Bereits 2019 ist Christian Moser-Sollmanns zweiter Roman »Blaue Schatten« im Wiener Dachbuch-Verlag erschienen. Der 40-jährige Protagonist Tom liebt seine Freiheit und pflegt dabei einen ausschweifenden wie ungesunden Lebensstil, den er sich neben dem Kellnern in einem Währinger Nobelcafé mit dem Verkauf weicher Drogen finanziert. Was jahrelang ohne besonderen Aufwand läuft, gerät mit zunehmendem Alter plötzlich ins Stocken. Als sich auch die gesundheitlichen Begleiterscheinungen nicht mehr leugnen lassen, sucht Tom nach Wegen, die Krise mit seinen Mitteln zu meistern. Es versteht sich von selbst, dass diese oft ungeeignet erscheinen – was die tragisch-komische Rolle des Protagonisten begründet.
Moser-Sollmann zeichnet ein detailliertes Bild eines Milieus, in dem Wien-spezifische Eigenarten auf lokale Szenefiguren treffen, deren alkoholdurchtränkte Selbstgenügsamkeit sie an jedem beliebigen Ort der Welt stranden lassen könnte. Die Rückblende auf ein unbeschwertes Lebensgefühl scheinbar ewig jung gebliebener Männer erinnert an Alain Badious umstrittenen, jedenfalls aber etwas altvatrischen Essay »Versuch, die Jugend zu verderben«. Darin beschreibt Badiou eine Entwicklung, in der Mädchen zunehmend bereits als Kinder die Verantwortung eines Erwachsenen aufgehalst bekommen, während auf der anderen Seite Männer immer später ihrer Pubertät entwachsen.
Ewige Jugend, neue Perspektiven
Wie Badiou spart auch Moser-Sollmann nicht mit Klischees, die in seinem Fall meist humorvoll sind, manchmal aber auch gar platt. Zu den positiven Höhepunkten zählt etwa ein Arzt, der dem Protagonisten ein mysteriöses Präparat verschreibt, das diesem ein paar weitere Jahre Jugend, im Anschluss daran aber einen gesundheitlichen Zusammenbruch verspricht. Moser-Sollmann kennt seine Pappenheimer und weiß, wie sie ticken. Bemüht er hingegen Stereotypen in Bezug auf ethnische Gruppen oder Geschlechterrollen, verschlägt es einem manchmal die Sprache. Zudem finden sich im Text auch einige Redundanzen. So verweist die Erzählstimme von Anfang an auf eine Schlusspointe, die in dieser Form nicht eingelöst wird.
Eine Pointe am Ende hat Moser-Sollmann aber ohnehin nicht nötig, denn davon bietet »Blaue Schatten« zur Genüge. Zugleich funktioniert der Text aber auch als vielschichtige, fantasiereiche Milieustudie. Liest man den Roman nun, inmitten der Corona-Pandemie, fragt man sich unweigerlich, wie es dem Protagonisten und seiner Umgebung während des Lockdowns wohl ergangen wäre. Wie verändert sich in einer solchen Situation die Wahrnehmung auf andere Lebensentwürfe und wie schnell tappt man als Leser*in in die Falle, ein moralisches Urteil zu fällen? Aus diesem Blickwinkel gewinnt Moser-Sollmanns Buch eine gesellschaftspolitische Brisanz, die am Ende doch überrascht.