Selbstanklage. Aber trotzdem gibt es immer die Frage: Wo ist denn heute so eine Art Jugendkultur.
Ihr hättet also schon gerne eine Art Jugendbewegung? Tocotronic hatten das mit dem »Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein« damals ja eher ironisch gemeint.
Mit Ironie haben wir es ja jetzt gerade nicht so (lacht). Angesichts der ganzen nicht nur städtischen sondern weltweiten Probleme stellt sich natürlich die Frage, wo überhaupt eine breitere Form von Protest existiert, gerade auf Seiten der jungen Leute. Klar, der Song »Wo ist die Euphorie« ist das Flehen danach, dass so etwas passiert.
Trotz all dieser Entwicklungen seid ihr aber keineswegs niedergeschlagen. Woher kommt euer Optimismus?
Woher der kommt? Ich denke, das ist eine ganz romantische Vorstellung des eigenen Schaffens. Ich bin einfach der festen Ûberzeugung, dass ich mit Musik und Kunst die Welt zu einem besseren Ort machen kann. Wenn ich diese romantische Vorstellung nicht hätte, könnte ich meine Gitarre gleich verkaufen. Ich finde es aber zu wenig – was man die letzten zehn Jahre im Diskursrock hatte -, sich in seiner Anklage gemütlich einzurichten und die Dinge nicht weiterzudenken. Es reicht nicht, nur zu sagen, was schlecht ist. Es ist Zeit, dass wir die Schraube weiterdrehen und uns aus dieser Miesepetrigkeit befreien. Wir müssen die Dinge angehen, wir müssen in uns hineinhorchen und uns fragen, was wir denn wirklich wollen. Wie soll die Welt aussehen, in der wir leben wollen? Wie wollen wir selbst sein? Und dann sollten wir diese Träume, diese Wünsche und diese Vorstellungen versuchen zu verwirklichen.
Du hast Diskursrock erwähnt: Ihr werdet ja oft in die alte Schublade »Hamburger Schule« gesteckt und mit Bands wie Blumfeld oder Tocotronic verglichen. Das passt euch aber nicht. Warum?
Das hat halt immer dieses Lokalkolorit. Was es ja schon damals hatte, als diese Bands aufkamen. Jochen Distelmeyer und Dirk von Lowtzow haben diesen Begriff bereits abgelehnt, als ich wahrscheinlich gerade meine erste Zuckertüte bekommen habe. Erstens hat das etwas ganz Dorfmiefiges. Das klingt so, als würden wir über zwei, drei Straßen in Hamburg singen. Aber das, worüber ich singe, ist nicht nur Hamburg-spezifisch, es hat einen viel größeren Radius. Und zweitens kommen die Bands, mit denen wir uns heute identifizieren – also Messer, Candelilla oder die Nerven – aus dem ganzen deutschsprachigen Raum. Das ist ein viel zu großes Phänomen, als dass man es nur auf eine Stadt reduzieren könnte.
Ihr seid zusammen mit Messer aufgetreten, wart mit Zucker auf Tour und habt gemeinsam den Sampler »Keine Bewegung« herausgebracht. Wie groß ist das Zusammengehörigkeitsgefühl unter diesen Bands?
Das ist schon ziemlich groß. Wir sind einfach sehr gut befreundet. Zusammen mit Philipp von Messer mache ich ja auch die Party-Reihe »Euphorie« im Hamburger Golden Pudel Club, bei der wir Konzerte von Bands veranstalten, die wir gut finden. Und man tauscht sich einfach aus. Mit Hendrik von Messer rede ich tatsächlich viel über Texte, darüber, was man von Texten will und warum man sie schreibt. Wahrscheinlich wird es bald auch ein paar neue Bands geben, die sich aus diesem Freundeskreis speisen.
Kann man von einer Szene sprechen?
Kann man schon, denke ich. Da habe ich überhaupt kein Problem damit. Diese Szene hat eben nur keinen Namen und ist in sich sehr divers. Sie bringt ja wirklich die verschiedensten Früchte zutage.
Manche Bands finden Live-Auftritte eher öde, weil es für sie immer das Gleiche ist. Euch dagegen sind Live-Auftritte sehr wichtig. Was passiert bei einem Trümmer-Konzert?
Das kommt auf die Situation an: Diese eine Stunde, in der wir ein Konzert spielen, ist ein Moment totaler Ekstase. Die Freiheit, die man als Musiker hat, ist in diesem Moment am größten. Und es geht ja genau darum, diese Songs und diese Texte vorzustellen. Ich versuche, mich in all das hineinzu-legen, was ich besinge. Ich versuche, diese Texte zu vermitteln und sie wirklich zu meinen. Es ist ein sehr intensives emotionales Erlebnis, wenn das gelingt. Es geht nicht darum, eine Show herunterzuspulen, sondern darum, das, was wir besingen, wirklich herzustellen.
Was wollt ihr damit bei den Zuschauern bewirken?
Am besten finde ich es, wenn man die Leute damit erreicht, wenn man sie irgendwie aktiviert. Einerseits ist natürlich die beste Reaktion, wenn man einfach tanzt und ausrastet. Also erst einmal etwas ganz Emotionales und überhaupt nicht Intellektuelles. Aber wenn andererseits die Texte irgendetwas mit einem anstellen und man anfängt, sie auf sein eigenes Leben zu beziehen, finde ich das sehr gut. Wir hatten diese Erlebnisse schon oft und sie bestärken mich in dem, was wir da tun.
Trümmer: »Trümmer«
Pias Germany/Rough Trade
Siehe auch Hardy Funks Artikel »Diskursrock: Die neue Verkrampfung« über die Bands Nerven, Messer, Candelilla, Zucker und eben Trümmer in skug #100.
[Anm. d. Red.: skug-Autor Hardy Funk ist deutscher Staatsbürger. Als Österreicher hätten wir als Titel für dieses Interview wahrscheinlich vorgeschlagen: »Trümmer sind Steine der Hoffnung«, frei nach dem Bandnamen der Ende der 1990er Jahre aktiven Linzer Punk-/HC-Band.]